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1 Schergen-Teuffel.
2 Erstes Gesicht.
3 NAch dem von meinen Aelteren ich zeits der ersten Jugend in
4 dem Christenthumb einfältig als ein Kind underwiesen, bald
5 im Eylfften Jahr auff die näechstgelegene Hoheschul, an der Jll,
6 umb Kunst und Tugend allda zuerlernen, verschicket worden;
7 Jn welcher ich auch selbigen mahls beständig zimliche Jahr verharret;
8 Befande ich endlichen und im außkehren, daß alles dasjenige,
9 so ich daselbsten in den Büchern von der Welt vnd ihrem
10 Wesen gelesen, auch vnder vnd bey den Mänschen auß ihrem Thun
11 vnd Leben, Handel vnd Wandel absehen vnd vermercken können,
12 mir dergestalt vorkame, daß ich, ein einfältiger, mich darein nicht
13 wohl richten konte.
14 Jch lase die Historien der Welt; Aber ich sahe es doch
15 anderst, alß geschrieben stunde. Jch hörete die Leüte in ihrem
16 Wesen; aber ich sahe es doch anderst, alß sie redeten. Jch sahe
17 die Leute an; aber ich sahe sie doch anderst, alß sie außsahen.
18 Jedem ding gab man zwar seine gestalt; aber es war eine blosse
19 gestalt; dann das inerliche war anderst. Von aussen war alles
20 herrlich; sobald man darnach grieffe, ward es ein schatten vnd
21 verlohre sich vnder den händen. Es gleissete vber die massen,
22 aber es war darumb kein Gold, sondern lauter Auripigmentum
23 vnd Antimonium. Jch wuste immer nicht wie ich das verstehen,
24 oder mich in die gefärbte, gemäntelte, verdeckte Händel schicken
25 solte. Mit einem wort: Es dauchte mich aller Mänschen Wesen
26 nur eine angenommene weise, eine eitele Heucheley sein, vnd solches
27 fast ohne vnderscheid bei allen Ständen.
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1 Jch hatte gelesen, daß die Philosophi die weiseste Leute sein
2 solten; befande aber im werck, daß sie offt die grösseste Narren
3 waren. Jch hatte gelesen, daß die Medici die Krancken heylen
4 und gesund machen solten; befande aber im werck, daß sie so wol
5 als andere an eben selbigen Kranckheyten selber sterben mußten.
6 Jch hatte gelesen, daß die Juristen die Gerechtigkeit lehren und
7 befürderen solten; befande aber im werck, daß niemand dem Rechten
8 mehr verhinderlich und schädlicher wäre als eben die Juristen
9 selber. Jch hatte gelesen, daß die Theologi Heilige vnsträffliche
10 Leute sein solten; befande aber im werck, daß eben viel derselben
11 am meisten in vnversöhnlichem Haß vnd Neid, Ehr- vnd Geltgeitz,
12 auch andern Sünden vnd heimlichen Lastern lebten.
13 Aegrotant Medici. Fraudantur jureperiti.
14 Descendunt multi in tartara Theiologi.
15 Schlosse demnach: Es ist warlich vnser Welt ein lauteres Spiel,
16 vnd all vnser Wesen ein Spiegelfechten.
17 Theiologi Ambigui Juristae lenti et Iniqui;
18 Immundi Medici, Mundus ab his regitur.
19 Vnd, O wehe vns armen Mänschen, die wir vnser Elend so gar
20 nicht erkennen, noch vns darauß helffen können│
21 Man stellet sich wohl, aber es ist doch wenigen im Hertzen.
22 Wir rumpffen die stirn, zehlen schritt vnd tritt, gehen vnd reden
23 nach dem tact vnd der tabulatur, schelten auff alles, was nur
24 ein wenig vberzwerch gehet; vnd dieses ist der äusserliche Wandel;
25 wann man aber den Mantel hienweg thut vnd das Hertz ansiehet,
26 so ist es anderst. Dann, die man vor die beste achtet, die sind
27 offt die ärgste: Eben wie bey den Franzosen, viel Complimenta,
28 wenig Cordimenta. Je mehr wort, je minder Werck; je mehr
29 geschrey, je minder Woll: je mehr geschwätz, je minder Hertz; je
30 mehr schein, je minder Golde.
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1 Es sind Leute, man haltet sie für die Frömmeste vnd Heiligste,
2 Religione devotissimi, Juris administratione rigidissimi, Sanitatis
3 cura superstitiosissimi, Artium doctrina superciliosissimi,
4 Reliqua vita regularissimi, Denique in Titulorum distributione
5 largissimi. Wann ich das Hertz recht erkundschaffete, so kam mir
6 alle mahl dieser vnwidersprechliche Schluß vor, daß ich sagte: diese
7 Leute sind warhafftig nicht wie sie sich vor der Welt stellen, es
8 ist Heucheley dahinder. Multi videntur, et non sunt; Multi non
9 videntur, et sunt. Es stellen sich viel, wollen es sein, vnd sinds
10 doch nicht; Viel stellen sich nicht also, sinds aber doch.
