Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 234 |
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Text (Kant):
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| 01 | Der |
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| 02 | Transscendentalen Logik |
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| 03 | Zweite Abtheilung. |
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| 04 | Die |
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| 05 | Transscendentale Dialektik. |
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| 06 | Einleitung. |
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| 07 | I |
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| 08 | Vom transscendentalen Schein. |
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| 09 | Wir haben oben die Dialektik überhaupt eine Logik des Scheins | ||||||
| 10 | genannt. Das bedeutet nicht, sie sei eine Lehre der Wahrscheinlichkeit; | ||||||
| 11 | denn diese ist Wahrheit, aber durch unzureichende Gründe erkannt, deren | ||||||
| 12 | Erkenntniß also zwar mangelhaft, aber darum doch nicht trüglich ist und | ||||||
| 13 | mithin von dem analytischen Theile der Logik nicht getrennt werden muß. | ||||||
| 14 | Noch weniger dürfen Erscheinung und Schein für einerlei gehalten | ||||||
| 15 | werden. Denn Wahrheit oder Schein sind nicht im Gegenstande, so fern | ||||||
| 16 | er angeschaut wird, sondern im Urtheile über denselben, so fern er gedacht | ||||||
| 17 | wird. Man kann also zwar richtig sagen, daß die Sinne nicht irren, aber | ||||||
| 18 | nicht darum, weil sie jederzeit richtig urtheilen, sondern weil sie gar nicht | ||||||
| 19 | urtheilen. Daher sind Wahrheit sowohl als Irrthum, mithin auch der | ||||||
| 20 | Schein als die Verleitung zum letzteren nur im Urtheile, d. i. nur in dem | ||||||
| 21 | Verhältnisse des Gegenstandes zu unserm Verstande anzutreffen. In | ||||||
| 22 | einem Erkenntniß, das mit den Verstandesgesetzen durchgängig zusammenstimmt, | ||||||
| 23 | ist kein Irrthum. In einer Vorstellung der Sinne ist (weil sie | ||||||
| 24 | gar kein Urtheil enthält) auch kein Irrthum. Keine Kraft der Natur kann | ||||||
| 25 | aber von selbst von ihren eigenen Gesetzen abweichen. Daher würden | ||||||
| 26 | weder der Verstand für sich allein (ohne Einfluß einer andern Ursache), | ||||||
| 27 | noch die Sinne für sich irren; der erstere darum nicht, weil, wenn er bloß | ||||||
| 28 | nach seinen Gesetzen handelt, die Wirkung (das Urtheil) mit diesen Gesetzen | ||||||
| 29 | nothwendig übereinstimmen muß. In der Übereinstimmung mit den Gesetzen | ||||||
| 30 | des Verstandes besteht aber das Formale aller Wahrheit. In den | ||||||
| 31 | Sinnen ist gar kein Urtheil, weder ein wahres, noch falsches. Weil wir | ||||||
| 32 | nun außer diesen beiden Erkenntnißquellen keine andere haben, so folgt: | ||||||
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