Kant: AA VIII, Über den Gemeinspruch Das ... , Seite 293 |
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Text (Kant):
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| 01 | andern zu zwingen, damit er immer innerhalb den Gränzen der Einstimmung | ||||||
| 02 | des Gebrauchs seiner Freiheit mit der meinigen bleibe, durchgängig | ||||||
| 03 | gleich. Da nun Geburt keine That desjenigen ist, der geboren | ||||||
| 04 | wird, mithin diesem dadurch keine Ungleichheit des rechtlichen Zustandes | ||||||
| 05 | und keine Unterwerfung unter Zwangsgesetze als bloß diejenige, die ihm | ||||||
| 06 | als Unterthan der alleinigen obersten gesetzgebenden Macht mit allen | ||||||
| 07 | anderen gemein ist, zugezogen wird: so kann es kein angebornes Vorrecht | ||||||
| 08 | eines Gliedes des gemeinen Wesens als Mitunterthans vor dem anderen | ||||||
| 09 | geben; und niemand kann das Vorrecht des Standes, den er im gemeinen | ||||||
| 10 | Wesen inne hat, an seine Nachkommen vererben, mithin, gleichsam | ||||||
| 11 | als zum Herrenstande durch Geburt qualificirt, diese auch nicht zwangsmäßig | ||||||
| 12 | abhalten, zu den höheren Stufen der Unterordnung (des superior | ||||||
| 13 | und inferior , von denen aber keiner imperans , der andere subiectus ist) | ||||||
| 14 | durch eigenes Verdienst zu gelangen. Alles andere mag er vererben, was | ||||||
| 15 | Sache ist (nicht Persönlichkeit betrifft) und als Eigenthum erworben und | ||||||
| 16 | auch von ihm veräußert werden kann, und so in einer Reihe von Nachkommen | ||||||
| 17 | eine beträchtliche Ungleichheit in Vermögensumständen unter den | ||||||
| 18 | Gliedern eines gemeinen Wesens (des Söldners und Miethers, des Gutseigenthümers | ||||||
| 19 | und der ackerbauenden Knechte etc.) hervorbringen; nur | ||||||
| 20 | nicht verhindern, daß diese, wenn ihr Talent, ihr Fleiß und ihr Glück es | ||||||
| 21 | ihnen möglich macht, sich nicht zu gleichen Umständen zu erheben befugt | ||||||
| 22 | wären. Denn sonst würde er zwingen dürfen, ohne durch anderer Gegenwirkung | ||||||
| 23 | wiederum gezwungen werden zu können, und über die Stufe eines | ||||||
| 24 | Mitunterthans hinausgehen. - Aus dieser Gleichheit kann auch kein Mensch, | ||||||
| 25 | der in einem rechtlichen Zustande eines gemeinen Wesens lebt, anders als | ||||||
| 26 | durch sein eigenes Verbrechen, niemals aber weder durch Vertrag oder | ||||||
| 27 | durch Kriegsgewalt ( occupatio bellica ) fallen; denn er kann durch keine | ||||||
| 28 | rechtliche That (weder seine eigene, noch die eines anderen) aufhören, Eigner | ||||||
| 29 | seiner selbst zu sein, und in die Klasse des Hausviehes eintreten, das man | ||||||
| 30 | zu allen Diensten braucht, wie man will, und es auch darin ohne seine | ||||||
| 31 | Einwilligung erhält, so lange man will, wenn gleich mit der Einschränkung | ||||||
| 32 | (welche auch wohl wie bei den Indiern bisweilen durch die Religion | ||||||
| 33 | sanctionirt wird), es nicht zu verkrüppeln oder zu tödten. Man kann ihn | ||||||
| 34 | in jedem Zustande für glücklich annehmen, wenn er sich nur bewußt ist, | ||||||
| 35 | daß es nur an ihm selbst (seinem Vermögen, oder ernstlichen Willen) | ||||||
| 36 | oder an Umständen, die er keinem Anderen Schuld geben kann, aber nicht | ||||||
| 37 | an dem unwiderstehlichen Willen Anderer liege, daß er nicht zu gleicher | ||||||
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