Kant: AA VIII, Recension von Gottlieb ... , Seite 129 |
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01 | haben müsse, das scheint Recensenten nicht klar zu sein; vornehmlich weil | ||||||
02 | der Grund mehr enthält, als zu jener Folge nöthig ist. Denn daraus | ||||||
03 | scheint zu folgen, daß man von seinem Rechte sogar nichts nachlassen | ||||||
04 | könne, wozu uns ein Zwang erlaubt ist, weil diese Erlaubniß auf einer | ||||||
05 | innern Verbindlichkeit beruht, sich durchaus und mithin allenfalls mit | ||||||
06 | Gewalt die uns gestrittene Vollkommenheit zu erringen. Es scheint auch: | ||||||
07 | daß nach dem angenommenen Richtmaße der Befugniß die Beurtheilung | ||||||
08 | dessen, wozu ich ein Recht habe, selbst in den gemeinsten Fällen des Lebens | ||||||
09 | so künstlich ausfallen müsse, daß selbst der geübteste Verstand sich in continuirlicher | ||||||
10 | Verlegenheit, wo nicht gar in der Unmöglichkeit befinden würde, | ||||||
11 | mit Gewißheit auszumachen, wie weit sich sein Recht erstrecke. - Von | ||||||
12 | dem Rechte zum Ersatz behauptet der Verfasser, daß es im bloßen Naturzustande | ||||||
13 | als Zwangsrecht nicht Statt finde, doch gesteht er, daß er es bloß | ||||||
14 | darum aufgebe, weil er es nicht beweisen zu können glaubt. In eben | ||||||
15 | demselben Zustande räumt er auch keine Zurechnung ein, weil da | ||||||
16 | kein Richter angetroffen wird. - Einige Fingerzeige zur Anwendung | ||||||
17 | giebt der Herr Verfasser im Anhange: wo er von der ersten Erwerbung, | ||||||
18 | von der durch Verträge, dem Staats= und Völkerrechte handelt | ||||||
19 | und zuletzt eine neue nothwendige Wissenschaft vorschlägt, welche die | ||||||
20 | Lücke zwischen dem Natur= und positiven Rechte ausfüllen könne. Man | ||||||
21 | kann nicht in Abrede ziehen, daß in diesem Werke viel Neues, Tiefgedachtes | ||||||
22 | und zugleich Wahres enthalten sei, überall aber etwas, das zur | ||||||
23 | Entdeckung des Kriterii der Wahrheit in Sätzen des Naturrechts und der | ||||||
24 | Grenzbestimmung des eigenthümlichen Bodens desselben vorbereitet und | ||||||
25 | Anleitung giebt. Doch rechnet Recensent noch sehr auf den fortgesetzten | ||||||
26 | Gebrauch, den der Herr Verfasser noch künftig in seinen Lehrstunden von | ||||||
27 | seinem Grundsatze machen wird. Denn diese Art von Experiment ist in | ||||||
28 | keiner Art von Erkenntniß aus bloßen Begriffen nöthiger und dabei doch | ||||||
29 | zugleich so thunlich, als in Fragen über das Recht, das auf bloßer Vernunft | ||||||
30 | beruht; niemand aber kann dergleichen Versuch mannigfaltiger und | ||||||
31 | ausführlicher anstellen als der, welcher sein angenommenes Princip an so | ||||||
32 | viel Folgerungen, als ihm das ganze System, das er öfters durchgehen muß, | ||||||
33 | darbietet, zu prüfen Gelegenheit hat. Es wäre unschicklich, Einwürfe | ||||||
34 | wider eine Schrift aufzustellen, die sich auf das besondere System gründen, | ||||||
35 | das sich der Recensent über eben denselben Gegenstand gemacht hat; seine | ||||||
36 | Befugniß erstreckt sich nicht weiter, als nur auf die Prüfung der Zusammenstimmung | ||||||
37 | der vorgetragenen Sätze unter einander, oder mit solchen | ||||||
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