Kant: AA VIII, Idee zu einer allgemeinen ... , Seite 024 |
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Text (Kant):
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| 01 | Siebenter Satz. |
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| 02 | Das Problem der Errichtung einer vollkommnen bürgerlichen | ||||||
| 03 | Verfassung ist von dem Problem eines gesetzmäßigen | ||||||
| 04 | äußeren Staatenverhältnisses abhängig und kann ohne das | ||||||
| 05 | letztere nicht aufgelöset werden. Was hilfts, an einer gesetzmäßigen | ||||||
| 06 | bürgerlichen Verfassung unter einzelnen Menschen, d. i. an der Anordnung | ||||||
| 07 | eines gemeinen Wesens, zu arbeiten? Dieselbe Ungeselligkeit, welche | ||||||
| 08 | die Menschen hiezu nöthigte, ist wieder die Ursache, daß ein jedes gemeine | ||||||
| 09 | Wesen in äußerem Verhältnisse, d. i. als ein Staat in Beziehung auf | ||||||
| 10 | Staaten, in ungebundener Freiheit steht, und folglich einer von dem andern | ||||||
| 11 | eben die Übel erwarten muß, die die einzelnen Menschen drückten und sie | ||||||
| 12 | zwangen in einen gesetzmäßigen bürgerlichen Zustand zu treten. Die Natur | ||||||
| 13 | hat also die Unvertragsamkeit der Menschen, selbst der großen Gesellschaften | ||||||
| 14 | und Staatskörper dieser Art Geschöpfe wieder zu einem Mittel gebraucht, | ||||||
| 15 | um in dem unvermeidlichen Antagonism derselben einen Zustand der | ||||||
| 16 | Ruhe und Sicherheit auszufinden; d. i. sie treibt durch die Kriege, durch | ||||||
| 17 | die überspannte und niemals nachlassende Zurüstung zu denselben, durch | ||||||
| 18 | die Noth, die dadurch endlich ein jeder Staat selbst mitten im Frieden | ||||||
| 19 | innerlich fühlen muß, zu anfänglich unvollkommenen Versuchen, endlich | ||||||
| 20 | aber nach vielen Verwüstungen, Umkippungen und selbst durchgängiger | ||||||
| 21 | innerer Erschöpfung ihrer Kräfte zu dem, was ihnen die Vernunft auch ohne | ||||||
| 22 | so viel traurige Erfahrung hätte sagen können, nämlich: aus dem gesetzlosen | ||||||
| 23 | Zustande der Wilden hinaus zu gehen und in einen Völkerbund zu treten; | ||||||
| 24 | wo jeder, auch der kleinste Staat seine Sicherheit und Rechte nicht von eigener | ||||||
| 25 | Macht, oder eigener rechtlichen Beurtheilung, sondern allein von diesem großen | ||||||
| 26 | Völkerbunde ( Foedus Amphictyonum ), von einer vereinigten Macht | ||||||
| 27 | und von der Entscheidung nach Gesetzen des vereinigten Willens erwarten | ||||||
| 28 | könnte. So schwärmerisch diese Idee auch zu sein scheint und als eine solche | ||||||
| 29 | an einem Abbé von St. Pierre oder Rousseau verlacht worden (vielleicht, | ||||||
| 30 | weil sie solche in der Ausführung zu nahe glaubten): so ist es doch der | ||||||
| 31 | unvermeidliche Ausgang der Noth, worein sich Menschen einander versetzen, | ||||||
| 32 | die die Staaten zu eben der Entschließung (so schwer es ihnen auch eingeht) | ||||||
| 33 | zwingen muß, wozu der wilde Mensch eben so ungern gezwungen ward, | ||||||
| 34 | nämlich: seine brutale Freiheit aufzugeben und in einer gesetzmäßigen | ||||||
| 35 | Verfassung Ruhe und Sicherheit zu suchen. - Alle Kriege sind demnach | ||||||
| 36 | so viel Versuche (zwar nicht in der Absicht der Menschen, aber doch in der | ||||||
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