Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 347 |
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| 01 | sich der contradictorische Widerstreit beider Behauptungen in | ||||||
| 02 | einen bloß dialektischen; und weil die Welt gar nicht an sich (unabhängig | ||||||
| 03 | von der regressiven Reihe meiner Vorstellungen) existirt, so existirt sie | ||||||
| 04 | weder als ein an sich unendliches, noch als ein an sich endliches | ||||||
| 05 | Ganzes. Sie ist nur im empirischen Regressus der Reihe der Erscheinungen | ||||||
| 06 | und für sich selbst gar nicht anzutreffen. Daher wenn diese jederzeit | ||||||
| 07 | bedingt ist, so ist sie niemals ganz gegeben, und die Welt ist also kein | ||||||
| 08 | unbedingtes Ganzes, existirt also auch nicht als ein solches, weder mit unendlicher, | ||||||
| 09 | noch endlicher Größe. | ||||||
| 10 | Was hier von der ersten kosmologischen Idee, nämlich der absoluten | ||||||
| 11 | Totalität der Größe in der Erscheinung, gesagt worden, gilt auch von | ||||||
| 12 | allen übrigen. Die Reihe der Bedingungen ist nur in der regressiven | ||||||
| 13 | Synthesis selbst, nicht aber an sich in der Erscheinung als einem eigenen, | ||||||
| 14 | vor allem Regressus gegebenen Dinge anzutreffen. Daher werde ich auch | ||||||
| 15 | sagen müssen: die Menge der Theile in einer gegebenen Erscheinung ist | ||||||
| 16 | an sich weder endlich, noch unendlich, weil Erscheinung nichts an sich selbst | ||||||
| 17 | Existirendes ist, und die Theile allererst durch den Regressus der decomponirenden | ||||||
| 18 | Synthesis und in demselben gegeben werden, welcher Regressus | ||||||
| 19 | niemals schlechthin ganz, weder als endlich, noch als unendlich, gegeben | ||||||
| 20 | ist. Eben das gilt von der Reihe der über einander geordneten Ursachen, | ||||||
| 21 | oder der bedingten bis zur unbedingt nothwendigen Existenz, welche niemals | ||||||
| 22 | weder an sich ihrer Totalität nach als endlich, noch als unendlich | ||||||
| 23 | angesehen werden kann, weil sie als Reihe subordinirter Vorstellungen | ||||||
| 24 | nur im dynamischen Regressus besteht, vor demselben aber und als für | ||||||
| 25 | sich bestehende Reihe von Dingen an sich selbst gar nicht existiren kann. | ||||||
| 26 | So wird demnach die Antinomie der reinen Vernunft bei ihren kosmologischen | ||||||
| 27 | Ideen gehoben, dadurch daß gezeigt wird, sie sei bloß dialektisch | ||||||
| 28 | und ein Widerstreit eines Scheins, der daher entspringt, daß man die | ||||||
| 29 | Idee der absoluten Totalität, welche nur als eine Bedingung der Dinge | ||||||
| 30 | an sich selbst gilt, auf Erscheinungen angewandt hat, die nur in der Vorstellung | ||||||
| 31 | und, wenn sie eine Reihe ausmachen, im successiven Regressus, | ||||||
| 32 | sonst aber gar nicht existiren. Man kann aber auch umgekehrt aus dieser | ||||||
| 33 | Antinomie einen wahren, zwar nicht dogmatischen, aber doch kritischen | ||||||
| 34 | und doctrinalen Nutzen ziehen: nämlich die transscendentale Idealität | ||||||
| 35 | der Erscheinungen dadurch indirect zu beweisen, wenn jemand etwa an | ||||||
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