Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 269

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 sein Glückstern begünstigt, darin Besitz zu nehmen. denn der Satz: Ein      
  02 jedes denkende Wesen als ein solches ist einfache Substanz, ist ein synthetischer      
  03 Satz a priori, weil er erstlich über den ihm zum Grunde gelegten      
  04 Begriff hinausgeht und die Art des Daseins zum Denken überhaupt      
  05 hinzuthut, und zweitens zu jenem Begriffe ein Prädicat (der Einfachheit)      
  06 hinzufügt, welches in gar keiner Erfahrung gegeben werden kann. Also      
  07 sind synthetische Sätze a priori nicht bloß, wie wir behauptet haben, in      
  08 Beziehung auf Gegenstände möglicher Erfahrung und zwar als Principien      
  09 der Möglichkeit dieser Erfahrung selbst thunlich und zulässig, sondern      
  10 sie können auch auf Dinge überhaupt und an sich selbst gehen, welche      
  11 Folgerung dieser ganzen Kritik ein Ende macht und gebieten würde, es      
  12 beim Alten bewenden zu lassen. Allein die Gefahr ist hier nicht so groß,      
  13 wenn man der Sache näher tritt.      
           
  14 In dem Verfahren der rationalen Psychologie herrscht ein Paralogism,      
  15 der durch folgenden Vernunftschluß dargestellt wird.      
           
  16 Was nicht anders als Subject gedacht werden kann, existirt      
  17 auch nicht anders als Subject und ist also Substanz.      
  18 Nun kann ein denkendes Wesen, bloß als ein solches betrachtet,      
  19 nicht anders als Subject gedacht werden.      
  20 Also existirt es auch nur als ein solches , d. i. als Substanz.      
           
  21 Im Obersatze wird von einem Wesen geredet, das überhaupt, in jeder      
  22 Absicht, folglich auch so, wie es in der Anschauung gegeben werden mag,      
  23 gedacht werden kann. Im Untersatze aber ist nur von demselben die Rede,      
  24 so fern es sich selbst als Subject nur relativ auf das Denken und die Einheit      
  25 des Bewußtseins, nicht aber zugleich in Beziehung auf die Anschauung,      
  26 wodurch es als Object zum Denken gegeben wird, betrachtet. Also      
  27 wird per sophisma figurae dictionis , mithin durch einen Trugschluß die      
  28 Conclusion gefolgert.*)      
           
           
    *) Das Denken wird in beiden Prämissen in ganz verschiedener Bedeutung genommen: im Obersatze, wie es auf ein Object überhaupt (mithin wie es in der Anschauung gegeben werden mag) geht; im Untersatze aber nur, wie es in der Beziehung aufs Selbstbewußtsein besteht, wobei also an gar kein Object gedacht wird, sondern nur die Beziehung auf sich als Subject (als die Form des Denkens) vorgestellt wird. Im ersteren wird von Dingen geredet, die nicht anders als Subjecte gedacht werden können; im zweiten aber nicht von Dingen, sondern vom [Seitenumbruch] Denken (indem man von allem Objecte abstrahirt), in welchem das Ich immer zum Subject des Bewußtseins dient; daher im Schlußsatze nicht folgen kann: ich kann nicht anders als Subject existiren, sondern nur: ich kann im Denken meiner Existenz mich nur zum Subject des Urtheils brauchen, welches ein identischer Satz ist, der schlechterdings nichts über die Art meines Daseins eröffnet.      
           
     

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