Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 330 |
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| 01 | wählen. Weil es aber doch einem nachdenkenden und forschenden Wesen | ||||||
| 02 | anständig ist, gewisse Zeiten lediglich der Prüfung seiner eigenen Vernunft | ||||||
| 03 | zu widmen, hiebei aber alle Parteilichkeit gänzlich auszuziehen und | ||||||
| 04 | so seine Bemerkungen anderen zur Beurtheilung öffentlich mitzutheilen: | ||||||
| 05 | so kann es niemanden verargt, noch weniger verwehrt werden, die Sätze | ||||||
| 06 | und Gegensätze, so wie sie sich, durch keine Drohung geschreckt, vor Geschworenen | ||||||
| 07 | von seinem eigenen Stande (nämlich dem Stande schwacher | ||||||
| 08 | Menschen) vertheidigen können, auftreten zu lassen. | ||||||
| 09 | Der |
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| 10 | Antinomie der reinen Vernunft |
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| 11 | Vierter Abschnitt. |
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| 12 | Von den transscendentalen Aufgaben der reinen |
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| 13 | Vernunft, in so fern sie schlechterdings müssen aufgelöset |
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| 14 | werden können. |
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| 15 | Alle Aufgaben auflösen und alle Fragen beantworten zu wollen, | ||||||
| 16 | würde eine unverschämte Großsprecherei und ein so ausschweifender Eigendünkel | ||||||
| 17 | sein, daß man dadurch sich sofort um alles Zutrauen bringen müßte. | ||||||
| 18 | Gleichwohl giebt es Wissenschaften, deren Natur es so mit sich bringt, daß | ||||||
| 19 | eine jede darin vorkommende Frage aus dem, was man weiß, schlechthin | ||||||
| 20 | beantwortlich sein muß, weil die Antwort aus denselben Quellen entspringen | ||||||
| 21 | muß, daraus die Frage entspringt, und wo es keinesweges erlaubt ist, | ||||||
| 22 | unvermeidliche Unwissenheit vorzuschützen, sondern die Auflösung gefordert | ||||||
| 23 | werden kann. Was in allen möglichen Fällen Recht oder Unrecht sei, | ||||||
| 24 | muß man der Regel nach wissen können, weil es unsere Verbindlichkeit | ||||||
| 25 | betrifft, und wir zu dem, was wir nicht wissen können, auch keine | ||||||
| 26 | Verbindlichkeit haben. In der Erklärung der Erscheinungen der Natur | ||||||
| 27 | muß uns indessen vieles ungewiß und manche Frage unauflöslich bleiben, | ||||||
| 28 | weil das, was wir von der Natur wissen, zu dem, was wir erklären sollen, | ||||||
| 29 | bei weitem nicht in allen Fällen zureichend ist. Es frägt sich nun: ob in | ||||||
| 30 | der Transscendentalphilosophie irgend eine Frage, die ein der Vernunft | ||||||
| 31 | vorgelegtes Object betrifft, durch eben diese reine Vernunft unbeantwortlich | ||||||
| 32 | sei, und ob man sich ihrer entscheidenden Beantwortung dadurch mit | ||||||
| 33 | Recht entziehen könne, daß man es als schlechthin ungewiß (aus allem dem, | ||||||
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