Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 209 |
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Text (Kant):
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| 01 | Allein sie sind ihrerseits wiederum nichts als Gedankenformen, | ||||||
| 02 | die bloß das logische Vermögen enthalten, das mannigfaltige in der Anschauung | ||||||
| 03 | Gegebene in ein Bewußtsein a priori zu vereinigen; und da | ||||||
| 04 | können sie, wenn man ihnen die uns allein mögliche Anschauung wegnimmt, | ||||||
| 05 | noch weniger Bedeutung haben, als jene reine sinnliche Formen, | ||||||
| 06 | durch die doch wenigstens ein Object gegeben wird, anstatt daß eine unserm | ||||||
| 07 | Verstande eigene Verbindungsart des Mannigfaltigen, wenn diejenige | ||||||
| 08 | Anschauung, darin dieses allein gegeben werden kann, nicht hinzu | ||||||
| 09 | kommt gar nichts bedeutet. - Gleichwohl liegt es doch schon in unserm | ||||||
| 10 | Begriffe, wenn wir gewisse Gegenstände als Erscheinungen Sinnenwesen | ||||||
| 11 | (Phaenomena) nennen, indem wir die Art, wie wir sie anschauen, von | ||||||
| 12 | ihrer Beschaffenheit an sich selbst unterscheiden: daß wir entweder eben | ||||||
| 13 | dieselbe nach dieser letzteren Beschaffenheit, wenn wir sie gleich in derselben | ||||||
| 14 | nicht anschauen, oder auch andere mögliche Dinge, die gar nicht Objecte | ||||||
| 15 | unserer Sinne sind, als Gegenstände, bloß durch den Verstand gedacht, | ||||||
| 16 | jenen gleichsam gegenüber stellen und sie Verstandeswesen (Noumena) | ||||||
| 17 | nennen. Nun frägt sich: ob unsere reine Verstandesbegriffe nicht in Ansehung | ||||||
| 18 | dieser letzteren Bedeutung haben und eine Erkenntnißart derselben | ||||||
| 19 | sein könnten? | ||||||
| 20 | Gleich anfangs aber zeigt sich hier eine Zweideutigkeit, welche großen | ||||||
| 21 | Mißverstand veranlassen kann: daß, da der Verstand, wenn er einen Gegenstand | ||||||
| 22 | in einer Beziehung bloß Phänomen nennt, er sich zugleich außer | ||||||
| 23 | dieser Beziehung noch eine Vorstellung von einem Gegenstande an sich | ||||||
| 24 | selbst macht und sich daher vorstellt, er könne sich auch von dergleichen | ||||||
| 25 | Gegenstande Begriffe machen, und, da der Verstand keine andere als | ||||||
| 26 | die Kategorien liefert, der Gegenstand in der letzteren Bedeutung wenigstens | ||||||
| 27 | durch diese reine Verstandesbegriffe müsse gedacht werden können, | ||||||
| 28 | dadurch aber verleitet wird, den ganz unbestimmten Begriff von einem | ||||||
| 29 | Verstandeswesen als einem Etwas überhaupt außer unserer Sinnlichkeit | ||||||
| 30 | für einen bestimmten Begriff von einem Wesen, welches wir durch den | ||||||
| 31 | Verstand auf einige Art erkennen könnten, zu halten. | ||||||
| 32 | Wenn wir unter Noumenon ein Ding verstehen, so fern es nicht | ||||||
| 33 | Object unserer sinnlichen Anschauung ist, indem wir von unserer | ||||||
| 34 | Anschauungsart desselben abstrahiren, so ist dieses ein Noumenon im negativen | ||||||
| 35 | Verstande. Verstehen wir aber darunter ein Object einer | ||||||
| 36 | nichtsinnlichen Anschauung, so nehmen wir eine besondere Anschauungsart | ||||||
| 37 | an, nämlich die intellectuelle, die aber nicht die unsrige ist, von | ||||||
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