Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 008 |
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| 01 | so mit sich, ihr alle Verachtung zu beweisen, und die Matrone klagt, verstoßen | ||||||
| 02 | und verlassen, wie Hecuba: modo maxima rerum, tot generis | ||||||
| 03 | natisque potens - nunc trahor exul, inops - Ovid. Metam.. | ||||||
| 04 | Anfänglich war ihre Herrschaft, unter der Verwaltung der Dogmatiker, | ||||||
| 05 | despotisch. Allein weil die Gesetzgebung noch die Spur der alten | ||||||
| 06 | Barbarei an sich hatte, so artete sie durch innere Kriege nach und nach in | ||||||
| 07 | völlige Anarchie aus, und die Sceptiker, eine Art Nomaden, die allen | ||||||
| 08 | beständigen Anbau des Bodens verabscheuen, zertrennten von Zeit zu | ||||||
| 09 | Zeit die bürgerliche Vereinigung. Da ihrer aber zum Glück nur wenige | ||||||
| 10 | waren, so konnten sie nicht hindern, daß jene sie nicht immer aufs neue, | ||||||
| 11 | obgleich nach keinem unter sich einstimmigen Plane, wieder anzubauen | ||||||
| 12 | versuchten. In neueren Zeiten schien es zwar einmal, als sollte allen | ||||||
| 13 | diesen Streitigkeiten durch eine gewisse Physiologie des menschlichen | ||||||
| 14 | Verstandes (von dem berühmten Locke) ein Ende gemacht und die Rechtmäßigkeit | ||||||
| 15 | jener Ansprüche völlig entschieden werden; es fand sich aber, | ||||||
| 16 | daß, obgleich die Geburt jener vorgegebenen Königin aus dem Pöbel der | ||||||
| 17 | gemeinen Erfahrung abgeleitet wurde und dadurch ihre Anmaßung mit | ||||||
| 18 | Recht hätte verdächtig werden müssen, dennoch, weil diese Genealogie | ||||||
| 19 | ihr in der That fälschlich angedichtet war, sie ihre Ansprüche noch immer | ||||||
| 20 | behauptete, wodurch alles wiederum in den veralteten, wurmstichigen | ||||||
| 21 | Dogmatism und daraus in die Geringschätzung verfiel, daraus man die | ||||||
| 22 | Wissenschaft hatte ziehen wollen. Jetzt, nachdem alle Wege (wie man sich | ||||||
| 23 | überredet) vergeblich versucht sind, herrscht Überdruß und gänzlicher Indifferentism, | ||||||
| 24 | die Mutter des Chaos und der Nacht, in Wissenschaften, | ||||||
| 25 | aber doch zugleich der Ursprung, wenigstens das Vorspiel einer nahen | ||||||
| 26 | Umschaffung und Aufklärung derselben, wenn sie durch Übel angebrachten | ||||||
| 27 | Fleiß dunkel, verwirrt und unbrauchbar geworden. | ||||||
| 28 | Es ist nämlich umsonst, Gleichgültigkeit in Ansehung solcher | ||||||
| 29 | Nachforschungen erkünsteln zu wollen, deren Gegenstand der menschlichen | ||||||
| 30 | Natur nicht gleichgültig sein kann. Auch fallen jene vorgebliche Indifferentisten, | ||||||
| 31 | so sehr sie sich auch durch die Veränderung der Schulsprache | ||||||
| 32 | in einem populären Ton unkenntlich zu machen gedenken, wofern | ||||||
| 33 | sie nur überall etwas denken, in metaphysische Behauptungen unvermeidlich | ||||||
| 34 | zurück, gegen die sie doch so viel Verachtung vorgaben. Indessen ist | ||||||
| 35 | diese Gleichgültigkeit, die sich mitten in dem Flor aller Wissenschaften eräugnet | ||||||
| 36 | und gerade diejenige trifft, auf deren Kenntnisse, wenn dergleichen | ||||||
| 37 | zu haben wären, man unter allen am wenigsten Verzicht thun würde, doch | ||||||
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