Kant: AA VIII, Anhang. ... , Seite 457

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Vorlesungen bei der mühsamen Entwickelung der Idee von Pflicht über      
  02 das absolute Sollen gehört haben" und wovon leider der Leser nichts weiß;      
  03 feilscht und dingt die Richtigkeit seiner Lehre wenigstens auf Halbscheid in      
  04 Absicht des Zukünftigen, wenn gleich nicht in Absicht des Vergangenen,      
  05 zu retten; bis am Ende die Wahrheitsliebe ihm noch unter den Verbesserungen      
  06 und Zusätzen auf der vorletzten Seite die naive Frage ablockt:      
  07 "Was wäre es denn nun, wenn alles Sittliche sich zuletzt auf etwas Physisches      
  08 zurückbringen ließe?" - Was es denn wäre? - Nun wohl weiter      
  09 nichts, als daß es denn zuletzt gar nichts Sittliches gäbe und mit dem      
  10 Unterschiede des Physischen und Moralischen zugleich der Unterschied      
  11 dessen, was ist oder geschieht, und dessen, was sein oder geschehen soll, verschwände.      
  12 Das ist ja aber eben die Theorie, in Rücksicht welcher der Vf.      
  13 die Lieblinge seiner Seele aufgefordert hat, sie durch ihren Wandel zu      
  14 widerlegen. Doch wie gesagt, der Vf. thut unter andern auch Anträge auf      
  15 Halbscheid. "Der Mensch soll (heißt es S. 63. 82 etc.) anders oder besser      
  16 werden; auch kann er es werden; nur kein Mensch kann schon jetzt      
  17 anders oder besser sein, als er ist." Also nur schon jetzt und bis      
  18 jetzt nicht. Wie aber, wenn aus dem Fortfließenden Jetzt das Immer entstände,      
  19 wie aus dem fortfließenden Punkt die Linie entsteht, und von jeder      
  20 Stelle der zukünftigen und vergangenen Zeit das Jetzt eben so gälte, wie      
  21 von jeder Stelle der Linie, hinauf und hinab betrachtet, der Punkt gilt?      
  22 In der That, wenn alles Künftige so gut dereinst gegenwärtig sein wird,      
  23 als alles Vergangene bereits gegenwärtig gewesen ist: so muß das menschliche      
  24 Thun und Lassen, wenn es allemal bis jetzt durch Nothwendigkeit      
  25 bestimmt ist, auf gleiche Weise auch für alle Folgezeiten ins Unendliche      
  26 hin bestimmt sein; als welche Folgezeiten das zur Grenze der Nothwendigkeit      
  27 angenommene Jetzt der Reihe nach ins Unendliche hin durchwandern      
  28 muß. Oder wenn der Vf. das Läugnen wollte, so müßte er behaupten, da      
  29 z. B. das Thun und Lassen der Jenenser im verflossenen Jahr jetzt nach      
  30 dem Ende des Jahres durchaus nothwendig so, wie es war, vor dem Anfange      
  31 desselben aber nicht nothwendig so, wie es war, und auf gleiche      
  32 Weise alle Handlungen aller Menschen in aller Zeitfolge zwar zurück,      
  33 von B nach A gesehen, unmöglich anders, aber vorwärts, von A nach B      
  34 gesehen, ganz anders möglich gewesen seien: welchem nach einerlei Urtheil      
  35 über einerlei Sache, objectiv genommen, zugleich wahr und falsch      
  36 wäre: eine Unbegreiflichkeit, die größer ist, als diejenige, welche durch Umgehung      
  37 der sittlichen Freiheit vermieden werden sollte, und in die nicht etwa      
           
     

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