Kant: AA IX, Immanuel Kant's Logik Ein ... , Seite 073

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Der Überzeugung steht die Überredung entgegen, ein Fürwahrhalten      
  02 aus unzureichenden Gründen, von denen man nicht weiß, ob sie      
  03 bloß subjectiv oder auch objectiv sind.      
           
  04 Die Überredung geht oft der Überzeugung vorher. Wir sind uns      
  05 vieler Erkenntnisse nur so bewußt, daß wir nicht urtheilen können, ob die      
  06 Gründe unsers Fürwahrhaltens objectiv oder subjectiv sind. Wir müssen      
  07 daher, um von der bloßen Überredung zur Überzeugung gelangen zu können,      
  08 zuvörderst überlegen, d. h. sehen, zu welcher Erkenntnißkraft ein      
  09 Erkenntniß gehöre, und sodann untersuchen, d. i. prüfen, ob die Gründe      
  10 in Ansehung des Objects zureichend oder unzureichend sind. Bei Vielen      
  11 bleibt es bei der Überredung. Bei Einigen kommt es zur Überlegung, bei      
  12 Wenigen zur Untersuchung. Der da weiß, was zur Gewißheit gehört, wird      
  13 Überredung und Überzeugung nicht leicht verwechseln und sich also auch      
  14 nicht leicht überreden lassen. Es giebt einen Bestimmungsgrund zum Beifall,      
  15 der aus objectiven und subjectiven Gründen zusammengesetzt ist, und      
  16 diese vermischte Wirkung setzen die mehresten Menschen nicht aus einander.      
           
  17 Obgleich jede Überredung der Form nach ( formaliter ) falsch ist, sofern      
  18 nämlich hierbei eine ungewisse Erkenntniß gewiß zu sein scheint: so      
  19 kann sie doch der Materie nach ( materialiter ) wahr sein. Und so unterscheidet      
  20 sie sich denn auch von der Meinung, die eine ungewisse Erkenntniß      
  21 ist, sofern sie für ungewiß gehalten wird.      
           
  22 Die Zulänglichkeit des Fürwahrhaltens (im Glauben) läßt sich auf      
  23 die Probe stellen durch Wetten oder durch Schwören. Zu dem ersten      
  24 ist comparative, zum zweiten absolute Zulänglichkeit objectiver      
  25 Gründe nöthig, statt deren, wenn sie nicht vorhanden sind, dennoch ein      
  26 schlechterdings subjectiv zureichendes Fürwahrhalten gilt.      
  27 Man pflegt sich oft der Ausdrücke zu bedienen: Seinem Urtheile      
           
  28 beipflichten, sein Urtheil zurückhalten, aufschieben oder aufgeben.      
  29 Diese und ähnliche Redensarten scheinen anzudeuten, daß in      
  30 unserm Urtheilen etwas Willkürliches sei, indem wir etwas für wahr halten,      
  31 weil wir es für wahr halten wollen. Es frägt sich demnach hier: Ob      
  32 das Wollen einen Einfluß auf unsre Urtheile habe?      
           
  33 Unmittelbar hat der Wille keinen Einfluß auf das Fürwahrhalten;      
  34 dies wäre auch sehr ungereimt. Wenn es heißt: Wir glauben gern,      
           
     

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