11 Dannenhero
12 Los Spagnoles parescan sabios, y sont locos
13 Los Franceses parescan y sont locos
14 Los Italianes parescan y sont sabios
15 Los Alemanos parescan locos, y sont sabios.
16 Viel wissen sich in Worten für den Leuten nicht gering genug
17 zu machen vnd zu demütigen, nur damit sie desto mehr fürgezogen,
18 mit großen Namen geehret, gezieret, gelobet vnnd angesehen werden;
19 da sie vnderdessen anderwerts ihre Pfauenfedern gewaltig herfür thun,
20 die sie doch durch Christliche demut sinken, oder gar abschneiden
21 lassen solten. Solche Sanfftmütigkeit ist der ärgste Stolz
22 und Ehrsüchtigkeit: Es ist heucheley, es ist schmeichelei, Liebkosen,
23 heimliche Boßheit, heimliche Arglist, heimlicher Geitz, heimlicher
24 Neid, heimliche Mißgunst, heimlich weiß nit was. Vor dem gemeinen
25 Mann gibt es etwas nachdenckens vnd scheins; bei verständigen
26 Leuten wird es verlacht. Der Arme gemeine Mann
27 laßt sich in dem vberreden, wann man nur nach seinem gefallen
28 sich stellen vnd lencken kan, vnd dencket nicht, was sonst für geschmincks
29 vnd falschheit dahinder sein möchte. Nimmermehr aber
30 kans was redliches sein, wo man so gar hinder dem Berg haltet,
31 wann man Brey im Mund hat, vnnd dem Kind nicht will den
32 rechten Namen geben.
33 Viel können schwerlich leiden, daß von anderen Leutten auch
34 irgend was löbliches geredet oder gerühmet werde, es verdreißt sie
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1 solches im Hertzen, als ob ihnen etwas von ihren Ehren damit
2 benommen wäre. Schmälern auch selbst, wo nicht durch offentliches
3 afterreden, doch durch heimliches Liegen, heimliches Angeben, heimliches
4 Einhauen, heimliches Ohrenblasen, wie sie ihrem Nächsten
5 möchten etwas anmachen, Jhm eine klette anhencken, Jhn durch
6 die Hechel ziehen, an seinem glück vnd Wohlfahrt verhinderen;
7 Jnsonderheit mit dem verkleinerlichen Aber; stellen sich mitleidig
8 vnd als wolten sie dich loben;
9 Aber, mit einem schändlichen
10 Aber, stossen sie alles widerum
11 zu boden.
12 Das ist der Welt sitte, Wir
13 spiglen vnd kitzlen vns in frembder
14 thorheit, vnd dörfften doch selbst
15 alle wol, daß vns einer die Hand
16 reichte.
17 Jn solchem Welthandel dachte
18 ich, Nun helfe dir Gott, Philander│
19 Mustu dich in diese Weltköpffe
20 alle richten, was wird es
21 noch für Angst vnd Arbeit kosten│
22 Heüchelstu nicht mit? so wird man
23 Deiner wenig achten; Heuchelstu
24 aber, vnnd thust auch also? Ach
25 was hertzquelens mustu leiden│
26 Was eine saure Last, was eine
27 verachtete Last, was eine wüste
28 Last ist es
29 Auff zwoen Achslen tragen.
30 Pfuy was ein schandlicher Mann ist der│ diese Arbeit kann
31 vnd mag ich nicht thun. Rondeur vaut mieux que Ruse. Besser
32 Esel alß Hund. Darumb so laß ich diesen schandlichen Mann
33 stehen, vnd will gehn an ein Ort da es wohl hergehet. Vieleicht
34 möchte es nur in meinem Vatterland also beschaffen sein; anderstwo
35 aber redlichere Arbeit vnd bessere belohnung geben.
36 Doch, solches eigentlich zu erkennen, nam ich mir vor, vber
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1 den blowen Berg in ein ander Land vnnd Reich zu ziehen, vmb
2 zusehen, ob daselbsten Treu vnd Religion, Glauben vnnd Redlichkeit
3 auch also vermummet, oder ob sie besser zu finden, ehrlicher
4 gehalten vnd belohnet wirden.
5 Zu welchem Ende ich im Frühling in GOttes Namen davon zoge,
6 vnd meinen Weg durch Nancy in Lottringen, auff Pariß
7 nahm. Als ich aber abends daselbsten ankam, vnd in der Herberg
8 á St. Nicolas einkehrete, begab es sich, daß ein Priester mit vns
9 zu Tische sass, Namens Messire Louys d' Ainuille, der sagte mir,
10 daß morgenden tags man einen besessenen Mänschen, vnfern von
11 da, á Nostre Dame de Bon-secour, vor St. Niclaus Pforten
12 beschwören wirde; wo ich nun willens wäre selbiges auch zu sehen,
13 er mir vor anderen darum bedienet sein könte; dessen Erbieten
14 ich zu Dank annam vnnd nach beschehenem Nachtwunsch darauf
15 im Namen GOttes wol eingeschlaffen; Morgends früh neben meinem
16 Würth an gemeldten Ort gegangen│ da dann mich der Vorwitz,
17 solches zusehen, wie die andern triebe, daß ich mich vnder dem
18 geträng fast brauchete, einem hie dem andern da einen stoß gab
19 vnd der vorderste sein wolte. Weil mir aber die zeit zu lang
20 vorkame, vnnd eben im ruck kehren gegen der Statt widerum zu gehen
21 wolte, begegnete mir zu gutem glück obgedachter Priester,
22 mit vermahnen, wieder umbzukehren vnd mich weder zeit noch
23 mühe deßwegen dauren zu lassen, in dem er mich durch ein kleines
24 thürlein gegen dem Altar hienein führete.
25 Sobald ersahe ich einen Mänschen eines scheützlichen schröcklichen
26 Angesichts, dessen Kleider zerrissen, die Haar stiegen ihm auf
27 dem Haupt als Igels-stacheln, die Stirn gefalten als ein Rock,
28 die Augbrauen gekrümt als ein Bogen, die Augen als ein Fackel
29 glantzend, daß Maul als ein Roß sich beschäumend: Dieser finge
30 an jämmerlich zu schreyen, vnd sich grausamlichen zuerbeben; Er
31 zischete als ein Schlang, er knirschete mit den Zähnen als ein Eber
32 vnd blähete den Mund auff alß ein Blaßbalg, die Kähle alß einen
33 Schlauch auffsperrend, Mit den Händen zerkratzte er das Angesicht,
34 zerstiesse die Brust: vnd letzlichen, gleich ob er gestorben, sinckete
35 danider zu Boden, vnd mit wüsten geberden gaffete gen Himmel.
