Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 104

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 der Bestimmung der Religion in Absicht auf unser ihr gemäßes Verhalten      
  02 darauf an, zu wissen: wie Gott verehrt (und gehorcht) sein wolle.      
  03 Ein göttlicher gesetzgebender Wille aber gebietet entweder durch an sich      
  04 bloß statutarische, oder durch rein moralische Gesetze. In Ansehung      
  05 der letztern kann ein jeder aus sich selbst durch seine eigene Vernunft den      
  06 Willen Gottes, der seiner Religion zum Grunde liegt, erkennen; denn eigentlich      
  07 entspringt der Begriff von der Gottheit nur aus dem Bewußtsein      
  08 dieser Gesetze und Vernunftbedürfnisse, eine Macht anzunehmen,      
  09 welche diesen den ganzen in einer Welt möglichen, zum sittlichen Endzweck      
  10 zusammenstimmenden Effect verschaffen kann. Der Begriff eines nach      
  11 bloßen rein moralischen Gesetzen bestimmten göttlichen Willens läßt uns,      
  12 wie nur einen Gott, also auch nur eine Religion denken, die rein moralisch      
  13 ist. Wenn wir aber statutarische Gesetze desselben annehmen und      
  14 in unserer Befolgung derselben die Religion setzen, so ist die Kenntniß      
  15 derselben nicht durch unsere eigene bloße Vernunft, sondern nur durch      
  16 Offenbarung möglich, welche, sie mag nun jedem einzelnen ingeheim oder      
  17 öffentlich gegeben werden, um durch Tradition oder Schrift unter Menschen      
  18 fortgepflanzt zu werden, ein historischer, nicht ein reiner Vernunftglaube      
  19 sein würde. - Es mögen nun aber auch statutarische göttliche      
  20 Gesetze (die sich nicht von selbst als verpflichtend, sondern nur als geoffenbarter      
  21 göttlicher Wille für solche erkennen lassen) angenommen werden: so      
  22 ist doch die reine moralische Gesetzgebung, dadurch der Wille Gottes ursprünglich      
  23 in unser Herz geschrieben ist, nicht allein die unumgängliche      
  24 Bedingung aller wahren Religion überhaupt, sondern sie ist auch das, was      
  25 diese selbst eigentlich ausmacht, und wozu die statutarische nur das Mittel      
  26 ihrer Beförderung und Ausbreitung enthalten kann.      
           
  27 Wenn also die Frage, wie Gott verehrt sein wolle, für jeden Menschen,      
  28 bloß als Mensch betrachtet, allgemeingültig beantwortet werden soll,      
  29 so ist kein Bedenken hierüber, daß die Gesetzgebung seines Willens nicht      
  30 sollte bloß moralisch sein; denn die statutarische (welche eine Offenbarung      
  31 voraussetzt) kann nur als zufällig und als eine solche, die nicht an jeden      
  32 Menschen gekommen ist oder kommen kann, mithin nicht als den Menschen      
  33 überhaupt verbindend betrachtet werden. Also: "nicht, die da sagen: Herr,      
  34 Herr! sondern die den Willen Gottes thun" mithin die nicht durch Hochpreisung      
  35 desselben (oder seines Gesandten, als eines Wesens von göttlicher      
  36 Abkunft) nach geoffenbarten Begriffen, die nicht jeder Mensch haben kann,      
  37 sondern durch den guten Lebenswandel, in Ansehung dessen jeder seinen      
           
     

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