Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 152

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 werden könne, deren Anordnung also den Menschen als ein Werk,      
  02 was ihnen überlassen ist und von ihnen gefordert werden kann, zu stiften      
  03 obliegt.      
           
  04 Eine Kirche aber als ein gemeines Wesen nach Religionsgesetzen zu      
  05 errichten, scheint mehr Weisheit (sowohl der Einsicht als der guten Gesinnung      
  06 nach) zu erfordern, als man wohl den Menschen zutrauen darf,      
  07 zumal das moralische Gute, welches durch eine solche Veranstaltung beabsichtigt      
  08 wird, zu diesem Behuf schon an ihnen vorausgesetzt werden      
  09 zu müssen scheint. In der That ist es auch ein widersinnischer Ausdruck,      
  10 daß Menschen ein Reich Gottes stiften sollten (so wie man von ihnen      
  11 wohl sagen mag, daß sie ein Reich eines menschlichen Monarchen errichten      
  12 können); Gott muß selbst der Urheber seines Reichs sein. Allein da wir      
  13 nicht wissen, was Gott unmittelbar thue, um die Idee seines Reichs, in      
  14 welchem Bürger und Unterthanen zu sein wir die moralische Bestimmung      
  15 in uns finden, in der Wirklichkeit darzustellen, aber wohl, was wir zu      
  16 thun haben, um uns zu Gliedern desselben tauglich zu machen, so wird      
  17 diese Idee, sie mag nun durch Vernunft oder durch Schrift im menschlichen      
  18 Geschlecht erweckt und öffentlich geworden sein, uns doch zur Anordnung      
  19 einer Kirche verbinden, von welcher im letzteren Fall Gott selbst      
  20 als Stifter der Urheber der Constitution, Menschen aber doch als      
  21 Glieder und freie Bürger dieses Reichs in allen Fällen die Urheber der      
  22 Organisation sind; da denn diejenigen unter ihnen, welche der letztern      
  23 gemäß die öffentlichen Geschäfte derselben verwalten, die Administration      
  24 derselben, als Diener der Kirche, so wie alle übrige eine ihren Gesetzen      
  25 unterworfene Mitgenossenschaft, die Gemeinde, ausmachen.      
  26 Da eine reine Vernunftreligion als öffentlicher Religionsglaube nur      
           
  27 die bloße Idee von einer Kirche (nämlich einer unsichtbaren) verstattet,      
  28 und die sichtbare, die auf Satzungen gegründet ist, allein einer Organisation      
  29 durch Menschen bedürftig und fähig ist: so wird der Dienst unter      
  30 der Herrschaft des guten Princips in der ersten nicht als Kirchendienst      
  31 angesehen werden können, und jene Religion hat keine gesetzliche Diener,      
  32 als Beamte eines ethischen gemeinen Wesens; ein jedes Glied desselben      
  33 empfängt unmittelbar von dem höchsten Gesetzgeber seine Befehle. Da      
  34 wir aber gleichwohl in Ansehung aller unserer Pflichten (die wir insgesammt      
  35 zugleich als göttliche Gebote anzusehen haben) jederzeit im      
  36 Dienste Gottes stehen, so wird die reine Vernunftreligion alle wohldenkenden      
  37 Menschen zu ihren Dienern (doch ohne Beamte zu sein)      
           
     

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