36 Ich, mit bezeichnung deß H. Creutzes, ó GOtt, sprach ich,
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1 was ist das│ vnd ein Geistlicher, so in dieser manier bekleidet bei
2 ihm stunde, sagte zu mir: Da sehet ihr diesen elenden Mänschen
3 mit dem bösen Geist besessen. Alsbald hub an der böse Geist in
4 ihm zureden vnd sprach: Du Geistloser hasts erlogen; dann es ist
5 nicht ein Mänsch mit einem bösen Geist besessen, sondern ein böser
6 Geist mit einem Mänschen geplaget. So wisset nun, das wir
7 Geister wider vnsern willen, vnd genötigter weise, bißweilen in
8 den mänschen, insonderheit den Schärgen
9 wohnen; darumb wann ihr mir meinen
10 rechten titul geben wollet, so sagt nicht,
11 dieser ist ein besessner Mänsch; sondern,
12 dieser ist ein verteuffelter-Scherg, ein verschergter-teuffel,
13 ein Teuffels-Scherg, Ein
14 mit-einen-Schergen-besessener Teuffel. Dann
15 die Mänschen in gemein könen sich viel besser
16 vor dem Teuffel, mit Bezeichnung deß H.
17 Kreutzes segnen vnd hüten, als vor einem
18 Schergen, Dannenhero sie auch
19 [? ]
20 Odium publicum hominibus
21 Hass-aller-welt, Aller-welt-hass genennet
22 werden.
23 Auch so man vnser Thun vnd der
24 Schergen Wesen gegen einander erweget, so
25 befindet es sich gleichförmig zu sein in allen
26 stücken; dann ja, gleich wie sich die Teuffel
27 bearbeiten, vnnd darumb herummer lauffen
28 vnd geschäfftig sind, daß die Mänschen möchten gestrafft vnd verdamt
29 werden; Also thun auch die Schergen, vnd warten mit verlangen,
30 wo der Richter Jhnen irgend einen Angriff zu thun anbefehlen
31 wirde. Die Teuffel wünschen, daß die Welt nur voll
32 böser Buben wäre; solches thun auch die Schergen, damit sie
33 immer zu jagen, zu klagen vnd zu nagen hätten, vnd thun es
34 viel eyfferiger, in dem sie ihr leben vnd nahrung dieser gestalt suchen
35 vnd erhalten. Sind also in dem die Schergen noch ärger als
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1 die Teuffel; dann sie thun demjenigen böses an, der doch ein
2 Mänsch, ihres Wesens vnd Geschlechts ist, vnd ihnen offtmals gutes
3 erwiesen; solches thun die Teuffel, ( ob sie schon aller genaden beraubte
4 Engel sind, ) gar nicht.
5 Darumb, mein lieber Pater, ist es lauter umbsonst vnd vergebens
6 mit den gauckeleyen und beschwörungen, damit ihr vmbgehet,
7 dann so der teufel einen Menschen einmal in seinen Kloben bekommet,
8 ist er, wo ihn Gott nicht sonderlich erlösen will, nicht
9 widerum zuerretten;
10 Sic, velut in muros mures, in pectora Daemon
11 invenit occultas, aut facit ipse vias.
12 Jnsonderheit aber dieser Scherge; dieweil ja die Schergen
13 vnd Teuffel eines Handwercks sind, in dem allein vnterscheiden, daß
14 jene bekleidete oder vermumte Teuffel, wir aber unbeleibte vnd
15 unsichtbare Teuffel sind und ein verdamtes leben führen in der
16 Hölle, eben wie die Schergen vff Erden.
17 Wie ich nun solcher massen den verdamten Geist mit verwunderung
18 reden vnd forschen hörte, fuhr in deß der Pater mit
19 seinem beschwören immer fort, vnd den Teuffel vermeyntlich stumm
20 zumachen, besprengte er den Mänschen offt mit Weyhwasser, davon
21 der besessene heftig tobete, mit den zähnen ein solches klapperen,
22 vnd mit den Augen ein so elende gestalt machte, daß den umbstehenden
23 recht angst vnd bange ward, vnd die wände davon erzitterten.
24
25 Nicht meynet, sprach der Geist, daß solch erdichtete Krafft
26 dem Weyhwasser zuzuschreiben; daß ich so tobe vnd wüthe, das
27 geschicht allein wegen der Natur des bloßen puren Wassers; dann
28 nichts ist, das die Schergen ihrer gewohnheit nach mehr fliehen,
29 hassen vnnd förchten als daß Wasser; dergestalt, wann vns die
30 Schergen in der Hölle nutz wären, wir sie nur mit darweisung
31 eines einigen glases mit rotem Wein sprungsweise zu vns bringen
32 wolten.
33 Vnd damit ihr ja sehet, wie so gar nichts die Schergen nach
34 Heiligen Geistlichen Dingen fragen, so wisset, daß man sie vor
35 Jahren Gerichtsknechte genennet, welchen Namen sie verändert, vnd
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1 secundum opera et operata, in den Namen Hatschier verwandelt
2 haben, als die die Leute Hatschen Schieren vnd Scheeren, das
3 denselben der beutel also blutt a blauß wurd assa nackites mouysle.
