Kant: AA VIII, Beantwortung der Frage: Was ist ... , Seite 041

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Urtheile und Einsichten in der Qualität der Gelehrten frei und      
  02 öffentlich der Welt zur Prüfung darlegen; noch mehr aber jeder andere,      
  03 der durch keine Amtspflicht eingeschränkt ist. Dieser Geist der Freiheit      
  04 breitet sich auch außerhalb aus, selbst da, wo er mit äußeren Hindernissen      
  05 einer sich selbst mißverstehenden Regierung zu ringen hat. Denn es leuchtet      
  06 dieser doch ein Beispiel vor, daß bei Freiheit für die öffentliche Ruhe und      
  07 Einigkeit des gemeinen Wesens nicht das Mindeste zu besorgen sei. Die      
  08 Menschen arbeiten sich von selbst nach und nach aus der Rohigkeit heraus,      
  09 wenn man nur nicht absichtlich künstelt, um sie darin zu erhalten.      
           
  10 Ich habe den Hauptpunkt der Aufklärung, d. i. des Ausganges der      
  11 Menschen aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit, vorzüglich in Religionssachen      
  12 gesetzt: weil in Ansehung der Künste und Wissenschaften      
  13 unsere Beherrscher kein Interesse haben, den Vormund über ihre Unterthanen      
  14 zu spielen; überdem auch jene Unmündigkeit, so wie die schädlichste,      
  15 also auch die entehrendste unter allen ist. Aber die Denkungsart eines      
  16 Staatsoberhaupts, der die erstere begünstigt, geht noch weiter und sieht      
  17 ein: daß selbst in Ansehung seiner Gesetzgebung es ohne Gefahr sei,      
  18 seinen Unterthanen zu erlauben, von ihrer eigenen Vernunft öffentlichen      
  19 Gebrauch zu machen und ihre Gedanken über eine bessere Abfassung derselben      
  20 sogar mit einer freimüthigen Kritik der schon gegebenen der Welt      
  21 öffentlich vorzulegen; davon wir ein glänzendes Beispiel haben, wodurch      
  22 noch kein Monarch demjenigen vorging, welchen wir verehren.      
           
  23 Aber auch nur derjenige, der, selbst aufgeklärt, sich nicht vor Schatten      
  24 fürchtet, zugleich aber ein wohldisciplinirtes zahlreiches Heer zum Bürgen      
  25 der öffentlichen Ruhe zur Hand hat, kann das sagen, was ein Freistaat      
  26 nicht wagen darf: räsonnirt, so viel ihr wollt, und worüber ihr      
  27 wollt; nur gehorcht! So zeigt sich hier ein befremdlicher, nicht erwarteter      
  28 Gang menschlicher Dinge; so wie auch sonst, wenn man ihn im Großen betrachtet,      
  29 darin fast alles paradox ist. Ein größerer Grad bürgerlicher Freiheit      
  30 scheint der Freiheit des Geistes des Volks vortheilhaft und setzt ihr doch      
  31 unübersteigliche Schranken; ein Grad weniger von jener verschafft hingegen      
  32 diesem Raum, sich nach allem seinem Vermögen auszubreiten. Wenn denn      
  33 die Natur unter dieser harten Hülle den Keim, für den sie am zärtlichsten      
  34 sorgt, nämlich den Hang und Beruf zum freien Denken, ausgewickelt hat:      
  35 so wirkt dieser allmählig zurück auf die Sinnesart des Volks (wodurch dieses      
  36 der Freiheit zu handeln nach und nach fähiger wird) und endlich auch      
  37 sogar auf die Grundsätze der Regierung, die es ihr selbst zuträglich findet,      
           
     

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