Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 054 |
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| 01 | das Wesentliche (in subjektiver Bedeutung) der Religion überhaupt angehen. | ||||||
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| 03 | Da die Mittel zu diesem Zwecke nicht empirisch sein können -weil | ||||||
| 04 | diese allenfalls wohl auf die That, aber nicht auf die Gesinnung hinwirken | ||||||
| 05 | -, so muß für den, der alles Übersinnliche zugleich für übernatürlich | ||||||
| 06 | hält, die obige Aufgabe sich in die Frage verwandeln: wie ist die | ||||||
| 07 | Wiedergeburt (als die Folge der Bekehrung, wodurch jemand ein anderer, | ||||||
| 08 | neuer Mensch wird) durch göttlichen unmittelbaren Einfluß möglich, und | ||||||
| 09 | was hat der Mensch zu thun, um diesen herbei zu ziehen? Ich behaupte, | ||||||
| 10 | daß, ohne die Geschichte zu Rathe zu ziehen (als welche zwar Meinungen, | ||||||
| 11 | aber nicht die Nothwendigkeit derselben vorstellig machen kann), man a priori | ||||||
| 12 | einen unausbleiblichen Sectenunterschied, den blos diese Aufgabe bei | ||||||
| 13 | denen bewirkt, welchen es eine Kleinigkeit ist, zu einer natürlichen Wirkung | ||||||
| 14 | übernatürliche Ursachen herbei zu rufen, vorher sagen kann, ja daß diese | ||||||
| 15 | Spaltung auch die einzige sei, welche zur Benennung zweier verschiedener | ||||||
| 16 | Religionssecten berechtigt; denn die anderen, welche man fälschlich so benennt, | ||||||
| 17 | sind nur Kirchensecten und gehen das Innere der Religion nicht | ||||||
| 18 | an.- Ein jedes Problem aber besteht erstlich aus der Quästion der | ||||||
| 19 | Aufgabe, zweitens der Auflösung und drittens dem Beweis, daß das | ||||||
| 20 | Verlangte durch die letztere geleistet werde. Also: | ||||||
| 21 | 1) Die Aufgabe (die der wackere Spener mit Eifer allen Lehrern | ||||||
| 22 | der Kirche zurief) ist: der Religionsvortrag muß zum Zweck haben, aus | ||||||
| 23 | uns andere, nicht blos bessere Menschen (gleich als ob wir so schon gute, | ||||||
| 24 | aber nur dem Grade nach vernachlässigte wären) zu machen. Dieser Satz | ||||||
| 25 | ward den Orthodoxisten (ein nicht übel ausgedachter Name) in den | ||||||
| 26 | Weg geworfen, welche in dem Glauben an die reine Offenbarungslehre | ||||||
| 27 | und den von der Kirche vorgeschriebenen Observanzen (dem Beten, dem | ||||||
| 28 | Kirchengehen und den Sacramenten) neben dem ehrbaren (zwar mit Übertretungen | ||||||
| 29 | untermengten, durch jene aber immer wieder gut zu machenden) | ||||||
| 30 | Lebenswandel die Art setzten, Gott wohlgefällig zu werden.- Die Aufgabe | ||||||
| 31 | ist also ganz in der Vernunft gegründet. | ||||||
| 32 | 2) Die Auflösung aber ist völlig mystisch ausgefallen: so wie man | ||||||
| 33 | es vom Supernaturalism in Principien der Religion erwarten konnte, der, | ||||||
| 34 | weil der Mensch von Natur in Sünden todt sei, keine Besserung aus eigenen | ||||||
| 35 | Kräften hoffen lasse, selbst nicht aus der ursprünglichen unverfälschbaren | ||||||
| 36 | moralischen Anlage in seiner Natur, die, ob sie gleich übersinnlich | ||||||
| 37 | ist, dennoch Fleisch genannt wird, darum weil ihre Wirkung nicht zugleich | ||||||
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