Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 259 |
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| 01 | froh wird und es nie mehr versucht: so ist es feige Verzweiflung aus | ||||||
| 02 | Schwäche, nicht rüstige, welche noch Stärke der Gemüthsfassung zu einer | ||||||
| 03 | solchen That erfordert. | ||||||
| 04 | Es sind nicht immer blos verworfene, nichtswürdige Seelen, die auf | ||||||
| 05 | solche Weise der Last des Lebens loszuwerden beschließen; vielmehr hat | ||||||
| 06 | man von solchen, die für wahre Ehre kein Gefühl haben, dergleichen That | ||||||
| 07 | nicht leicht zu besorgen. - Indessen da sie doch immer gräßlich bleibt, und | ||||||
| 08 | der Mensch sich selbst dadurch zum Scheusal macht, ist es doch merkwürdig, | ||||||
| 09 | daß in Zeitläuften der öffentlichen und für gesetzmäßig erklärten Ungerechtigkeit | ||||||
| 10 | eines revolutionären Zustandes (z. B. des Wohlfahrtsausschusses | ||||||
| 11 | der französischen Republik) ehrliebende Männer (z. B. Roland) | ||||||
| 12 | der Hinrichtung nach dem Gesetz durch Selbstmord zuvorzukommen gesucht | ||||||
| 13 | haben, den sie in einer constitutionellen selbst würden für verwerflich erklärt | ||||||
| 14 | haben. Der Grund davon ist dieser. Es liegt in jeder Hinrichtung | ||||||
| 15 | nach einem Gesetz etwas Beschimpfendes, weil sie Strafe ist, und | ||||||
| 16 | wenn jene ungerecht ist, so kann der, welcher das Opfer des Gesetzes wird, | ||||||
| 17 | diese nicht für eine verdiente anerkennen. Dieses aber beweiset er dadurch: | ||||||
| 18 | daß, wenn er dem Tode einmal geweiht worden, er ihn nun lieber wie ein | ||||||
| 19 | freier Mensch wählt und ihn sich selbst anthut. Daher auch Tyrannen | ||||||
| 20 | (wie Nero) es für eine Gunstbezeigung ausgaben, zu erlauben, daß der | ||||||
| 21 | Verurtheilte sich selbst umbrächte: weil es dann mit mehr Ehre geschah. | ||||||
| 22 | - - Die Moralität aber hievon verlange ich nicht zu vertheidigen. | ||||||
| 23 | Der Muth des Kriegers aber ist von dem des Duellanten noch sehr | ||||||
| 24 | verschieden, wenn gleich das Duell von der Regierung Nachsicht erhält, | ||||||
| 25 | und gewissermaßen Selbsthülfe wider Beleidigung zur Ehrensache in der | ||||||
| 26 | Armee gemacht wird, in die sich das Oberhaupt derselben nicht mischt; | ||||||
| 27 | ohne sie doch durchs Gesetz öffentlich erlaubt zu machen. - Dem Duell | ||||||
| 28 | durch die Finger zu sehen, ist ein vom Staatsoberhaupt nicht wohl überdachtes | ||||||
| 29 | schreckliches Princip; denn es giebt auch Nichtswürdige, die ihr | ||||||
| 30 | Leben aufs Spiel setzen, um etwas zu gelten, und die, für die Erhaltung | ||||||
| 31 | des Staats etwas mit ihrer eigenen Gefahr zu thun, gar nicht gemeint sind. | ||||||
| 32 | Tapferkeit ist gesetzmäßiger Muth, in dem, was Pflicht gebietet, | ||||||
| 33 | selbst den Verlust des Lebens nicht zu scheuen. Die Furchtlosigkeit machts | ||||||
| 34 | allein nicht aus, sondern die moralische Untadelhaftigkeit ( mens conscia | ||||||
| 35 | recti ) muß damit verbunden sein, wie beim Ritter Bayard ( chevalier sans | ||||||
| 36 | peur et sans reproche ). | ||||||
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