Kant: AA II, Träume eines Geistersehers, ... , Seite 332

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 So würde denn also die immaterielle Welt zuerst alle erschaffene Intelligenzen,      
  02 deren einige mit der Materie zu einer Person verbunden sind,      
  03 andere aber nicht, in sich befassen, überdem die empfindende Subjecte in      
  04 allen Thierarten und endlich alle Principien des Lebens, welche sonst noch      
  05 in der Natur wo sein mögen, ob dieses sich gleich durch keine äußerliche      
  06 Kennzeichen der willkürlichen Bewegung offenbarte. Alle diese immaterielle      
  07 Naturen, sage ich, sie mögen nun ihre Einflüsse in der Körperwelt      
  08 ausüben oder nicht, alle vernünftige Wesen, deren zufälliger Zustand thierisch      
  09 ist, es sei hier auf der Erde oder in andern Himmelskörpern, sie mögen      
  10 den rohen Zeug der Materie jetzt oder künftig beleben, oder ehedem      
  11 belebt haben, würden nach diesen Begriffen in einer ihrer Natur gemäßen      
  12 Gemeinschaft stehen, die nicht auf den Bedingungen beruht, wodurch das      
  13 Verhältniß der Körper eingeschränkt ist, und wo die Entfernung der Örter      
  14 oder der Zeitalter, welche in der sichtbaren Welt die große Kluft ausmacht,      
  15 die alle Gemeinschaft aufhebt, verschwindet. Die menschliche Seele würde      
  16 daher schon in dem gegenwärtigen Leben als verknüpft mit zwei Welten      
  17 zugleich müssen angesehen werden, von welchen sie, so fern sie zu persönlicher      
  18 Einheit mit einem Körper verbunden ist, die materielle allein klar      
  19 empfindet, dagegen als ein Glied der Geisterwelt die reine Einflüsse immaterieller      
  20 Naturen empfängt und ertheilt, so daß, so bald jene Verbindung      
  21 aufgehört hat, die Gemeinschaft, darin sie jederzeit mit geistigen      
  22 Naturen steht, allein übrig bleibt und sich ihrem Bewußtsein zum klaren      
  23 Anschauen eröffnen müßte.*)      
           
           
    *) Wenn man von dem Himmel als dem Sitze der Seligen redet, so setzt die gemeine Vorstellung ihn gerne über sich, hoch in dem unermeßlichen Weltraume. Man bedenkt aber nicht, daß unsre Erde, aus diesen Gegenden gesehen, auch als einer von den Sternen des Himmels erscheine, und daß die Bewohner anderer Welten mit eben so gutem Grunde nach uns hin zeigen könnten und sagen: Sehet da den Wohnplatz ewiger Freuden und einen himmlischen Aufenthalt, welcher zubereitet ist, uns dereinst zu empfangen. Ein wunderlicher Wahn nämlich macht, daß der hohe Flug, den die Hoffnung nimmt, immer mit dem Begriffe des Steigens verbunden ist, ohne zu bedenken, daß, so hoch man auch gestiegen ist, man doch wieder sinken müsse, um allenfalls in einer andern Welt festen Fuß zu fassen. Nach den angeführten Begriffen aber würde der Himmel eigentlich die Geisterwelt sein, oder, wenn man will, der selige Theil derselben, und diese würde man weder über sich noch unter sich zu suchen haben, weil ein solches immaterielle Ganze nicht nach den Entfernungen oder Naheiten gegen körperliche Dinge, sondern in geistigen [Seitenumbruch] Verknüpfungen seiner Theile untereinander vorgestellt werden muß, wenigstens die Glieder derselben sich nur nach solchen Verhältnissen ihrer selbst bewußt sind.      
           
     

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