Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 060 |
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| 01 | Zeit kann keine Bestimmung äußerer Erscheinungen sein: sie gehört weder | ||||||
| 02 | zu einer Gestalt, oder Lage etc.; dagegen bestimmt sie das Verhältniß der | ||||||
| 03 | Vorstellungen in unserm innern Zustande. Und eben weil diese innre | ||||||
| 04 | Anschauung keine Gestalt giebt, suchen wir auch diesen Mangel durch | ||||||
| 05 | Analogien zu ersetzen und stellen die Zeitfolge durch eine ins Unendliche | ||||||
| 06 | fortgehende Linie vor, in welcher das Mannigfaltige eine Reihe ausmacht, | ||||||
| 07 | die nur von einer Dimension ist, und schließen aus den Eigenschaften dieser | ||||||
| 08 | Linie auf alle Eigenschaften der Zeit außer dem einigen, daß die | ||||||
| 09 | Theile der erstern zugleich, die der letztern aber jederzeit nach einander | ||||||
| 10 | sind. Hieraus erhellt auch, daß die Vorstellung der Zeit selbst Anschauung | ||||||
| 11 | sei, weil alle ihre Verhältnisse sich an einer äußern Anschauung ausdrücken | ||||||
| 12 | lassen. | ||||||
| 13 | c) Die Zeit ist die formale Bedingung a priori aller Erscheinungen | ||||||
| 14 | überhaupt. Der Raum als die reine Form aller äußeren Anschauung | ||||||
| 15 | ist als Bedingung a priori bloß auf äußere Erscheinungen eingeschränkt. | ||||||
| 16 | Dagegen weil alle Vorstellungen, sie mögen nun äußere Dinge zum Gegenstande | ||||||
| 17 | haben oder nicht, doch an sich selbst, als Bestimmungen des | ||||||
| 18 | Gemüths, zum innern Zustande gehören; dieser innere Zustand aber | ||||||
| 19 | unter der formalen Bedingung der innern Anschauung, mithin der Zeit | ||||||
| 20 | gehört: so ist die Zeit eine Bedingung a priori von aller Erscheinung überhaupt | ||||||
| 21 | und zwar die unmittelbare Bedingung der inneren (unserer Seelen) | ||||||
| 22 | und eben dadurch mittelbar auch der äußern Erscheinungen. Wenn ich | ||||||
| 23 | a priori sagen kann: alle äußere Erscheinungen sind im Raume und nach | ||||||
| 24 | den Verhältnissen des Raumes a priori bestimmt, so kann ich aus dem | ||||||
| 25 | Princip des innern Sinnes ganz allgemein sagen: alle Erscheinungen | ||||||
| 26 | überhaupt, d. i. alle Gegenstände der Sinne, sind in der Zeit und stehen | ||||||
| 27 | nothwendiger Weise in Verhältnissen der Zeit. | ||||||
| 28 | Wenn wir von unsrer Art, uns selbst innerlich anzuschauen und vermittelst | ||||||
| 29 | dieser Anschauung auch alle äußere Anschauungen in der Vorstellungskraft | ||||||
| 30 | zu befassen, abstrahiren und mithin die Gegenstände nehmen, | ||||||
| 31 | so wie sie an sich selbst sein mögen, so ist die Zeit nichts. Sie ist | ||||||
| 32 | nur von objectiver Gültigkeit in Ansehung der Erscheinungen, weil dieses | ||||||
| 33 | schon Dinge sind, die wir als Gegenstände unsrer Sinne annehmen; | ||||||
| 34 | aber sie ist nicht mehr objectiv, wenn man von der Sinnlichkeit unsrer | ||||||
| 35 | Anschauung, mithin derjenigen Vorstellungsart, welche uns eigenthümlich | ||||||
| 36 | ist, abstrahirt und von Dingen überhaupt redet. Die Zeit ist also | ||||||
| 37 | lediglich eine subjective Bedingung unserer (menschlichen) Anschauung | ||||||
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