Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 031 |
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| 01 | ihm das Volk zufallen und die Seite der philosophischen Facultät mit Verachtung | ||||||
| 02 | verlassen werde. | ||||||
| 03 | Die Geschäftsleute der drei oberen Facultäten sind aber jederzeit | ||||||
| 04 | solche Wundermänner, wenn der philosophischen nicht erlaubt wird, ihnen | ||||||
| 05 | öffentlich entgegen zu arbeiten, nicht um ihre Lehren zu stürzen, sondern | ||||||
| 06 | nur der magischen Kraft, die ihnen und den damit verbundenen Observanzen | ||||||
| 07 | das Publicum abergläubisch beilegt, zu widersprechen, als wenn es | ||||||
| 08 | bei einer passiven Übergebung an solche kunstreiche Führer alles Selbstthuns | ||||||
| 09 | überhoben und mit großer Gemächlichkeit durch sie zu Erreichung | ||||||
| 10 | jener angelegenen Zwecke schon werde geleitet werden. | ||||||
| 11 | Wenn die obern Facultäten solche Grundsätze annehmen (welches freilich | ||||||
| 12 | ihre Bestimmung nicht ist), so sind und bleiben sie ewig im Streit mit | ||||||
| 13 | der unteren; dieser Streit aber ist auch gesetzwidrig, weil sie die Übertretung | ||||||
| 14 | der Gesetze nicht allein als kein Hinderniß, sondern wohl gar als | ||||||
| 15 | erwünschte Veranlassung ansehen, ihre große Kunst und Geschicklichkeit zu | ||||||
| 16 | zeigen, alles wieder gut, ja noch besser zu machen, als es ohne dieselbe geschehen | ||||||
| 17 | würde. | ||||||
| 18 | Das Volk will geleitet, d.i. (in der Sprache der Demagogen) es | ||||||
| 19 | will betrogen sein. Es will aber nicht von den Facultätsgelehrten (denn | ||||||
| 20 | deren Weisheit ist ihm zu hoch), sondern von den Geschäftsmännern derselben, | ||||||
| 21 | die das Machwerk ( savoir faire ) verstehen, von den Geistlichen, | ||||||
| 22 | Justizbeamten, Ärzten, geleitet sein, die als Praktiker die vortheilhafteste | ||||||
| 23 | Vermuthung für sich haben; dadurch dann die Regierung, die nur durch | ||||||
| 24 | sie aufs Volk wirken kann, selbst verleitet wird, den Facultäten eine | ||||||
| 25 | Theorie aufzudringen, die nicht aus der reinen Einsicht der Gelehrten derselben | ||||||
| 26 | entsprungen, sondern auf den Einfluß berechnet ist, den ihre Geschäftsmänner | ||||||
| 27 | dadurch aufs Volk haben können, weil dieses natürlicherweise | ||||||
| 28 | dem am meisten anhängt, wobei es am wenigsten nöthig hat, sich | ||||||
| 29 | selbst zu bemühen und sich seiner eigenen Vernunft zu bedienen, und wo | ||||||
| 30 | am besten die Pflichten mit den Neigungen in Verträglichkeit gebracht | ||||||
| 31 | werden können; z.B. im theologischen Fache, das buchstäblich "Glauben", | ||||||
| 32 | ohne zu untersuchen (selbst ohne einmal recht zu verstehen), was geglaubt | ||||||
| 33 | werden soll, für sich heilbringend sei und daß durch Begehung gewisser vorschriftsmäßigen | ||||||
| 34 | Formalien unmittelbar Verbrechen können abgewaschen | ||||||
| 35 | werden; oder im juristischen, daß die Befolgung des Gesetzes nach dem | ||||||
| 36 | Buchstaben der Untersuchung des Sinnes des Gesetzgebers überhebe. | ||||||
| 37 | Hier ist nun ein wesentlicher, nie beizulegender gesetzwidriger Streit | ||||||
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