Kant: AA VIII, Über den Gemeinspruch Das ... , Seite 301 |
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| 01 | Gleichwohl finde ich achtungswürdige Männer, welche diese Befugniß | ||||||
| 02 | des Unterthans zur Gegengewalt gegen seinen Obern unter gewissen Umständen | ||||||
| 03 | behaupten, unter denen ich hier nur den in seinen Lehren des | ||||||
| 04 | Naturrechts sehr behutsamen, bestimmten und bescheidenen Achenwall | ||||||
| 05 | anführen will.*) Er sagt: "Wenn die Gefahr, die dem gemeinen Wesen | ||||||
| 06 | aus längerer Duldung der Ungerechtigkeit des Oberhaupts droht, größer | ||||||
| 07 | ist, als von Ergreifung der Waffen gegen ihn besorgt werden kann: alsdann | ||||||
| 08 | könne das Volk jenem widerstehen, zum Behuf dieses Rechts von | ||||||
| 09 | seinem Unterwerfungsvertrag abgehen und ihn als Tyrannen entthronen." | ||||||
| 10 | und er schließt darauf: "Es kehre das Volk auf solche Art (beziehungsweise | ||||||
| 11 | auf seinen vorigen Oberherrn) in den Naturzustand zurück". | ||||||
| 12 | Ich glaube gern, daß weder Achenwall, noch irgend einer der | ||||||
| 13 | wackeren Männer, die hierüber mit ihm einstimmig vernünftelt haben, je | ||||||
| 14 | in irgend einem vorkommenden Fall zu so gefährlichen Unternehmungen | ||||||
| 15 | ihren Rath oder Beistimmung würden gegeben haben; auch ist kaum zu | ||||||
| 16 | bezweifeln, daß, wenn jene Empörungen, wodurch die Schweiz, die Vereinigten | ||||||
| 17 | Niederlande, oder auch Großbritannien ihre jetzige für so glücklich | ||||||
| 18 | gepriesene Verfassung errungen haben, mißlungen wären, die Leser der | ||||||
| 19 | Geschichte derselben in der Hinrichtung ihrer jetzt so erhobenen Urheber | ||||||
| 20 | nichts als verdiente Strafe großer Staatsverbrecher sehen würden. Denn | ||||||
| 21 | der Ausgang mischt sich gewöhnlich in unsere Beurtheilung der Rechtsgründe, | ||||||
| 22 | obzwar jener ungewiß war, diese aber gewiß sind. Es ist aber | ||||||
| 23 | klar, daß, was die letzteren betrifft - wenn man auch einräumt, daß durch | ||||||
| 24 | eine solche Empörung dem Landesherrn (der etwa eine joyeuse entrçe als | ||||||
| 25 | einen wirklichen zum Grunde liegenden Vertrag mit dem Volk verletzt hätte) | ||||||
| 26 | kein Unrecht geschähe, - das Volk doch durch diese Art ihr Recht zu suchen | ||||||
| 27 | im höchsten Grade Unrecht gethan habe: weil dieselbe (zur Maxime angenommen) | ||||||
| 28 | alle rechtliche Verfassung unsicher macht und den Zustand einer | ||||||
| 29 | völligen Gesetzlosigkeit ( status naturalis ), wo alles Recht aufhört, wenigstens | ||||||
| 30 | Effect zu haben, einführt. - Nur will ich bei diesem Hange so vieler | ||||||
| 31 | wohldenkenden Verfasser dem Volk (zu seinem eigenen Verderben) das | ||||||
| 32 | Wort zu reden bemerken: daß dazu theils die gewöhnliche Täuschung, wenn | ||||||
| 33 | vom Princip des Rechts die Rede ist, das Princip der Glückseligkeit ihren | ||||||
| 34 | Urtheilen unterzuschieben, die Ursache sei; theils auch, wo kein Instrument | ||||||
| 35 | eines wirklich dem gemeinen Wesen vorgelegten, vom Oberhaupt desselben | ||||||
| *) Ius Naturae. Editio Vta. Pars posterior, par.par. 203 - 206. | |||||||
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