Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 244 |
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| 01 | Der Geschmack enthält eine Tendenz zur äußeren |
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| 02 | Beförderung der Moralität. |
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| 03 | § 69. Der Geschmack (gleichsam als formaler Sinn) geht auf Mittheilung | ||||||
| 04 | seines Gefühls der Lust oder Unlust an Andere und enthält | ||||||
| 05 | eine Empfänglichkeit, durch diese Mittheilung selbst mit Lust afficirt, ein | ||||||
| 06 | Wohlgefallen ( complacentia ) daran gemeinschaftlich mit Anderen (gesellschaftlich) | ||||||
| 07 | zu empfinden. Nun ist das Wohlgefallen, was nicht blos als | ||||||
| 08 | für das empfindende Subject, sondern auch für jeden Anderen, d. i. als | ||||||
| 09 | allgemeingültig betrachtet werden kann, weil es Nothwendigkeit (dieses | ||||||
| 10 | Wohlgefallens), mithin ein Princip desselben a priori enthalten muß, um | ||||||
| 11 | als ein solches gedacht werden zu können, ein Wohlgefallen an der Übereinstimmung | ||||||
| 12 | der Lust des Subjects mit dem Gefühl jedes Anderen nach | ||||||
| 13 | einem allgemeinen Gesetz, welches aus der allgemeinen Gesetzgebung des | ||||||
| 14 | Fühlenden, mithin aus der Vernunft entspringen muß: d. i. die Wahl | ||||||
| 15 | nach diesem Wohlgefallen steht der Form nach unter dem Princip der | ||||||
| 16 | Pflicht. Also hat der ideale Geschmack eine Tendenz zur äußeren Beförderung | ||||||
| 17 | der Moralität. - Den Menschen für seine gesellschaftliche Lage | ||||||
| 18 | gesittet zu machen, will zwar nicht ganz so viel sagen, als ihn sittlich | ||||||
| 19 | gut (moralisch) zu bilden, aber bereitet doch durch die Bestrebung in dieser | ||||||
| 20 | Lage anderen wohlzugefallen (beliebt oder bewundert zu werden) dazu | ||||||
| 21 | vor. - Auf diese Weise könnte man den Geschmack Moralität in der | ||||||
| 22 | äußeren Erscheinung nennen; obzwar dieser Ausdruck, nach dem Buchstaben | ||||||
| 23 | genommen, einen Widerspruch enthält; denn Gesittetsein enthält | ||||||
| 24 | doch den Anschein oder Anstand vom Sittlichguten und selbst einen Grad | ||||||
| 25 | davon, nämlich die Neigung auch schon in dem Schein desselben einen | ||||||
| 26 | Werth zu setzen. | ||||||
| 27 | § 70. Gesittet, wohlanständig, manierlich, geschliffen (mit Abstoßung | ||||||
| 28 | der Rauhigkeit) zu sein, ist doch nur die negative Bedingung des Geschmacks. | ||||||
| 29 | Die Vorstellung dieser Eigenschaften in der Einbildungskraft | ||||||
| 30 | kann eine äußerlich intuitive Vorstellungsart eines Gegenstandes oder | ||||||
| 31 | seiner eigenen Person mit Geschmack sein, aber nur für zwei Sinne, für | ||||||
| 32 | das Gehör und Gesicht. Musik und bildende Kunst (Malerei, Bildhauer=, | ||||||
| 33 | Bau= und Gartenkunst) machen Ansprüche auf Geschmack als Empfänglichkeit | ||||||
| 34 | eines Gefühls der Lust für die bloßen Formen äußerer Anschauung, | ||||||
| 35 | erstere in Ansehung des Gehörs, die andere des Gesichts. Dagegen | ||||||
| 36 | enthält die discursive Vorstellungsart durch laute Sprache oder durch | ||||||
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