Kant: AA VIII, Über den Gemeinspruch Das ... , Seite 298 |
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| 01 | es sich nicht widersetzen? Die Antwort kann nur sein: es ist für dasselbe | ||||||
| 02 | nichts zu thun, als zu gehorchen. Denn die Rede ist hier nicht von Glückseligkeit, | ||||||
| 03 | die aus einer Stiftung oder Verwaltung des gemeinen Wesens | ||||||
| 04 | für den Unterthan zu erwarten steht; sondern allererst bloß vom Rechte, | ||||||
| 05 | das dadurch einem jeden gesichert werden soll: welches das oberste Princip | ||||||
| 06 | ist, von welchem alle Maximen, die ein gemeines Wesen betreffen, ausgehen | ||||||
| 07 | müssen, und das durch kein anderes eingeschränkt wird. In Ansehung | ||||||
| 08 | der ersteren (der Glückseligkeit) kann gar kein allgemein gültiger | ||||||
| 09 | Grundsatz für Gesetze gegeben werden. Denn sowohl die Zeitumstände, | ||||||
| 10 | als auch der sehr einander widerstreitende und dabei immer veränderliche | ||||||
| 11 | Wahn, worin jemand seine Glückseligkeit setzt (worin er sie aber setzen soll, | ||||||
| 12 | kann ihm niemand vorschreiben), macht alle feste Grundsätze unmöglich | ||||||
| 13 | und zum Princip der Gesetzgebung für sich allein untauglich. Der Satz: | ||||||
| 14 | salus publica suprema civitatis lex est , bleibt in seinem unverminderten | ||||||
| 15 | Werth und Ansehen; aber das öffentliche Heil, welches zuerst in Betrachtung | ||||||
| 16 | zu ziehen steht, ist gerade diejenige gesetzliche Verfassung, die jedem | ||||||
| 17 | seine Freiheit durch Gesetze sichert: wobei es ihm unbenommen bleibt, seine | ||||||
| 18 | Glückseligkeit auf jedem Wege, welcher ihm der beste dünkt, zu suchen, wenn | ||||||
| 19 | er nur nicht jener allgemeinen gesetzmäßigen Freiheit, mithin dem | ||||||
| 20 | Rechte anderer Mitunterthanen Abbruch thut. | ||||||
| 21 | Wenn die oberste Macht Gesetze giebt, die zunächst auf die Glückseligkeit | ||||||
| 22 | (die Wohlhabenheit der Bürger, die Bevölkerung u. dergl.) gerichtet | ||||||
| 23 | sind: so geschieht dieses nicht als Zweck der Errichtung einer bürgerlichen | ||||||
| 24 | Verfassung, sondern bloß als Mittel, den rechtlichen Zustand | ||||||
| 25 | vornehmlich gegen äußere Feinde des Volks zu sichern. Hierüber muß | ||||||
| 26 | das Staatsoberhaupt befugt sein selbst und allein zu urtheilen, ob dergleichen | ||||||
| 27 | zum Flor des gemeinen Wesens gehöre, welcher erforderlich ist, | ||||||
| 28 | um seine Stärke und Festigkeit sowohl innerlich, als wider äußere Feinde | ||||||
| 29 | zu sichern; so aber das Volk nicht gleichsam wider seinen Willen glücklich | ||||||
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