Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 104

   
         
 

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  01 wenn er dieses könnte, so wäre er nicht hypochondrisch. Ein vernünftiger    
  02 Mensch statuirt keine solche Hypochondrie: sondern wenn ihm Beängstigungen    
  03 anwandeln, die in Grillen, d.i. selbst ausgedachte Übel, ausschlagen    
  04 wollen, so fragt er sich, ob ein Object derselben da sei. Findet er    
  05 keines, welches gegründete Ursache zu dieser Beängstigung abgeben kann,    
  06 oder sieht er ein, daß, wenn auch gleich ein solches wirklich wäre, doch dabei    
  07 nichts zu thun möglich sei, um seine Wirkung abzuwenden, so geht er    
  08 mit diesem Anspruche seines inneren Gefühls zur Tagesordnung, d.i. er    
  09 läßt seine Beklommenheit (welche alsdann bloß topisch ist) an ihrer Stelle    
  10 liegen (als ob sie ihm nichts anginge) und richtet seine Aufmerksamkeit    
  11 auf die Geschäfte, mit denen er zu thun hat.    
         
  12 Ich habe wegen meiner flachen und engen Brust, die für die Bewegung    
  13 des Herzens und der Lunge wenig spielraum läßt, eine natürliche    
  14 Anlage zur Hypochondrie, welche in früheren Jahren bis an den    
  15 Überdruß des Lebens gränzte. Aber die Überlegung, daß die Ursache dieser    
  16 Herzbeklemmung vielleicht bloß mechanisch und nicht zu heben sei, brachte    
  17 es bald dahin, daß ich mich an sie gar nicht kehrte, und während dessen,    
  18 daß ich mich in der Brust beklommen fühlte, im Kopf doch Ruhe und    
  19 Heiterkeit herrschte, die sich auch in der Gesellschaft nicht nach abwechselnden    
  20 Launen (wie Hypochondrische pflegen), sondern absichtlich und natürlich    
  21 mitzutheilen nicht ermangelte. Und da man des Lebens mehr froh    
  22 wird durch das, was man im freien Gebrauch desselben thut, als was    
  23 man genießt, so können Geistesarbeiten eine andere Art von befördertem    
  24 Lebensgefühl den Hemmungen entgegen setzen, welche bloß den Körper angehen.    
  25 Die Beklemmung ist mir geblieben; denn ihre Ursache liegt in    
  26 meinem körperlichen Bau. Aber über ihren Einfluß auf meine Gedanken    
  27 und Handlungen bin ich Meister geworden durch Abkehrung der Aufmerksamkeit    
  28 von diesem Gefühle, als ob es mich gar nicht anginge.    
         
  29
2.
   
  30
Vom Schlafe.
   
         
  31 Was die Türken nach ihren Grundsätzen der Prädestination über    
  32 die Mäßigkeit sagen: daß nämlich im Anfange der Welt jedem Menschen    
  33 die Portion zugemessen worden, wie viel er im Leben zu essen haben werde,    
  34 und, wenn er seinen beschiedenen Theil in großen Portionen verzehrt, er    
  35 auf eine desto kürzere Zeit zu essen, mithin zu sein sich Rechnung machen    
         
     

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