4 Der Pater, als er alles dieses mit becreutzigen gehöret, sprach
5 zu mir, daß ich solche des Bößwichts spottreden mich nicht wolt
6 irren lassen, alß der, so man ihm das geschwätz vergönnen thäte,
7 tausenterley schelt-- vnd schmachwort wider die heilsame Justitiam
8 vnnd derselben Dienere ausstoßen wirde, die weil sie die Gottlosen
9 straffet, vnd dadurch zum rechten weg vnd ihrer Bekehrung zu
10 weisen begehret, also daß viel Seelen auß des Feindes banden,
11 darinnen sie gefangen lagen, können erlöset werden.
12 Vndersteht nicht mit mir euch in disputation einzulassen,
13 sprach der Teuffel, ich hab mehr erfahren vnd gelernet als Ein
14 Pater. Machet nur daß ich einmahl von diesem Schergen erlediget
15 werde, ich bitt drumb; dann so ein stattlicher Teuffel, als ich bin,
16 soll mich billich schämen, in eines Schergen Leib länger zu wohnen.
17 Das soll, sprach der Pater, ob GOtt will, bald geschehen, damit
18 der arme Mänsch von dir erledigt werde; vnnd nicht vmb deiner
19 lasterhafften wort willen. Vnd warumb, möchte ich wissen, plagestu
20 den armen Leib also? Darumb, sprach der Geist, weil seine Seele
21 vnd ich mit einander in einen Streit gerathen vnd gezancket haben,
22 welcher der ärgste Teuffel vnder vns beiden seye, der Scherge
23 oder Jch?
24 Daß Geschwätz wurde dem Pater verdrüßlich zu hören, ich
25 aber bate ihn, zu erlauben, daß ich den besessenen etwas fragen
26 dörffte, vielleicht möchte es mir, dachte ich, heylsam sein, ob es
27 schon des Teuffels meynung nicht wäre, welches er mir bewilliget;
28 in dem der Feind immerzu fortfuhre vnd vnder anderem sagte:
29 An Fürsten vnd grosser Herren Höfen haben wir auch grosse
30 Freunde vnd Kundschafft. Niemand aber ist der uns daselbsten
31 grösser Dienst leiste als die Poeten, Lieder-Dichter, mit liegen
32 vnd sonsten, darumb so belohnen wir dieselbige auch redlichen in
33 der Höllen.
34 Hat es dann auch Poeten in der Hölle? fragte ich. ja freylich,
35 sagt der Teuffel: es wimmelt vnd wibblet voll darinn, darum
36 man vor kurtzen Jahren ihr Quartier hat erweittern müssen. Vnd
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1 ist nichts lächerlichers alda zusehen, als wann ein Novitius ein
2 Neuer Schwärmer von ihnen ankommet, seine literas commendatitias
3 Gruß- vnd'- Vorschreiben einhändiget in Hoffnung die solennes
4 Deos, quibus agitantibus illi calescunt, als Charon, Cerberus,
5 Minos, Pasiphae, Megaera, Medusa, Proserpina, Pluto,
6 Aeolus, Rhamnusia, Neptunus, Bacchus, Juno, Venus, Cupido,
7 Mercurius, Juppiter, Apollo, Phoebus, vnd andere zu finden vnd
8 zu begrüssen.
9 Weil mich dieses schier ein wenig kützelte, fragte ich, was
10 dann für eine belohnung die Poeten in der Hölle zu gewarten
11 hätten?
12 Vielerley, sagte der Geist, als vielerley Inventiones vnd
13 Einfälle ein Poet in dem Kopff hat. Dann etliche werden darinn
14 zur belohnung gepeiniget, wenn sie ihrer Corrivalium oder Competitorum
15 ihrer Mittmeister, Mit-gesellen opera vnd Carmina,
16 grillen vnd bossen lesen hören, vnd solches geschicht auch bei den
17 Musicanten. Etliche haben ihre Belohnung darinn, daß nach viel
18 hundert vnd tausend Jahren sie dannoch nicht können aufhören
19 ihre Vers zu revidiren vnd zu corrigiren, zu besehen, vbersehen,
20 vermehren vnd verbesseren. Einer gibt sich mit der Faust einen
21 Stoß an die Stirn. Ein anderer kratzt hinder den Ohren. Einer
22 grübelt in der Nasen. Ein anderer hat keine Invention oder venam,
23 wie sie es nennen, ( daß ist die Grillen wollen ihm nicht steigen )
24 er habe dann gesoffen.
25 Sic potant, tanquam sine potu nemo Poeta
26 aut tanquam potus quisque poeta foret.
27 Ein anderer seufftzet. Ein anderer grummet vnd brummet als
28 wie eine Humse in einer Drummel, murmur insolitum, et sub
29 diaeta Magistri quasi cupientis exire belluae gemitum gemens.
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1 Ein anderer verkehrt die Augen alß ein Geyß, deren ein Streich
2 oder Stich worden, oculos ad accersendos sensus longius mittit,
3 vnd dannoch können sie noch heut zu tag nicht finden oder errathen,
4 ob man sagen sollte vultus oder facies, scripsit oder scribsit,
5 sumptus, oder sumtus; optimé oder optime, sollicitus oder solicitus,
6 an haec vel illa syllaba brevis an longa an anceps.
7 Etliche, damit sie ja nicht vmb einen Buchstaben neben die schnur
8 hauen, gehen, bald rennen, auf vnd ab, nagen sich die Nägel
9 an den Fingern biß aufs Blut, als vnsinnige, Pollice ad periculum
10 raso, vnd in allem diesem tieffen Nachsinnen, fallen sie
11 in verdeckte Gruben, darauß man sie mit grosser mühe kaum widerum
12 kan bekommen.
