Kant: AA I, Allgemeine Naturgeschichte und ... , Seite 312

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 mit dazu behülflich sein, die ganze Natur in der ganzen Unendlichkeit      
  02 ihrer Erstreckung in einem einzigen Systema zu begreifen.      
           
  03 Um nun der Errichtung dieses allgemeinen Systems der Natur      
  04 aus den mechanischen Gesetzen der zur Bildung strebenden Materie      
  05 nachzuspüren: so muß in dem unendlichen Raume des ausgebreiteten      
  06 elementarischen Grundstoffes an irgend einem Orte dieser Grundstoff      
  07 die dichteste Häufung gehabt haben, um durch die daselbst geschehende      
  08 vorzügliche Bildung dem gesammten Universo eine Masse verschafft      
  09 zu haben, die ihm zum Unterstützungspunkt diente. Es ist zwar an      
  10 dem, daß in einem unendlichen Raume kein Punkt eigentlich das Vorrecht      
  11 haben kann, der Mittelpunkt zu heißen; aber vermittelst eines      
  12 gewissen Verhältnisses, das sich auf die wesentliche Grade der Dichtigkeit      
  13 des Urstoffes gründet, nach welchem dieser zugleich mit seiner      
  14 Schöpfung an einem gewissen Orte vorzüglich dichter gehäuft und mit      
  15 den Weiten von demselben in der Zerstreuung zunimmt, kann ein      
  16 solcher Punkt das Vorrecht haben, der Mittelpunkt zu heißen, und er      
  17 wird es auch wirklich durch die Bildung der Centralmasse von der      
  18 kräftigsten Anziehung in demselben, zu dem sich alle übrige in Particularbildungen      
  19 begriffene elementarische Materie senkt und dadurch, so      
  20 weit sich auch die Auswickelung der Natur erstrecken mag, in der unendlichen      
  21 Sphäre der Schöpfung aus dem ganzen All nur ein einziges      
  22 System macht.      
           
  23 Das ist aber was Wichtiges, und welches, wofern es Beifall erlangt,      
  24 der größten Aufmerksamkeit würdig ist, daß der Ordnung der      
  25 Natur in diesem unserm System zu Folge die Schöpfung, oder vielmehr      
  26 die Ausbildung der Natur bei diesem Mittelpunkte zuerst anfängt      
  27 und mit stetiger Fortschreitung nach und nach in alle fernere      
  28 Weiten ausgebreitet wird, um den unendlichen Raum in dem Fortgange      
  29 der Ewigkeit mit Welten und Ordnungen zu erfüllen. Lasset      
  30 uns dieser Vorstellung einen Augenblick mit stillem Vergnügen nachhängen.      
  31 Ich finde nichts, das den Geist des Menschen zu einem      
  32 edleren Erstaunen erheben kann, indem es ihm eine Aussicht in das      
  33 unendliche Feld der Allmacht eröffnet, als diesen Theil der Theorie,      
  34 der die successive Vollendung der Schöpfung betrifft. Wenn man mir      
  35 zugiebt, daß die Materie, die der Stoff zu Bildung aller Welten ist,      
  36 in dem ganzen unendlichen Raume der göttlichen Gegenwart nicht      
  37 gleichförmig, sondern nach einem gewissen Gesetze ausgebreitet gewesen,      
           
     

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