| Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 371 | |||||||
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| 01 | leblosen oder bloß thierisch belebten Natur finden wir keinen Grund, irgend | ||||||
| 02 | ein Vermögen uns anders als bloß sinnlich bedingt zu denken. Allein der | ||||||
| 03 | Mensch, der die ganze Natur sonst lediglich nur durch Sinne kennt, erkennt | ||||||
| 04 | sich selbst auch durch bloße Apperception und zwar in Handlungen und | ||||||
| 05 | inneren Bestimmungen, die er gar nicht zum Eindrucke der Sinne zählen | ||||||
| 06 | kann, und ist sich selbst freilich eines Theils Phänomen, anderen Theils | ||||||
| 07 | aber, nämlich in Ansehung gewisser Vermögen, ein bloß intelligibeler Gegenstand, | ||||||
| 08 | weil die Handlung desselben gar nicht zur Receptivität der Sinnlichkeit | ||||||
| 09 | gezählt werden kann. Wir nennen diese Vermögen Verstand und | ||||||
| 10 | Vernunft; vornehmlich wird die letztere ganz eigentlich und vorzüglicher | ||||||
| 11 | Weise von allen empirisch bedingten Kräften unterschieden, da sie ihre Gegenstände | ||||||
| 12 | bloß nach Ideen erwägt und den Verstand darnach bestimmt, | ||||||
| 13 | der denn von seinen (zwar auch reinen) Begriffen einen empirischen Gebrauch | ||||||
| 14 | macht. | ||||||
| 15 | Daß diese Vernunft nun Causalität habe, wenigstens wir uns eine | ||||||
| 16 | dergleichen an ihr vorstellen, ist aus den Imperativen klar, welche wir | ||||||
| 17 | in allem Praktischen den ausübenden Kräften als Regeln aufgeben. Das | ||||||
| 18 | Sollen drückt eine Art von Nothwendigkeit und Verknüpfung mit Gründen | ||||||
| 19 | aus, die in der ganzen Natur sonst nicht vorkommt. Der Verstand | ||||||
| 20 | kann von dieser nur erkennen, was da ist oder gewesen ist oder sein wird. | ||||||
| 21 | Es ist unmöglich, daß etwas darin anders sein soll, als es in allen diesen | ||||||
| 22 | Zeitverhältnissen in der That ist; ja das Sollen, wenn man bloß den Lauf | ||||||
| 23 | der Natur vor Augen hat, hat ganz und gar keine Bedeutung. Wir können | ||||||
| 24 | gar nicht fragen, was in der Natur geschehen soll; eben so wenig als, was | ||||||
| 25 | für Eigenschaften ein Cirkel haben soll; sondern was darin geschieht, oder | ||||||
| 26 | welche Eigenschaften der letztere hat. | ||||||
| 27 | Dieses Sollen nun drückt eine mögliche Handlung aus, davon der | ||||||
| 28 | Grund nichts anders als ein bloßer Begriff ist, da hingegen von einer | ||||||
| 29 | bloßen Naturhandlung der Grund jederzeit eine Erscheinung sein muß. | ||||||
| 30 | Nun muß die Handlung allerdings unter Naturbedingungen möglich sein, | ||||||
| 31 | wenn auf sie das Sollen gerichtet ist; aber diese Naturbedingungen betreffen | ||||||
| 32 | nicht die Bestimmung der Willkür selbst, sondern nur die Wirkung | ||||||
| 33 | und den Erfolg derselben in der Erscheinung. Es mögen noch so viel Naturgründe | ||||||
| 34 | sein, die mich zum Wollen antreiben, noch so viel sinnliche | ||||||
| 35 | Anreize, so können sie nicht das Sollen hervorbringen, sondern nur ein | ||||||
| 36 | noch lange nicht nothwendiges, sondern jederzeit bedingtes Wollen, dem | ||||||
| 37 | dagegen das Sollen, das die Vernunft ausspricht, Maß und Ziel, ja Verbot | ||||||
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