Kant: AA IV, Metaphysische Anfangsgründe ... , Seite 532 |
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| 01 | doch keine Kunst wiederum scheiden kann. Diese chemische Durchdringung könnte | ||||||
| 02 | auch selbst da angetroffen werden , wo die eine beider Materien durch die andere | ||||||
| 03 | eben nicht zertrennt und im buchstäblichen Sinne aufgelöset wird, so wie etwa der | ||||||
| 04 | Wärmestoff die Körper durchdringt, da, wenn er sich nur in leere Zwischenräume | ||||||
| 05 | derselben vertheilte, die feste Substanz selbst kalt bleiben würde, weil diese nichts | ||||||
| 06 | von ihr einnehmen könnte. Imgleichen könnte man sich sogar einen scheinbarlich | ||||||
| 07 | freien Durchgang gewisser Materien durch andere auf solche Weise denken, z. B. | ||||||
| 08 | der magnetischen Materie, ohne ihr dazu offene Gänge und leere Zwischenräume | ||||||
| 09 | in allen, selbst den dichtesten Materien vorzubereiten. Doch es ist hier nicht der | ||||||
| 10 | Ort, Hypothesen zu besonderen Erscheinungen, sondern nur das Princip, wornach | ||||||
| 11 | sie alle zu beurtheilen sind, ausfindig zu machen. Alles, was uns des Bedürfnisses | ||||||
| 12 | überhebt, zu leeren Räumen unsere Zuflucht zu nehmen, ist wirklicher | ||||||
| 13 | Gewinn für die Naturwissenschaft. Denn diese geben gar zu viel Freiheit der | ||||||
| 14 | Einbildungskraft, den Mangel der inneren Naturkenntniß durch Erdichtung zu | ||||||
| 15 | ersetzen. Das absolut Leere und das absolut Dichte sind in der Naturlehre ungefähr | ||||||
| 16 | das, was der blinde Zufall und das blinde Schicksal in der metaphysischen | ||||||
| 17 | Weltwissenschaft sind, nämlich ein Schlagbaum für die herrschende Vernunft, damit | ||||||
| 18 | entweder Erdichtung ihre Stelle einnehme, oder sie auf dem Polster dunkler | ||||||
| 19 | Qualitäten zur Ruhe gebracht werde. | ||||||
| 20 | Was nun aber das Verfahren in der Naturwissenschaft in Ansehung der | ||||||
| 21 | vornehmsten aller ihrer Aufgaben, nämlich der Erklärung einer ins Unendliche | ||||||
| 22 | möglichen specifischen Verschiedenheit der Materien, betrifft, so kann | ||||||
| 23 | man dabei nur zwei Wege einschlagen: den mechanischen, durch die Verbindung | ||||||
| 24 | des Absolutvollen mit dem Absolutleeren, oder einen ihm entgegengesetzten | ||||||
| 25 | dynamischen Weg, durch die bloße Verschiedenheit in der Verbindung der ursprünglichen | ||||||
| 26 | Kräfte der Zurückstoßung und Anziehung alle Verschiedenheiten der | ||||||
| 27 | Materien zu erklären. Der erste hat zu Materialien seiner Ableitung die Atomen | ||||||
| 28 | und das Leere. Ein Atom ist ein kleiner Theil der Materie, der physisch | ||||||
| 29 | untheilbar ist. Physisch untheilbar ist eine Materie, deren Theile mit einer | ||||||
| 30 | Kraft zusammenhängen, die durch keine in der Natur befindliche bewegende Kraft | ||||||
| 31 | überwältigt werden kann. Ein Atom, so fern er sich durch seine Figur von andern | ||||||
| 32 | specifisch unterscheidet, heißt ein erstes Körperchen. Ein Körper (oder Körperchen), | ||||||
| 33 | dessen bewegende Kraft von seiner Figur abhängt, heißt Maschine. | ||||||
| 34 | Die Erklärungsart der specifischen Verschiedenheit der Materien durch die | ||||||
| 35 | Beschaffenheit und Zusammensetzung ihrer kleinsten Theile, als Maschinen, ist die | ||||||
| 36 | mechanische Naturphilosophie: diejenige aber, welche aus Materien nicht | ||||||
| 37 | als Maschinen, d. i. bloßen Werkzeugen äußerer bewegenden Kräfte, sondern | ||||||
| 38 | ihnen ursprünglich eigenen bewegenden Kräften der Anziehung und Zurückstoßung | ||||||
| 39 | die specifische Verschiedenheit der Materie ableitet, kann die dynamische Naturphilosophie | ||||||
| 40 | genannt werden. Die mechanische Erklärungsart, da sie der | ||||||
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