| Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 169 | |||||||
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| 01 | Man kann aber aus der Natur der Urtheilskraft (deren richtiger Gebrauch | ||||||
| 02 | so nothwendig und allgemein erforderlich ist, daß daher unter dem | ||||||
| 03 | Namen des gesunden Verstandes kein anderes, als eben dieses Vermögen | ||||||
| 04 | gemeint wird) leicht abnehmen, daß es mit großen Schwierigkeiten begleitet | ||||||
| 05 | sein müsse, ein eigenthümliches Princip derselben auszufinden (denn | ||||||
| 06 | irgend eins muß sie a priori in sich enthalten, weil sie sonst nicht, als ein | ||||||
| 07 | besonderes Erkenntnißvermögen, selbst der gemeinsten Kritik ausgesetzt | ||||||
| 08 | sein würde), welches gleichwohl nicht aus Begriffen a priori abgeleitet sein | ||||||
| 09 | muß; denn die gehören dem Verstande an, und die Urtheilskraft geht nur | ||||||
| 10 | auf die Anwendung derselben. Sie soll also selbst einen Begriff angeben, | ||||||
| 11 | durch den eigentlich kein Ding erkannt wird, sondern der nur ihr selbst | ||||||
| 12 | zur Regel dient, aber nicht zu einer objectiven, der sie ihr Urtheil anpassen | ||||||
| 13 | kann, weil dazu wiederum eine andere Urtheilskraft erforderlich sein würde, | ||||||
| 14 | um unterscheiden zu können, ob es der Fall der Regel sei oder nicht. | ||||||
| 15 | Diese Verlegenheit wegen eines Princips (es sei nun ein subjectives | ||||||
| 16 | oder objectives) findet sich hauptsächlich in denjenigen Beurtheilungen, die | ||||||
| 17 | man ästhetisch nennt, die das Schöne und Erhabne der Natur oder der | ||||||
| 18 | Kunst betreffen. Und gleichwohl ist die kritische Untersuchung eines Princips | ||||||
| 19 | der Urtheilskraft in denselben das wichtigste Stück einer Kritik dieses | ||||||
| 20 | Vermögens. Denn ob sie gleich für sich allein zum Erkenntniß der Dinge | ||||||
| 21 | gar nichts beitragen, so gehören sie doch dem Erkenntnißvermögen allein | ||||||
| 22 | an und beweisen eine unmittelbare Beziehung dieses Vermögens auf das | ||||||
| 23 | Gefühl der Lust oder Unlust nach irgend einem Princip a priori, ohne es | ||||||
| 24 | mit dem, was Bestimmungsgrund des Begehrungsvermögens sein kann, | ||||||
| 25 | zu vermengen, weil dieses seine Principien a priori in Begriffen der Vernunft | ||||||
| 26 | hat. - Was aber die logische Beurtheilung der Natur anbelangt, | ||||||
| 27 | da, wo die Erfahrung eine Gesetzmäßigkeit an Dingen aufstellt, welche zu | ||||||
| 28 | verstehen oder zu erklären der allgemeine Verstandesbegriff vom Sinnlichen | ||||||
| 29 | nicht mehr zulangt, und die Urtheilskraft aus sich selbst ein Princip | ||||||
| 30 | der Beziehung des Naturdinges auf das unerkennbare Übersinnliche | ||||||
| 31 | nehmen kann, es auch nur in Absicht auf sich selbst zum Erkenntniß der | ||||||
| 32 | Natur brauchen muß, da kann und muß ein solches Princip a priori zwar | ||||||
| 33 | zum Erkenntniß der Weltwesen angewandt werden und eröffnet zugleich | ||||||
| 34 | Aussichten, die für die praktische Vernunft vortheilhaft sind: aber es hat | ||||||
| 35 | keine unmittelbare Beziehung auf das Gefühl der Lust und Unlust, die | ||||||
| 36 | gerade das Räthselhafte in dem Princip der Urtheilskraft ist, welches eine | ||||||
| 37 | besondere Abtheilung in der Kritik für dieses Vermögen nothwendig | ||||||
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