Kant: AA VIII, Bestimmung des Begriffs einer ... , Seite 105 |
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01 | Man mag aber ein System annehmen, welches man wolle; so ist doch | ||||||
02 | so viel gewiß, daß die jetzt vorhandenen Racen, wenn alle Vermischung | ||||||
03 | derselben unter einander verhütet würde, nicht mehr erlöschen können. | ||||||
04 | Die unter uns befindlichen Zigeuner, von denen erwiesen ist, daß sie | ||||||
05 | ihrem Abstamme nach Indier sind, geben davon den deutlichsten | ||||||
06 | Beweis. Man kann ihrer Anwesenheit in Europa weit über dreihundert | ||||||
07 | Jahre nachspüren; und noch sind sie nicht im mindesten von der Gestalt | ||||||
08 | ihrer Vorfahren ausgeartet. Die am Gambia in Neger ausgeartet sein | ||||||
09 | sollende Portugiesen sind Abkömmlinge von Weißen, die sich mit | ||||||
10 | Schwarzen verbastert haben; denn wo steht es berichtet, und wie ist es | ||||||
11 | auch nur wahrscheinlich, daß die ersten hieher gekommenen Portugiesen | ||||||
12 | eben so viel weiße Weiber mitgebracht hätten, diese auch alle lange genug | ||||||
13 | am Leben geblieben, oder durch andere Weiße ersetzt wären, um einen | ||||||
14 | reinen Abstamm von Weißen in einem fremden Welttheile zu gründen? | ||||||
15 | Dagegen sind bessere Nachrichten davon: daß König Johann II, der von | ||||||
16 | 1481 bis 1495 regierte, da ihm alle nach St. Thomas abgeschickte | ||||||
17 | Colonisten ausstarben, diese Insel durch lauter getaufte Judenkinder (mit | ||||||
18 | portugiesisch=christlichem Gewissen) bevölkerte, von welchen, so viel man | ||||||
19 | weiß, die gegenwärtigen Weißen auf derselben abstammen. Die Negerkreolen | ||||||
20 | in Nordamerika, die Holländer auf Java bleiben ihrer Race getreu. | ||||||
21 | Die Schminke, die die Sonne auf ihrer Haut hinzuthut, eine kühlere Luft | ||||||
22 | aber wieder wegnimmt, muß man nur nicht mit der der Race eigenen | ||||||
23 | Farbe verwechseln; denn jene erbt doch niemals an. Also müssen sich die | ||||||
24 | Keime, die ursprünglich in den Stamm der Menschengattung zu Erzeugung | ||||||
25 | der Racen gelegt waren, schon in der ältesten Zeit nach dem Bedürfniß | ||||||
26 | des Klima, wenn der Aufenthalt lange daurete, entwickelt haben; und | ||||||
27 | nachdem eine dieser Anlagen bei einem Volke entwickelt war, so löschte sie | ||||||
28 | alle übrigen gänzlich aus. Daher kann man auch nicht annehmen, da | ||||||
29 | eine in gewisser Proportion vorgehende Mischung verschiedener Racen | ||||||
30 | auch noch jetzt die Gestalt des Menschenstammes aufs neue herstellen | ||||||
31 | könne. Denn sonst würden die Blendlinge, die aus dieser ungleichartigen | ||||||
32 | Begattung erzeugt werden, sich auch noch jetzt (wie ehemals der erste | ||||||
33 | Stamm) von selbst in ihren Zeugungen bei ihrer Verpflanzung in verschiedenen | ||||||
34 | Klimaten wiederum in ihre ursprüngliche Farben zersetzen, | ||||||
35 | welches zu vermuthen man durch keine bisherige Erfahrung berechtigt | ||||||
36 | wird: weil alle diese Bastarderzeugungen in ihrer eigenen weiteren Fortpflanzung | ||||||
37 | sich eben so beharrlich erhalten, als die Racen, aus deren | ||||||
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