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Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 145 |
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Text (Kant): |
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01 |
sich als zur Rechenschaft vor einen Richter gefordert beständig |
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prüfen müsse: darüber belehren und dahin treiben zugleich Vernunft, |
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Herz und Gewissen. Es ist unbescheiden, zu verlangen, daß uns |
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noch mehr eröffnet werde, und wenn dieses geschehen sein sollte, müßte er |
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es nicht zum allgemeinen menschlichen Bedürfniß zählen. |
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Obzwar aber jenes, alle genannte in einer Formel befassende, große |
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Geheimniß jedem Menschen durch seine Vernunft als praktisch nothwendige |
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Religionsidee begreiflich gemacht werden kann, so kann man doch sagen, |
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daß es, um moralische Grundlage der Religion, vornehmlich einer öffentlichen, |
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zu werden, damals allererst offenbart worden, als es öffentlich |
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gelehrt und zum Symbol einer ganz neuen Religionsepoche gemacht wurde. |
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Solenne Formeln enthalten gewöhnlich ihre eigene, bloß für die, welche |
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zu einem besondern Verein (einer Zunft oder gemeinen Wesen) gehören, |
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bestimmte, bisweilen mystische, nicht von jedem verstandene Sprache, deren |
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man sich auch billig (aus Achtung) nur zum Behuf einer feierlichen Handlung |
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bedienen sollte (wie etwa, wenn jemand in eine sich von andern aussondernde |
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Gesellschaft als Glied aufgenommen werden soll). Das höchste, |
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für Menschen nie völlig erreichbare Ziel der moralischen Vollkommenheit |
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endlicher Geschöpfe ist aber die Liebe des Gesetzes. |
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Dieser Idee gemäß würde es in der Religion ein Glaubensprincip |
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sein: "Gott ist die Liebe"; in ihm kann man den Liebenden (mit der Liebe |
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des moralischen Wohlgefallens an Menschen, so fern sie seinem heiligen |
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Gesetze adäquat sind), den Vater; ferner in ihm, so fern er sich in |
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seiner alles erhaltenden Idee, dem von ihm selbst gezeugten und geliebten |
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Urbilde der Menschheit, darstellt, seinen Sohn; endlich auch, so fern er |
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dieses Wohlgefallen auf die Bedingung der Übereinstimmung der Menschen |
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mit der Bedingung jener Liebe des Wohlgefallens einschränkt und |
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dadurch als auf Weisheit gegründete Liebe beweist, den heiligen Geist*) |
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*) Dieser Geist, durch welchen die Liebe Gottes als Seligmachers (eigentlich unsere dieser gemäße Gegenliebe) mit der Gottesfurcht vor ihm als Gesetzgeber, d. i. das Bedingte mit der Bedingung, vereinigt wird, welcher also "als von beiden ausgehend" vorgestellt werden kann, ist, außerdem daß "er in alle Wahrheit (Pflichtbeobachtung) leitet", zugleich der eigentliche Richter der Menschen (vor ihrem Gewissen). Denn das Richten kann in zwiefacher Bedeutung genommen werden: entweder als das über Verdienst und Mangel des Verdienstes, oder über Schuld und Unschuld. Gott, als die Liebe betrachtet (in seinem Sohn), richtet die Menschen so fern, als ihnen über ihre Schuldigkeit noch ein Verdienst zu statten kommen [Seitenumbruch] *) kann, und da ist sein Ausspruch: würdig oder nicht=würdig. Er sondert diejenigen als die Seinen aus, denen ein solches noch zugerechnet werden kann. Die übrigen gehen leer aus. Dagegen ist die Sentenz des Richters nach Gerechtigkeit (des eigentlich so zu nennenden Richters unter dem Namen des heiligen Geistes) über die, denen kein Verdienst zu statten kommen kann: schuldig oder unschuldig, d. i. Verdammung oder Lossprechung. - Das Richten bedeutet im ersten Falle die Aussonderung der Verdienten von den Unverdienten, die beiderseits um einen Preis (der Seligkeit) sich bewerben. Unter Verdienst aber wird hier nicht ein Vorzug der Moralität in Beziehung aufs Gesetz (in Ansehung dessen uns kein Überschuß der Pflichtbeobachtung über unsere Schuldigkeit zukommen kann), sondern in Vergleichung mit andern Menschen, was ihre moralische Gesinnung betrifft, verstanden. Die Würdigkeit hat immer auch nur negative Bedeutung (nicht=unwürdig), nämlich der moralischen Empfänglichkeit für eine solche Güte. Der also in der ersten Qualität (als Brabeuta) richtet, fällt das Urtheil der Wahl zwischen zwei sich um den Preis (der Seligkeit) bewerbenden Personen (oder Parteien); der in der zweiten Qualität aber (der eigentliche Richter) die Sentenz über eine und dieselbe Person vor einem Gerichtshofe (dem Gewissen), der zwischen Ankläger und Sachwalter den Rechtsausspruch thut. - Wenn nun angenommen wird, daß alle Menschen zwar unter der Sündenschuld stehen, einigen von ihnen aber doch ein Verdienst zu statten kommen könne: so findet der Ausspruch des Richters aus Liebe statt, dessen Mangel nur ein Abweisungsurtheil nach sich ziehen, wovon aber das Verdammungsurtheil (indem der Mensch alsdann dem Richter aus Gerechtigkeit anheim fällt) die unausbleibliche Folge sein würde. Auf solche Weise können meiner Meinung nach die scheinbar einander widerstreitenden Sätze: "Der Sohn wird kommen, zu richten die Lebendigen und die Todten", und andererseits: "Gott hat ihn nicht in die Welt gesandt, daß er die Welt richte, sondern daß sie durch ihn selig werde" (Ev. Joh. III, 17), vereinigt werden und mit dem in Übereinstimmung stehen, wo gesagt wird: "Wer an den Sohn nicht glaubet, der ist schon gerichtet" (V. 18), nämlich durch denjenigen Geist, von dem es heißt: "Er wird die Welt richten um der Sünde und um der Gerechtigkeit willen". - Die ängstliche Sorgfalt solcher Unterscheidungen im Felde der bloßen Vernunft, als für welche sie hier eigentlich angestellt werden, könnte man leicht für unnütze und lästige Subtilität halten; sie würde es auch sein, wenn sie auf die Erforschung der göttlichen Natur angelegt wäre. Allein da die Menschen in ihrer Religionsangelegenheit beständig geneigt sind, sich wegen ihrer Verschuldigungen an die göttliche Güte zu wenden, gleichwohl aber seine Gerechtigkeit nicht umgehen können, ein gütiger Richter aber in einer und derselben Person ein Widerspruch ist, so sieht man wohl, daß selbst in praktischer Rücksicht ihre Begriffe hierüber sehr schwankend und mit sich selbst unzusammenstimmend sein müssen, ihre Berichtigung und genaue Bestimmung also von großer praktischer Wichtigkeit sei. |
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