Kant: AA II, Von den verschiedenen Racen ... , Seite 434

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 bezeichnete Blendlinge sind und ihre Abkunft von ächten Racen beweisen.      
           
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3. Von den unmittelbaren Ursachen des Ursprungs dieser
     
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verschiedenen Racen.
     
           
  05 Die in der Natur eines organischen Körpers (Gewächses oder Thieres)      
  06 liegenden Gründe einer bestimmten Auswickelung heißen, wenn diese Auswickelung      
  07 besondere Theile betrifft, Keime; betrifft sie aber nur die Größe      
  08 oder das Verhältniß der Theile untereinander, so nenne ich sie natürliche      
  09 Anlagen. In den Vögeln von derselben Art, die doch in verschiedenen      
  10 Klimaten leben sollen, liegen Keime zur Auswickelung einer neuen Schicht      
  11 Federn, wenn sie im kalten Klima leben, die aber zurückgehalten werden,      
  12 wenn sie sich in gemäßigten aufhalten sollen. Weil in einem kalten Lande      
  13 das Weizenkorn mehr gegen feuchte Kälte geschützt werden muß, als in      
  14 einem trocknen oder warmen, so liegt in ihm eine vorher bestimmte Fähigkeit      
  15 oder natürliche Anlage, nach und nach eine dickere Haut hervorzubringen.      
  16 Diese Fürsorge der Natur, ihr Geschöpf durch versteckte innere      
  17 Vorkehrungen auf allerlei künftige Umstände auszurüsten, damit es      
  18 sich erhalte und der Verschiedenheit des Klima oder des Bodens angemessen      
  19 sei, ist bewundernswürdig und bringt bei der Wanderung und      
  20 Verpflanzung der Thiere und Gewächse dem Scheine nach neue Arten hervor,      
  21 welche nichts anders als Abartungen und Racen von derselben Gattung      
  22 sind, deren Keime und natürliche Anlagen sich nur gelegentlich in      
  23 langen Zeitläuften auf verschiedene Weise entwickelt haben.*)      
           
           
    *) Wir nehmen die Benennungen Naturbeschreibung und Naturgeschichte gemeiniglich in einerlei Sinne. Allein es ist klar, daß die Kenntniß der Naturdinge, wie sie jetzt sind, immer noch die Erkenntniß von demjenigen wünschen lasse, was sie ehedem gewesen sind, und durch welche Reihe von Veränderungen sie durchgegangen, um an jedem Orte in ihren gegenwärtigen Zustand zu gelangen. Die Naturgeschichte, woran es uns fast noch gänzlich fehlt, würde uns die Veränderung der Erdgestalt, ingleichen die der Erdgeschöpfe (Pflanzen und Thiere), die sie durch natürliche Wandrungen erlitten haben, und ihre daraus entsprungene Abartungen von dem Urbilde der Stammgattung lehren. Sie würde vermuthlich eine große Menge scheinbar verschiedene Arten zu Racen eben derselben Gattung zurückführen und das jetzt so weitläuftige Schulsystem der Naturbeschreibung in ein physisches System für den Verstand verwandeln.      
           
     

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