Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 261 |
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| 01 | konnte ich sichere, obgleich immer nur langsame Schritte thun, um endlich | ||||||
| 02 | den ganzen Umfang der reinen Vernunft in seinen Grenzen sowohl, als | ||||||
| 03 | seinem Inhalt vollständig und nach allgemeinen Principien zu bestimmen, | ||||||
| 04 | welches denn dasjenige war, was Metaphysik bedarf, um ihr System nach | ||||||
| 05 | einem sicheren Plan aufzuführen. | ||||||
| 06 | Ich besorge aber, daß es der Ausführung des Humischen Problems | ||||||
| 07 | in seiner möglich größten Erweiterung (nämlich der Kritik der | ||||||
| 08 | reinen Vernunft) eben so gehen dürfte, als es dem Problem selbst erging, | ||||||
| 09 | da es zuerst vorgestellt wurde. Man wird sie unrichtig beurtheilen, | ||||||
| 10 | weil man sie nicht versteht; man wird sie nicht verstehen, weil man das | ||||||
| 11 | Buch zwar durchzublättern, aber nicht durchzudenken Lust hat; und man | ||||||
| 12 | wird diese Bemühung darauf nicht verwenden wollen, weil das Werk | ||||||
| 13 | trocken, weil es dunkel, weil es allen gewohnten Begriffen widerstreitend | ||||||
| 14 | und überdem weitläuftig ist. Nun gestehe ich, daß es mir unerwartet sei, | ||||||
| 15 | von einem Philosophen Klagen wegen Mangels an Popularität, Unterhaltung | ||||||
| 16 | und Gemächlichkeit zu hören, wenn es um die Existenz einer gepriesenen | ||||||
| 17 | und der Menschheit unentbehrlichen Erkenntniß selbst zu thun | ||||||
| 18 | ist, die nicht anders als nach den strengsten Regeln einer schulgerechten | ||||||
| 19 | Pünktlichkeit ausgemacht werden kann, auf welche zwar mit der Zeit auch | ||||||
| 20 | Popularität folgen, aber niemals den Anfang machen darf. Allein was | ||||||
| 21 | eine gewisse Dunkelheit betrifft, die zum Theil von der Weitläuftigkeit des | ||||||
| 22 | Plans herrührt, bei welcher man die Hauptpunkte, auf die es bei der | ||||||
| 23 | Untersuchung ankommt, nicht wohl übersehen kann: so ist die Beschwerde | ||||||
| 24 | deshalb gerecht, und dieser werde ich durch gegenwärtige Prolegomena | ||||||
| 25 | abhelfen. | ||||||
| 26 | Jenes Werk, welches das reine Vernunftvermögen in seinem ganzen | ||||||
| 27 | Umfange und Grenzen darstellt, bleibt dabei immer die Grundlage, worauf | ||||||
| 28 | sich die Prolegomena nur als Vorübungen beziehen; denn jene Kritik | ||||||
| 29 | muß als Wissenschaft systematisch und bis zu ihren kleinsten Theilen vollständig | ||||||
| 30 | dastehen, ehe noch daran zu denken ist, Metaphysik auftreten zu | ||||||
| 31 | lassen, oder sich auch nur eine entfernte Hoffnung zu derselben zu machen. | ||||||
| 32 | Man ist es schon lange gewohnt, alte, abgenutzte Erkenntnisse dadurch | ||||||
| 33 | neu aufgestutzt zu sehen, daß man sie aus ihren vormaligen Verbindungen | ||||||
| 34 | herausnimmt, ihnen ein systematisches Kleid nach eigenem beliebigen | ||||||
| 35 | Schnitte, aber unter neuen Titeln anpaßt; und nichts anders | ||||||
| 36 | wird der größte Theil der Leser auch von jener Kritik zum voraus erwarten. | ||||||
| 37 | Allein diese Prolegomena werden ihn dahin bringen, einzusehen, | ||||||
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