13 Die Poetae Comici aber haben es am allerärgsten, zur
14 billigen Straff, daß sie so manche Königinnen, Princessen vnd
15 Göttinnen ihrer Ehre beraubet, so viel vngleiche Heyrath gekuppelt
16 vnd so viel rechtschaffner Cavalliers, ihrem vorgeben nach, so schimpfflich
17 vnd vntrewlichen angeführet, wie im Amadiß, Schäfferey,
18 Diana de Monte Majore, Ritter Löw, Tristrant, Peter mit den
19 Silbernen Schlüsseln vnd anderen dergleichen zusehen.
20 Vnd diese Poeten sind nicht bey den andern, dann auß vrsachen
21 sie so viel List vnd räncke, so viel Kunst vnd schelmenstücklein
22 erdacht, als hat man ihnen quartier verordnet bei den
23 Gewissen-Losen Procuratoren vnd Solicitanten der processen,
24 als Leuten die in diesen Stücken vor anderen wol erfahren. Dann
25 ihr Mänschen sollt wissen, sprach der Geist weiters, das es in
26 der Hölle, ohnvergleichlich zu reden, besser hergehe, vnd haben wir
27 ein vil richtiger Regiment vnd Ordnung als ihr bei eüch auff der
28 Welt; da ist weder Vetter noch Bäsel, weder Vorzug noch Vorschub,
29 weder Gunst noch Ansehen der Person; welches darauß zuersehen
30 daß, als Neulich ein grosse truppe fremder Gäste angelanget,
31 darunter der Erste eine armer Guffenmacher oder Spingler
32 gewest, vnd man denselben zu den Schlossern legen wollen, einer
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1 vnder vns den Rath gegeben, daß er zu den Notarien vnd Schreibern
2 gelegt wirde, als Leuten die da könten die Feder spitzen vnnd
3 durch Spitzfinde vnnd gespitzte Wort manchen ehrlichen Mann vmb
4 das seine bringen.
5 Ein anderer, so da sagte, er wäre ein Schneider, vnnd man
6 fragte, ob er ein Bruchschneider, oder Wappenschneider wäre? vnd
7 zur Antwort gab, er wäre ein Schneider der Kleyder; denselben
8 hat man zu den Fuchsschwänzern, Lügnern vnnd Suppenfressern
9 eingeleget, als Leuten, die einem ehrlichen Mann seinen guten
10 Namen, Ehr vnnd Leymuth beschneyden können, gleich wie jene
11 die Kleider.
12 Ein Blinder, der auff vorschrifft des Homerus vermeynte
13 bei den Poeten zuherbergen, ward zu den Buhlern gewiesen,
14 wegen der Sympathiae vnd Eigenschafft, so sie mit einander haben.
15 Ein Todtengräber, ein Marckatenter, und Gartküchner, welche
16 Katzen für Hasen, Pferdsfleisch für Wildpret vnd Mucken für
17 Rosinen verkaufft hatten, sind bei die Pastetenbecken einfurirt.
18 Jhrer fünf oder sechse so sich für Narren außgaben, sind
19 bey die Astrologos vnd Alchymisten, Calenderschreiber vnd Goldmacher
20 geführet worden.
21 Einer, so bekante, daß er etliche Todschläg begangen, ward
22 bei die Herren Medicos geführet.
23 Eine Wäscherin ward zu den Würthen gewiesen, weil diese
24 den Wein so wol wäschen können. Ja Lucifer selbsten, wann er
25 zur Taffel ist, hatt jedermalen dergleichen Weinschencken vor andern
26 bey sich sitzen, so ihme müssen bescheid thun, weil sie nemlichen des
27 Schwefels im Wein besser gewohnt als jemand anders.
28 Ein Zigler kam auch daher, vnnd als er nach Herberg ansuchte,
29 ward er zu den Würtzkrämern gewiesen, weil er vor diesem
30 mit gebrantem Leymen vnd Ziegenmehl bey ihnen im Gewerb
31 gestanden.
32 Ein Seiler kam hinden hernach, der vermeynte bey den Kauff--
33 vnd Handelsleuten quartir zu haben, ist aber zu den Werckheiligen
34 gewiesen worden, welche durch ihr eigen Werck ( doch nicht ohne
35 Hanff ) reich vnd Gerecht werden wollen.
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1 Eine Nägderin vnd Singerin kamen in gesellschafft daher
2 vnnd liessen sich bey etlichen Damen zu Hoff anmelden, aber sie
3 wurden den Frantzosen vbergeben, welche sie bey denen einfurirten,
4 so sie Enfans perdus nennen.
5 Ein Gärtnerin begerte, daß man ihr quartier verordnen wolte,
6 die hat man auch zu den Würthen gewiesen, weil sie das Wasser
7 ebener massen vnder der Milch, als jene vnder dem Wein, wol
8 vnd thewer könte verkauffen.
9 Jn summa, es ist auff Erden keine Statt noch Land so
10 wol bestelt als die Hölle, warin einem jedem widerfahret, wie er
11 es Ehren halben wol verdienet, welches auff der Welt nimmermehr
12 wird also gerathen vnd ins Werck gebracht werden mögen.
