Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 243  | 
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| 01 | Alle Einwürfe können in dogmatische, kritische und sceptische | ||||||
| 02 | eingetheilt werden. Der dogmatische Einwurf ist, der wider einen Satz, | ||||||
| 03 | der kritische, der wider den Beweis eines Satzes gerichtet ist. Der erstere | ||||||
| 04 | bedarf einer Einsicht in die Beschaffenheit der Natur des Gegenstandes, | ||||||
| 05 | um das Gegentheil von demjenigen behaupten zu können, was der Satz | ||||||
| 06 | von diesem Gegenstande vorgiebt; er ist daher selbst dogmatisch und giebt | ||||||
| 07 | vor, die Beschaffenheit, von der die Rede ist, besser zu kennen als der | ||||||
| 08 | Gegentheil. Der kritische Einwurf, weil er den Satz in seinem Werthe | ||||||
| 09 | oder Unwerthe unangetastet läßt und nur den Beweis anficht, bedarf gar | ||||||
| 10 | nicht den Gegenstand besser zu kennen, oder sich einer besseren Kenntniß | ||||||
| 11 | desselben anzumaßen; er zeigt nur, daß die Behauptung grundlos, nicht, | ||||||
| 12 | daß sie unrichtig sei. Der sceptische stellt Satz und Gegensatz wechselseitig | ||||||
| 13 | gegen einander als Einwürfe von gleicher Erheblichkeit, einen jeden derselben | ||||||
| 14 | wechselsweise als Dogma und den andern als dessen Einwurf, ist | ||||||
| 15 | also auf zwei entgegengesetzten Seiten dem Scheine nach dogmatisch, um | ||||||
| 16 | alles Urtheil über den Gegenstand gänzlich zu vernichten. Der dogmatische | ||||||
| 17 | also sowohl als sceptische Einwurf müssen beide so viel Einsicht ihres Gegenstandes | ||||||
| 18 | vorgeben, als nöthig ist, etwas von ihm bejahend oder verneinend | ||||||
| 19 | zu behaupten. Der kritische ist allein von der Art, daß, indem er | ||||||
| 20 | blos zeigt, man nehme zum Behuf seiner Behauptung etwas an, was | ||||||
| 21 | nichtig und blos eingebildet ist, die Theorie stürzt, dadurch daß er ihr die | ||||||
| 22 | angemaßte Grundlage entzieht, ohne sonst etwas über die Beschaffenheit | ||||||
| 23 | des Gegenstandes ausmachen zu wollen. | ||||||
| 24 | Nun sind wir nach den gemeinen Begriffen unserer Vernunft in Ansehung | ||||||
| 25 | der Gemeinschaft, darin unser denkendes Subject mit den Dingen | ||||||
| 26 | außer uns steht, dogmatisch und sehen diese als wahrhafte, unabhängig | ||||||
| 27 | von uns bestehende Gegenstände an nach einem gewissen transscendentalen | ||||||
| 28 | Dualism, der jene äußere Erscheinungen nicht als Vorstellungen | ||||||
| 29 | zum Subjecte zählt, sondern sie, so wie sinnliche Anschauung sie uns liefert, | ||||||
| 30 | außer uns als Objecte versetzt und sie von dem denkenden Subjecte gänzlich | ||||||
| 31 | abtrennt. Diese Subreption ist nun die Grundlage aller Theorien | ||||||
| 32 | über die Gemeinschaft zwischen Seele und Körper, und es wird niemals | ||||||
| 33 | gefragt, ob denn diese objective Realität der Erscheinungen so ganz richtig | ||||||
| 34 | sei, sondern diese wird als zugestanden vorausgesetzt und nur über die | ||||||
| 35 | Art vernünftelt, wie sie erklärt und begriffen werden müsse. Die gewöhnliche | ||||||
| 36 | drei hierüber erdachte und wirklich einzig mögliche Systeme sind die | ||||||
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