| Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 282 | |||||||
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| 01 | gänzlich auf der Seite des Pneumatismus, obgleich dieser den Erbfehler | ||||||
| 02 | nicht verleugnen kann, bei allem ihm günstigen Schein in der Feuerprobe | ||||||
| 03 | der Kritik sich in lauter Dunst aufzulösen. | ||||||
| 04 | Ganz anders fällt es aus, wenn wir die Vernunft auf die objective | ||||||
| 05 | Synthesis der Erscheinungen anwenden, wo sie ihr Principium der unbedingten | ||||||
| 06 | Einheit zwar mit vielem Scheine geltend zu machen denkt, sich | ||||||
| 07 | aber bald in solche Widersprüche verwickelt, daß sie genöthigt wird, in | ||||||
| 08 | kosmologischer Absicht von ihrer Forderung abzustehen. | ||||||
| 09 | Hier zeigt sich nämlich ein neues Phänomen der menschlichen Vernunft, | ||||||
| 10 | nämlich: eine ganz natürliche Antithetik, auf die keiner zu grübeln | ||||||
| 11 | und künstlich Schlingen zu legen braucht, sondern in welche die Vernunft | ||||||
| 12 | von selbst und zwar unvermeidlich geräth und dadurch zwar vor dem | ||||||
| 13 | Schlummer einer eingebildeten Überzeugung, den ein bloß einseitiger | ||||||
| 14 | Schein hervorbringt, verwahrt, aber zugleich in Versuchung gebracht wird, | ||||||
| 15 | sich entweder einer sceptischen Hoffnungslosigkeit zu überlassen, oder einen | ||||||
| 16 | dogmatischen Trotz anzunehmen und den Kopf steif auf gewisse Behauptungen | ||||||
| 17 | zu setzen, ohne den Gründen des Gegentheils Gehör und Gerechtigkeit | ||||||
| 18 | widerfahren zu lassen. Beides ist der Tod einer gesunden Philosophie, | ||||||
| 19 | wiewohl jener allenfalls noch die Euthanasie der reinen Vernunft | ||||||
| 20 | genannt werden könnte. | ||||||
| 21 | Ehe wir die Auftritte des Zwiespalts und der Zerrüttungen sehen | ||||||
| 22 | lassen, welche dieser Widerstreit der Gesetze (Antinomie) der reinen Vernunft | ||||||
| 23 | veranlaßt, wollen wir gewisse Erörterungen geben, welche die Methode | ||||||
| 24 | erläutern und rechtfertigen können, deren wir uns in Behandlung | ||||||
| 25 | unseres Gegenstandes bedienen. Ich nenne alle transscendentale Ideen, | ||||||
| 26 | so fern sie die absolute Totalität in der Synthesis der Erscheinungen betreffen, | ||||||
| 27 | Weltbegriffe, theils wegen eben dieser unbedingten Totalität, | ||||||
| 28 | worauf auch der Begriff des Weltganzen beruht, der selbst nur eine Idee | ||||||
| 29 | ist, theils weil sie lediglich auf die Synthesis der Erscheinungen, mithin die | ||||||
| 30 | empirische gehen, da hingegen die absolute Totalität in der Synthesis der | ||||||
| 31 | Bedingungen aller möglichen Dinge überhaupt ein Ideal der reinen Vernunft | ||||||
| 32 | veranlassen wird, welches von dem Weltbegriffe gänzlich unterschieden | ||||||
| 33 | ist, ob es gleich darauf in Beziehung steht. Daher so wie die Paralogismen | ||||||
| 34 | der reinen Vernunft den Grund zu einer dialektischen Psychologie | ||||||
| 35 | legten, so wird die Antinomie der reinen Vernunft die transscendentalen | ||||||
| 36 | Grundsätze einer vermeinten reinen (rationalen) Kosmologie vor Augen | ||||||
| 37 | stellen, nicht um sie gültig zu finden und sich zuzueignen, sondern, wie es | ||||||
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