13 Mich duncket, sprach ich nach allem diesem gespräch, daß ich
14 auch von den Verliebten sagen hören, vnd weil ich vor jahren
15 sowol mit dieser Kranckheit, als auch der Poeterey etwas behafftet
16 gewest, möchte ich wol wissen, ob auch viel Verliebte zur Hölle
17 kommen? Die Liebe, Antwortete der Geist, ist wie ein grosser
18 Flecke oder Maase von Oel, die ein gantzes Kleid verschändet,
19 vnd hat der Verliebten freylich genug in der Hölle, aber von
20 vnderschiedlicher gattung, dann etliche sind Verliebt in sich selbsten,
21 so man nennet(?) etliche in ihr Gelt; etliche in ihre
22 Schriften, wie die Poeten, die mehr Lieb zu einem ihrer vngeschickten
23 Verse tragen, als mancher Vatter zu seinen wohlgestalten
24 Kinderen. Ja, wie auch die wüste garstige Kinder ihre Mutter
25 belustigen, Also Fuchsschwäntzen vnd Liebkosen den Poeten ihre
26 heßliche Verse, vnd einen jeden Schreiber betriegen seine eygene
27 Schrifften, vnd vbertäuschen ihn vor den Ohren.
28 Etliche sind verliebt in ihre Weiber, vnd deren sind am
29 wenigsten zufinden, auß vrsachen weil die Weiber entweders durch
30 ihre böse halßstarrige Köpffe, oder aber durch ihren Vngehorsam,
31 Vnfreundlichkeit, Vnhäußlichkeit, vnsauberkeit vnd andere dergleichen
32 Vntugenden ihren Männern vielmahl Vrsach geben sich der Hochzeit
33 zugereuen; Jnsonderheit die Schwatz- vnd waschhaffte, welche
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1 den armen Männern am meisten mühe vnd Sorge machen. Darum
2 dann geschrieben stehet
3 Vincitur nisi lingua prius, non vincitur Uxor:
4 Uxorem solus qui superit superat.
5 Die andere Verliebte sind wunderlichen anzuschauen, vnd möchte
6 mancher meynen, er sähe einen Kram-Gaden auffgethan, oder in
7 einen Pater-noster Laden, so mit mancherley farben von Nesteln,
8 Bändeln, Zweifelstricken, Schlüpffen vnd anderm, so sie favores
9 nennen, sind sie an Haut vnd Haaren, an Hosen vnd Wambs,
10 an Leib vnd Seel behencket, beschlencket, beknöpffet vnd beladen.
11 Andere haben so viel Zöpff vnd Haarlocken vmb vnd an sich hangen
12 wie die junge Pferde mit ihren mähnen. Andere, so man für
13 Postbotten halten möchte, sind dermassen mit Brieffen beladen, wie
14 ein Müller-Esel mit Säcken.
15 Vnder diesen, in einem finstern wüsten Ort, voller gestanck
16 von Widder_, Bocks_, Ochsen_ vnd Schafhörnern etc. ligen diejenige
17 so man vnder vns, Esel, aber in gemein Gäuche nennet, vnd
18 diese können am allermeisten tragen, auch sind sie die allergeduldigste
19 vnd frömbste. Sie sehen alles, sie hören alles, sie riechen
20 alles, sie greiffen alles, vnd derowegen sind sie sinnhaffter, als
21 andere alle. Ja sie leiden alles, sie dulden alles, vnd dannoch
22 hat die Liebe bey ihnen kein Ende. Es sind Leute ohne Gall
23 vnd Zorn, gleich wie die Lackeyen oder Beyläuffere ohne Miltz,
24 vnd heißet wol
25 Cornutum te Corneli scis esse, tacesque:
26 Non Cornelius es modo, sed Tacitus.
27 Nach inhalt der Regul, welche in Grammatica Cornutorum
28 zu lesen
29 Audi, cerne, tace, cui publica contigit uxor:
30 Haec tria praecipue verba notanda tibi.
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1 Andere sind, die vngeachtet ihres alters, Natur, Neigung,
2 vnd Lüsten, sich in Liebe gegen alte Hadermätzen vnd Kuplerinnen
3 annehmen, vnd diese sind am härtisten angefässelt, auß vorsorg,
4 daß sie sich auch an den Teuffeln selbsten vergreiffen möchten; dann,
5 wie heßlich, schwartz vnd vnflätig wir auch außsehen, so deucht
6 sie doch vnderweilen als ob wir Adonides, Arethusae, Veneres,
7 Narcissi, vnd die allerschöneste zierlichste bilder wären.
8 Vber niemand sind wir in der Hölle mehr erzürnet als vber
9 die Mahler, darum, weil sie mit vns vmbgehen, als ob wir ihre
10 Narren, ihre Verdampte; sie aber vnsere Herren vnd Teüfel wären;
11 indem sie vns abreißen vnd mahlen ihres gefallens, bald mit
12 Klawen vnd griffen, da wir doch weder Adler noch Greiffen sind;
13 bald mit Hörnern vnd Habichtsnasen, da wir doch weder Schaafe
14 noch Vögel sind; bald mit langen küheschwäntzen, als ob wir der
15 mucken wehren müsten; welche Ehr vnd Würde vnder vns niemand
16 gebühret als Beelzebub dem Obristen vnd seinen vnderhabenden
17 allein; Bald mit Bärten wie die Indianische Hanen.
18 Der vnder euch Mänschen bekante Mahler Michel Angelo
19 Bonaroti ist dieser tagen fürgefordert worden vnd scharff gefraget,
20 warumb bey Abmahlung deß Jüngsten Gerichts er vns so vielerley
21 gestalt, so gräßlich, so abschewlich, so wunderlich, so hönisch, so
22 förchterlich angestrichen vnd angedichtet habe? Der gab zu seiner
23 Entschuligung diese kahle antwort, Nemlichen, Er hätte sein Lebtag
24 keinen Teuffel gesehen, auch ( wie die meiste Mahler, Künstler,
25 Hoffleute vnd Hochgelehrte pflegen ) viel weniger geglaubet, daß
26 Teuffel oder Hölle sein solte, wäre derowegen solches verbrechen
27 nicht seinem bösen willen, sondern allein dem blossen Wahn zuzuschreiben.
28 Aber er hat nicht gedacht, quod ignorantia non absolvat
29 á peccato, hat ers nicht gewußt, so hat ers sollen wissen.
30 Sind also die in gleichem Werth; welche wissen, was sie nicht
31 wissen sollen; vnd welche nicht wissen, was sie wissen sollen.
