Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 041 |
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| 01 | Die auf der linken Seite stehende sind insgesammt empirisch und taugen offenbar | ||||||
| 02 | gar nicht zum allgemeinen Princip der Sittlichkeit. Aber die auf der rechten | ||||||
| 03 | Seite gründen sich auf der Vernunft (denn Vollkommenheit als Beschaffenheit | ||||||
| 04 | der Dinge und die höchste Vollkommenheit, in Substanz vorgestellt, d. i. Gott, | ||||||
| 05 | sind beide nur durch Vernunftbegriffe zu denken). Allein der erstere Begriff, nämlich | ||||||
| 06 | der Vollkommenheit, kann entweder in theoretischer Bedeutung genommen | ||||||
| 07 | werden, und da bedeutet er nichts, als Vollständigkeit eines jeden Dinges | ||||||
| 08 | in seiner Art (transscendentale), oder eines Dinges blos als Dinges überhaupt | ||||||
| 09 | (metaphysische), und davon kann hier nicht die Rede sein. Der Begriff der Vollkommenheit | ||||||
| 10 | in praktischer Bedeutung aber ist die Tauglichkeit oder Zulänglichkeit | ||||||
| 11 | eines Dinges zu allerlei Zwecken. Diese Vollkommenheit als Beschaffenheit | ||||||
| 12 | des Menschen, folglich innerliche, ist nichts anders als Talent und, was | ||||||
| 13 | dieses stärkt oder ergänzt, Geschicklichkeit. Die höchste Vollkommenheit in | ||||||
| 14 | Substanz, d. i. Gott, folglich äußerliche, (in praktischer Absicht betrachtet) ist die | ||||||
| 15 | Zulänglichkeit dieses Wesens zu allen Zwecken überhaupt. Wenn nun also uns | ||||||
| 16 | Zwecke vorher gegeben werden müssen, in Beziehung auf welche der Begriff der | ||||||
| 17 | Vollkommenheit (einer inneren an uns selbst, oder einer äußeren an Gott) | ||||||
| 18 | allein Bestimmungsgrund des Willens werden kann, ein Zweck aber als Object, | ||||||
| 19 | welches vor der Willensbestimmung durch eine praktische Regel vorhergehen und | ||||||
| 20 | den Grund der Möglichkeit einer solchen enthalten muß, mithin die Materie des | ||||||
| 21 | Willens, als Bestimmungsgrund desselben genommen, jederzeit empirisch ist, mithin | ||||||
| 22 | zum Epikurischen Princip der Glückseligkeitslehre, niemals aber zum reinen | ||||||
| 23 | Vernunftprincip der Sittenlehre und der Pflicht dienen kann (wie denn Talente | ||||||
| 24 | und ihre Beförderung nur, weil sie zu Vortheilen des Lebens beitragen, oder der | ||||||
| 25 | Wille Gottes, wenn Einstimmung mit ihm ohne vorhergehendes, von dessen Idee | ||||||
| 26 | unabhängiges praktisches Princip zum Objecte des Willens genommen worden, | ||||||
| 27 | nur durch die Glückseligkeit, die wir davon erwarten, Bewegursache desselben | ||||||
| 28 | werden können), so folgt erstlich, daß alle hier aufgestellte Principien material | ||||||
| 29 | sind, zweitens, daß sie alle mögliche materiale Principien befassen, und daraus | ||||||
| 30 | endlich der Schluß: daß, weil materiale Principien zum obersten Sittengesetz ganz | ||||||
| 31 | untauglich sind (wie bewiesen worden), das formale praktische Princip der | ||||||
| 32 | reinen Vernunft, nach welchem die bloße Form einer durch unsere Maximen möglichen | ||||||
| 33 | allgemeinen Gesetzgebung den obersten und unmittelbaren Bestimmungsgrund | ||||||
| 34 | des Willens ausmachen muß, das einzige mögliche sei, welches zu kategorischen | ||||||
| 35 | Imperativen, d. i. praktischen Gesetzen (welche Handlungen zur Pflicht | ||||||
| 36 | machen), und überhaupt zum Princip der Sittlichkeit sowohl in der Beurtheilung, | ||||||
| 37 | als auch der Anwendung auf den menschlichen Willen in Bestimmung desselben | ||||||
| 38 | tauglich ist. | ||||||
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