Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 029 |
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| 01 | den ihnen in Führung ihres respectiven Amts von der Regierung zum | ||||||
| 02 | vortrage anvertrauten Lehren nicht öffentlich widersprechen und den Philosophen | ||||||
| 03 | zu spielen sich erkühnen; denn das kann nur den Facultäten, nicht | ||||||
| 04 | den von der Regierung bestellten Beamten erlaubt sein: weil diese ihr | ||||||
| 05 | Wissen nur von jenen her haben. Die letztern nämlich, z.B. Prediger und | ||||||
| 06 | Rechtsbeamte, wenn sie ihre Einwendungen und Zweifel gegen die geistliche | ||||||
| 07 | oder weltliche Gesetzgebung ans Volk zu richten sich gelüsten ließen, | ||||||
| 08 | würden es dadurch gegen die Regierung aufwiegeln; dagegen die Facultäten | ||||||
| 09 | sie nur gegen einander, als Gelehrte, richten, wovon das Volk praktischerweise | ||||||
| 10 | keine Notiz nimmt, selbst wenn sie auch zu seiner Kenntniß gelangen, | ||||||
| 11 | weil es sich selbst bescheidet, daß Vernünfteln nicht seine Sache sei, | ||||||
| 12 | und sich daher verbunden fühlt, sich nur an dem zu halten, was ihm durch | ||||||
| 13 | die dazu bestellte Beamte der Regierung verkündigt wird.- Diese Freiheit | ||||||
| 14 | aber, die der untern Facultät nicht geschmälert werden darf, hat den | ||||||
| 15 | Erfolg, daß die obern Facultäten (selbst besser belehrt) die Beamte immer | ||||||
| 16 | mehr in das Gleis der Wahrheit bringen, welche dann ihrerseits, auch über | ||||||
| 17 | ihre Pflicht besser aufgeklärt, in der Abänderung des Vortrags keinen Ansto | ||||||
| 18 | finden werden; da er nur ein besseres Verständniß der Mittel zu eben | ||||||
| 19 | demselben Zweck ist, welches ohne polemische und nur Unruhe erregende | ||||||
| 20 | Angriffe auf bisher bestandene Lehrweisen mit völliger Beibehaltung des | ||||||
| 21 | Materialen derselben gar wohl geschehen kann. | ||||||
| 22 | Dritter Abschnitt. |
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| 23 | Vom gesetzwidrigen Streit der oberen Facultäten |
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| 24 | mit der unteren. |
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| 25 | Gesetzwidrig ist ein öffentlicher Streit der Meinungen, mithin ein | ||||||
| 26 | gelehrter Streit entweder der Materie wegen, wenn es gar nicht erlaubt | ||||||
| 27 | wäre, über einen öffentlichen Satz zu streiten, weil es gar nicht erlaubt | ||||||
| 28 | ist, über ihn und seinen Gegensatz öffentlich zu urtheilen; oder blos der | ||||||
| 29 | Form wegen, wenn die Art, wie er geführt wird, nicht in objectiven Gründen, | ||||||
| 30 | die auf die Vernunft des Gegners gerichtet sind, sondern in subjectiven, | ||||||
| 31 | sein Urtheil durch Neigung bestimmenden Bewegursachen besteht, um | ||||||
| 32 | ihn durch List (wozu auch Bestechung gehört) oder Gewalt (Drohung) zur | ||||||
| 33 | Einwilligung zu bringen. | ||||||
| 34 | Nun wird der Streit der Facultäten um den Einfluß aufs Volk geführt, | ||||||
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