Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 103 |
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| 01 | weil die objective Gültigkeit dieses Begriffs a priori muß dargethan | ||||||
| 02 | werden können); und es ist daher a priori zweifelhaft, ob ein solcher | ||||||
| 03 | Begriff nicht etwa gar leer sei und überall unter den Erscheinungen keinen | ||||||
| 04 | Gegenstand antreffe. Denn daß Gegenstände der sinnlichen Anschauung | ||||||
| 05 | den im Gemüth a priori liegenden formalen Bedingungen der Sinnlichkeit | ||||||
| 06 | gemäß sein müssen, ist daraus klar, weil sie sonst nicht Gegenstände | ||||||
| 07 | für uns sein würden; daß sie aber auch überdem den Bedingungen, deren | ||||||
| 08 | der Verstand zur synthetischen Einheit des Denkens bedarf, gemäß sein | ||||||
| 09 | müssen, davon ist die Schlußfolge nicht so leicht einzusehen. Denn es | ||||||
| 10 | könnten wohl allenfalls Erscheinungen so beschaffen sein, daß der Verstand | ||||||
| 11 | sie den Bedingungen seiner Einheit gar nicht gemäß fände, und alles so | ||||||
| 12 | in Verwirrung läge, daß z. B. in der Reihenfolge der Erscheinungen sich | ||||||
| 13 | nichts darböte, was eine Regel der Synthesis an die Hand gäbe und also | ||||||
| 14 | dem Begriffe der Ursache und Wirkung entspräche, so daß dieser Begriff | ||||||
| 15 | also ganz leer, nichtig und ohne Bedeutung wäre. Erscheinungen würden | ||||||
| 16 | nichts destoweniger unserer Anschauung Gegenstände darbieten, denn die | ||||||
| 17 | Anschauung bedarf der Functionen des Denkens auf keine Weise. | ||||||
| 18 | Gedächte man sich von der Mühsamkeit dieser Untersuchungen dadurch | ||||||
| 19 | loszuwickeln, daß man sagte: die Erfahrung böte unablässig Beispiele | ||||||
| 20 | einer solchen Regelmäßigkeit der Erscheinungen dar, die genugsam | ||||||
| 21 | Anlaß geben, den Begriff der Ursache davon abzusondern und dadurch | ||||||
| 22 | zugleich die objective Gültigkeit eines solchen Begriffs zu bewähren, so | ||||||
| 23 | bemerkt man nicht, daß auf diese Weise der Begriff der Ursache gar nicht | ||||||
| 24 | entspringen kann, sondern daß er entweder völlig a priori im Verstande | ||||||
| 25 | müsse gegründet sein, oder als ein bloßes Hirngespinst gänzlich aufgegeben | ||||||
| 26 | werden müsse. Denn dieser Begriff erfordert durchaus, daß etwas A von | ||||||
| 27 | der Art sei, daß ein anderes B daraus notwendig und nach einer | ||||||
| 28 | schlechthin allgemeinen Regel folge. Erscheinungen geben gar wohl | ||||||
| 29 | Fälle an die Hand, aus denen eine Regel möglich ist, nach der etwas gewöhnlicher | ||||||
| 30 | maßen geschieht, aber niemals, daß der Erfolg nothwendig | ||||||
| 31 | sei: daher der Synthesis der Ursache und Wirkung auch eine Dignität anhängt, | ||||||
| 32 | die man gar nicht empirisch ausdrücken kann, nämlich daß die | ||||||
| 33 | Wirkung nicht bloß zu der Ursache hinzu komme, sondern durch dieselbe | ||||||
| 34 | gesetzt sei und aus ihr erfolge. Die strenge Allgemeinheit der Regel ist | ||||||
| 35 | auch gar keine Eigenschaft empirischer Regeln, die durch Induction keine | ||||||
| 36 | andere als comparative Allgemeinheit, d. i. ausgebreitete Brauchbarkeit, | ||||||
| 37 | bekommen können. Nun würde sich aber der Gebrauch der reinen Verstandesbegriffe | ||||||
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