32 Was wir aus denjenigen Mahlern machen, welche einen Hoffschrantzen
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1 vnd dergleichen zugefallen allerley Posturen, allerley
2 Abbildungen Mänschlicher gestalt vnd Leiber mahlen, dahero die
3 vnvorsichtige Jugend vns heimlichen beyführen, das ist auß ihren
4 treuen Diensten leichtlich zu erachten. Cum aspectu nudorum
5 corporum tam mares quam foeminas irritare soleant ad enormis
6 lasciviae appetitum, dis gehet euch an ihr Herren Mahlere, dann
7 Et pictus laedere novit Amor
8 Sed
9 Et scriptus laedere novit Amor
10 Dies ist euch gesagt ihr Herren Poeten│
11 Ein Ding ist, so vns vber die massen verdreußt, welches
12 doch euch Mänschen, insonderheit den Dienstbotten, gar gemein ist.
13 Dan da vor diesem dem Niemand alles zugeschrieben worden, wo
14 es wider sinnes hergegangen; so schiebet man es jetzt alles auff die
15 Arme Teuffel; was sonst Niemand will gethan haben, das hat
16 der Teuffel, gethan, das thu der Teuffel, alles dem Teuffel zu,
17 das woll der Teuffel, was Teuffels ist dz? welcher Teuffel hat das
18 gethan? welcher Teuffel hat das gesagt? welcher Teuffel hat das
19 geschwätzt? welcher Teuffel hat mich verrathen? der Teuffel den
20 Schneider, wie hat er mir das Kleid verderbet│ wie hat er mich
21 so lang umbgezogen│ wie hat er mir das so kurtz, das so enge
22 gemacht│ wie hat er mich bestohlen│ Vnd ist vns mehr Vnfalls
23 noch niemahlen gewünschet worden, als nur von der Schneider
24 wegen, daher sie gar als Erben vnnd liebe Kinder im Hauß sein
25 wollen: werden also die arme Teuffel eben schlecht gehalten vnd
26 liederlichen verehret, da wir doch so hungerig nicht sind, daß wir
27 alles das so man vns zuwünschet annehmen wirden.
28 Hat ein Lackay was Vbels gethan: ey das ihn der Teuffel
29 hol, sprecht Ihr; aber wisset, der Teuffel begehrt der Bernhäuter
30 keinen, dann der meiste theil vnder ihnen ist viel ärger als der
31 Teuffel, vnnd ist vns ein sehr vnnützes gesindlein in der Hölle,
32 als die weder zu sieden noch zu braten tügen.
33 Der Teuffel hole diesen Italianer│ aber wisset, er thue sich
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1 der Verehrung bedancken, dann wol ein Italianer dürffte einem
2 vnvermerckt einen Dolchen in den buckel stossen. Also auch:
3 Der Teuffel hole diesen Spannier│ Aber weil vns der Spannier
4 Regiersucht bekant, dörfften sie sich auch der Hölle wohl gar
5 vnderfangen wollen. Nur dem Türcken zu mit diesem Gesind,
6 dann er bedarff der Moresken, seine Heer der Janitscharn vnd
7 beschnittenen damit zu stärcken.
8 Indessen begab es sich, das vnder den zuschauenden zween
9 mit Worten hart vnd biß zu streichen an einander gerathen; als
10 ich danach sahe, war der eine General-Commissarius, der ander
11 ein Commissarius, Renovator, oder Reformator, vnd der Geist
12 sprach, das sind die gröste Diebe vff Erden.
13 Diese beide nun verweiseten je einer dem andern seine schelmenstücklein;
14 weil sie mir aber von Gesicht vnd thun gantz wol bekandt,
15 als welche Vrsach an meines betrübten Vatterlands verderben
16 vnd vndergang waren, sprach ich, wan der Teuffel diese
17 beyde Schindhunde vnd Marcksäuger, pestes Regnorum et rerum
18 publicarum; diese Retscher vnd Anbringer, diese Anstifter neuer
19 beschwerungen, Aufflagen, Leib vnd Seelendiensten nach verdienst
20 belohnen solte, wie wirde es ihnen so wunderlichen ergehen│ Ihr
21 verstehet leider nicht viel, sprach der Teuffel auß dem besessenen,
22 das Ihr vns auch dergleichen loses gesindlein zuwünschet, da
23 Ihr doch wisset, daß sie deß Teuffels ärgste Kinder seind; vnd
24 wo ihnen die Hölle nicht von Rechtswegen zugehören thäte, sie
25 nimmermehr durch andere mittel dazu gelangen solten.
26 Es ist jetzt an dem, das wir sie, wo müglich, gantz abschaffen
27 wollen, dann es ist ein recht vndankbares Völcklein, vnnd zur boßheit
28 so abgeführet vnnd abgeschäumet, daß sie auch vnderstehen vns
29 vnnd vnser Reich in das verderben zusetzen, in dem sie eine neue
30 Aufflag oder Zollgelt auff unserem Weg auffrichten wollen. Eben
31 wie newlich der Duc d'Alba in den Niderlanden den hunderten
32 Pfenning von allem vermögen, widerum den zwantzigsten Pfenning
33 von aller Fahrnuß, widerum den zehenden Pfenning von allen Käuffen,
34 Reichen vnd Armen, Herren vnd Knechten ewig zu geben strängiglichen
35 gebotten. Wie neulichen von jedem Fenster auff die Gasse,
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1 wie neulichen von jedem Schornstein im Hause, wie neulich von
2 jeder Staffel an der Stiege, vom 29. Octobris 1639 auß Leipzig
3 bekräfftiget worden. Weil nun dergleichen beschwerden sich von
4 tag zu tag erheben vnd häuffig mehren, ist zu besorgen, das mit
5 der Zeit durch unbillige Steigerungen vnd andere solenniteten
6 der Admodiatorum der Preiß dermaßen gehöcht werde, daß letztlichen
7 der Handel vnd Gewerbschafft, den die Welt mit vns biß
8 hierhero gepflogen, gar in einen Abgang gerathen möchte, welches
9 dann vnsers Reichs endlicher Vndergang vnd Einösung sein müste.
