| Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 075 | |||||||
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| 01 | Erkenntniß nennen. Daher enthält reine Anschauung lediglich die Form, | ||||||
| 02 | unter welcher etwas angeschaut wird, und reiner Begriff allein die Form | ||||||
| 03 | des Denkens eines Gegenstandes überhaupt. Nur allein reine Anschauungen | ||||||
| 04 | oder Begriffe sind a priori möglich, empirische nur a posteriori. | ||||||
| 05 | Wollen wir die Receptivität unseres Gemüths, Vorstellungen zu | ||||||
| 06 | empfangen, so fern es auf irgend eine Weise afficirt wird, Sinnlichkeit | ||||||
| 07 | nennen: so ist dagegen das Vermögen, Vorstellungen selbst hervorzubringen, | ||||||
| 08 | oder die Spontaneität des Erkenntnisses der Verstand. Unsre | ||||||
| 09 | Natur bringt es so mit sich, daß die Anschauung niemals anders als | ||||||
| 10 | sinnlich sein kann, d. i. nur die Art enthält, wie wir von Gegenständen | ||||||
| 11 | afficirt werden. Dagegen ist das Vermögen, den Gegenstand sinnlicher | ||||||
| 12 | Anschauung zu denken, der Verstand. Keine dieser Eigenschaften ist der | ||||||
| 13 | andern vorzuziehen. Ohne Sinnlichkeit würde uns kein Gegenstand gegeben | ||||||
| 14 | und ohne Verstand keiner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt | ||||||
| 15 | sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind. Daher ist es eben so | ||||||
| 16 | nothwendig, seine Begriffe sinnlich zu machen (d. i. ihnen den Gegenstand | ||||||
| 17 | in der Anschauung beizufügen), als seine Anschauungen sich verständlich | ||||||
| 18 | zu machen (d. i. sie unter Begriffe zu bringen). Beide Vermögen oder | ||||||
| 19 | Fähigkeiten können auch ihre Functionen nicht vertauschen. Der Verstand | ||||||
| 20 | vermag nichts anzuschauen und die Sinne nichts zu denken. Nur daraus, | ||||||
| 21 | daß sie sich vereinigen, kann Erkenntniß entspringen. Deswegen darf | ||||||
| 22 | man aber doch nicht ihren Antheil vermischen, sondern man hat große | ||||||
| 23 | Ursache, jedes von dem andern sorgfältig abzusondern und zu unterscheiden. | ||||||
| 24 | Daher unterscheiden wir die Wissenschaft der Regeln der Sinnlichkeit | ||||||
| 25 | überhaupt, d. i. Ästhetik, von der Wissenschaft der Verstandesregeln | ||||||
| 26 | überhaupt, d. i. der Logik. | ||||||
| 27 | Die Logik kann nun wiederum in zwiefacher Absicht unternommen | ||||||
| 28 | werden, entweder als Logik des allgemeinen, oder des besondern Verstandesgebrauchs. | ||||||
| 29 | Die erste enthält die schlechthin nothwendigen Regeln des | ||||||
| 30 | Denkens, ohne welche gar kein Gebrauch des Verstandes stattfindet, und | ||||||
| 31 | geht also auf diesen unangesehen der Verschiedenheit der Gegenstände, auf | ||||||
| 32 | welche er gerichtet sein mag. Die Logik des besondern Verstandesgebrauchs | ||||||
| 33 | enthält die Regeln, über eine gewisse Art von Gegenständen richtig zu | ||||||
| 34 | denken. Jene kann man die Elementarlogik nennen, diese aber das Organon | ||||||
| 35 | dieser oder jener Wissenschaft. Die letztere wird mehrentheils in den | ||||||
| 36 | Schulen als Propädeutik der Wissenschaften vorangeschickt, ob sie zwar | ||||||
| 37 | nach dem Gange der menschlichen Vernunft das Späteste ist, wozu sie | ||||||
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