Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 281 |
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| 01 | zu gefallen, auf welches die kleinen muthwilligen, aber nicht beschämenden | ||||||
| 02 | Angriffe auf ihr Geschlecht die Wirkung thun, sich in ihrem | ||||||
| 03 | Witz selbst vortheilhaft zu zeigen, und so endigt die Mahlzeit mit Lachen; | ||||||
| 04 | welches, wenn es laut und gutmüthig ist, die Natur durch Bewegung des | ||||||
| 05 | Zwergfells und der Eingeweide ganz eigentlich für den Magen zur Verdauung | ||||||
| 06 | als zum körperlichen Wohlbefinden bestimmt hat; indessen daß | ||||||
| 07 | die Theilnehmer am Gastmahl, Wunder wie viel! Geistescultur in einer | ||||||
| 08 | Absicht der Natur zu finden wähnen. - Eine Tafelmusik bei einem festlichen | ||||||
| 09 | Schmause großer Herren ist das geschmackloseste Unding, was die | ||||||
| 10 | Schwelgerei immer ausgesonnen haben mag. | ||||||
| 11 | Die Regeln eines geschmackvollen Gastmahls, das die Gesellschaft | ||||||
| 12 | animirt, sind: a) Wahl eines Stoffs zur Unterredung, der Alle interessirt | ||||||
| 13 | und immer jemanden Anlaß giebt, etwas schicklich hinzuzusetzen. | ||||||
| 14 | b) Keine tödtliche Stille, sondern nur augenblickliche Pause in der Unterredung | ||||||
| 15 | entstehen zu lassen. c) Den Gegenstand nicht ohne Noth zu variiren | ||||||
| 16 | und von einer Materie zu einer andern abzuspringen: weil das Gemüth | ||||||
| 17 | am Ende des Gastmahls wie am Ende eines Drama (dergleichen | ||||||
| 18 | auch das zurückgelegte ganze Leben des vernünftigen Menschen ist) sich | ||||||
| 19 | unvermeidlich mit der Rückerinnerung der mancherlei Acte des Gesprächs | ||||||
| 20 | beschäftigt; wo denn, wenn es keinen Faden des Zusammenhangs herausfinden | ||||||
| 21 | kann, es sich verwirrt fühlt und in der Cultur nicht fortgeschritten, | ||||||
| 22 | sondern eher rückgängig geworden zu sein mit Unwillen inne wird. | ||||||
| 23 | Man muß einen Gegenstand, der unterhaltend ist, beinahe erschöpfen, ehe | ||||||
| 24 | man zu einem anderen übergeht, und beim Stocken des Gesprächs etwas | ||||||
| 25 | Anderes damit Verwandtes zum Versuch in die Gesellschaft unbemerkt zu | ||||||
| 26 | spielen verstehen: so kann ein einziger in der Gesellschaft unbemerkt und | ||||||
| 27 | unbeneidet diese Leitung der Gespräche übernehmen. d) Keine Rechthaberei | ||||||
| 28 | weder für sich noch für die Mitgenossen der Gesellschaft entstehen | ||||||
| 29 | oder dauern zu lassen: vielmehr da diese Unterhaltung kein Geschäft, sondern | ||||||
| 30 | nur Spiel sein soll, jene Ernsthaftigkeit durch einen geschickt angebrachten | ||||||
| 31 | Scherz abwenden. e) In dem ernstlichen Streit, der gleichwohl | ||||||
| 32 | nicht zu vermeiden ist, sich selbst und seinen Affect sorgfältig so in Disciplin | ||||||
| 33 | zu erhalten, daß wechselseitige Achtung und Wohlwollen immer hervorleuchte; | ||||||
| 34 | wobei es mehr auf den Ton (der nicht schreihälsig oder arrogant | ||||||
| 35 | sein muß), als auf den Inhalt des Gesprächs ankommt: damit keiner | ||||||
| 36 | der Mitgäste mit dem anderen entzweiet aus der Gesellschaft in die | ||||||
| 37 | Häuslichkeit zurückkehre. | ||||||
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