| Kant: AA IV, Grundlegung zur Metaphysik der ... , Seite 439 | |||||||
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| 01 | begünstigen werde, so bleibt doch jenes Gesetz: handle nach Maximen | ||||||
| 02 | eines allgemein gesetzgebenden Gliedes zu einem bloß möglichen Reiche | ||||||
| 03 | der Zwecke, in seiner vollen Kraft, weil es kategorisch gebietend ist. Und | ||||||
| 04 | hierin liegt eben das Paradoxon: daß bloß die Würde der Menschheit | ||||||
| 05 | als vernünftiger Natur ohne irgend einen andern dadurch zu erreichenden | ||||||
| 06 | Zweck oder Vortheil, mithin die Achtung für eine bloße Idee dennoch zur | ||||||
| 07 | unnachlaßlichen Vorschrift des Willens dienen sollte, und daß gerade in | ||||||
| 08 | dieser Unabhängigkeit der Maxime von allen solchen Triebfedern die Erhabenheit | ||||||
| 09 | derselben bestehe und die Würdigkeit eines jeden vernünftigen | ||||||
| 10 | Subjects, ein gesetzgebendes Glied im Reiche der Zwecke zu sein; denn | ||||||
| 11 | sonst würde es nur als dem Naturgesetze seines Bedürfnisses unterworfen | ||||||
| 12 | vorgestellt werden müssen. Obgleich auch das Naturreich sowohl, als das | ||||||
| 13 | Reich der Zwecke als unter einem Oberhaupte vereinigt gedacht würde, | ||||||
| 14 | und dadurch das letztere nicht mehr bloße Idee bliebe, sondern wahre Realität | ||||||
| 15 | erhielte, so würde hiedurch zwar jener der Zuwachs einer starken | ||||||
| 16 | Triebfeder, niemals aber Vermehrung ihres innern Werths zu statten | ||||||
| 17 | kommen; denn diesem ungeachtet müßte doch selbst dieser alleinige unumschränkte | ||||||
| 18 | Gesetzgeber immer so vorgestellt werden, wie er den Werth der | ||||||
| 19 | vernünftigen Wesen nur nach ihrem uneigennützigen, bloß aus jener Idee | ||||||
| 20 | ihnen selbst vorgeschriebenen Verhalten beurtheilte. Das Wesen der Dinge | ||||||
| 21 | ändert sich durch ihre äußere Verhältnisse nicht, und was, ohne an das | ||||||
| 22 | letztere zu denken, den absoluten Werth des Menschen allein ausmacht, | ||||||
| 23 | darnach muß er auch, von wem es auch sei, selbst vom höchsten Wesen beurtheilt | ||||||
| 24 | werden. Moralität ist also das Verhältniß der Handlungen | ||||||
| 25 | zur Autonomie des Willens, das ist zur möglichen allgemeinen Gesetzgebung | ||||||
| 26 | durch die Maximen desselben. Die Handlung, die mit der Autonomie | ||||||
| 27 | des Willens zusammen bestehen kann, ist erlaubt; die nicht damit | ||||||
| 28 | stimmt, ist unerlaubt. Der Wille, dessen Maximen nothwendig mit den | ||||||
| 29 | Gesetzen der Autonomie zusammenstimmen, ist ein heiliger, schlechterdings | ||||||
| 30 | guter Wille. Die Abhängigkeit eines nicht schlechterdings guten | ||||||
| 31 | Willens vom Princip der Autonomie (die moralische Nöthigung) ist Verbindlichkeit. | ||||||
| 32 | Diese kann also auf ein heiliges Wesen nicht gezogen | ||||||
| 33 | werden. Die objective Nothwendigkeit einer Handlung aus Verbindlichkeit | ||||||
| 34 | heißt Pflicht. | ||||||
| 35 | Man kann aus dem kurz vorhergehenden sich es jetzt leicht erklären, | ||||||
| 36 | wie es zugehe: daß, ob wir gleich unter dem Begriffe von Pflicht uns eine | ||||||
| 37 | Unterwürfigkeit unter dem Gesetze denken, wir uns dadurch doch zugleich | ||||||
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