10 Aber, so sie von ihrem beginnen nicht bald abstehen, dannenhero
11 auß vnserem Reich bannisiret werden, so sind sie ja viel ärmer
12 als die andere verdampte alle, weil, wie bekant vnd offenbahr,
13 Ihnen der Himmel ohne daß schon verschlossen.
14 Der Pater, so müde ward das lange Geschwätz anzuhören,
15 sprach: gleich wie der Teuffel wünschet, daß keine Gerechtigkeit oder
16 Gerichtsdiener auff Erden wären, also meynet er, müsse man alles
17 dieses sein Geschwätz, so wider Gericht vnd Gerechtigkeit gerichtet,
18 auch glauben vnd ihm beyfall geben.
19 Ich meyne ja, sprach der Teuffel, es seye keine Gerechtigkeit
20 mehr auff Erden, vnd wann du Pater die Histori nicht weissest,
21 will ich sie dir erzehlen; wie
22 Wahrheit vber Meer gezogen,
23 Gerechtigkeit nach Himmel geflogen,
24 Lügen vnd Gewalt sind auff Erden blieben.
25 Es geschahe, daß Veritas vnd Justitia eines tags mit einander
26 zu reysen vnd beysamen zu wohnen sich entschlossen, aber
27 niemand war, der sie hätte auffnehmen wollen, dann Veritas war
28 gantz nacket vnd bloß, vnd hatte nicht vil geschmücks am Leibe;
29 Justitia sahe sawer auß vnd achtete keines Mänschen. Endlich,
30 nachdem sie ohne einige hülffreichung herum geirret, vnd niemand
31 sich ihrer annehmen wollen, wurde Veritas auß noth gezwungen,
32 bei einem Stummen einzukehren; Justitia, weil sie sahe, daß allein
33 ihr blosser Name bey den Mänschen geliebet vnd gebraucht wirde,
34 damit alle Vngerechtigkeit, Tyranney vnd schinderey zu bemänteln
35 vnd verbergen, wurde sie kurtz bedacht vnd kehrete wider vmb nach
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1 dem Himmel, da sie zuvor herkommen. Derohalben vnd zu diesem
2 ende, so zoge sie eylends von grosser Fürsten vnd Herren Höffen,
3 als daselbsten Ihro viel schimpff von den Hoffschrantzen vnd Fuchsschwäntzern
4 wiederfahren; Sie verließ auch so bald alle herrliche
5 Gewerbe, die grosse Stätte ( da man auf gunst vnd Vetterschafft
6 mehr siehet dann auf Recht ) vnd kam in ein kleines elendes Dorff,
7 da sie bey einem schlechten Bauren-Schulzen einzoge, Namens
8 Pauper, dessen Weib ( hier zur nachricht zu vermelden, ob man
9 sie noch allda finden möchte ) Simplicitas genennet; weil aber etliche
10 vornehme Herren, auß den Stätten Malitia vnd Injuria, ihr hefftig
11 vnd gewaltsamer weise nachforscheten vnd sie verfolgeten, kam sie
12 in ein ander Dorff, gienge von Hauß, zu Hauß, ob sich ihrer
13 jemand erbarmen vnnd heimlichen einlassen wolte; vnd alldieweil
14 Justitia nicht liegen noch triegen kan, vnd sie gefragt war, wer
15 sie wäre? Sie aber rund durch gienge vnd sagte, ihr Nahm wäre
16 Justitia; Da schlug ihr ein jeder die Thür vor der Nasen zu,
17 mit vermelden, sie wißten nichts von ihr, solte anderstwo umb
18 Herberg suchen; also, nachdem sie in gemein dermassen abgewiesen
19 worden, sie endlich davon geflohen vnd gen Himmel geflogen,
20 daß man seithero nichts mehr von ihr gesehen oder erfahren können,
21 als allein etliche kleine Wortzeichen vnd vnvermerckte anzeigungen,
22 welche doch soviel Zeugnuß geben, daß sie vorzeiten auff der Welt
23 gewesen. Die Mänschen, in dem sie jetzt noch ihrem Namen nachdencken,
24 geben vnd eygnen sie derselben zu einen Stab oder Scepter,
25 welches oben eine Hand hat, vnd man Justitiam zu nennen pfleget.
26 Aber es ist ein blosser schein, vnder welchem das arme Volck
27 nur herumb gezogen, gehalten, gespannen, gefässelt, betrogen vnd
28 beraubet wird, ärger als von offentlichen Dieben mit allen
29 ihren Diebsschlüsseln, Dietrichen vnd anderen dergleichen passe-par-tout.
30
31 Ist also dieser gestalt das Mänschliche wesen in eine solche
32 Verwürrung vnd vppigkeit gerathen, daß sie alle ihre Leibs_ vnd
33 Seelenkräfften, alle ihre sinne vnd verstand allein zu stehlen vnd
34 zu Rauben gebrauchen.
35 Dann ein Buhler, stihlet er nicht mit seinem Willen die Ehr
36 einer Jungfrawen? Ein Vorsprech stihlet er nicht eim andern sein
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1 gut ab mit seinem Verstand? dum pervertit vim legis, eique
2 aliam planeque contrariam affingit.
3 Ein Gauckler, stihlt er nicht einem andern sein Gelt, vnnd
4 die gute zeit ab? in dem durch seine bossen vnd Gauckeley er sich
5 sehen lässet?
6 Die Liebe stihlet ja mit den Augen, die Wohlredenheit mit
7 dem Mund, der Musicant mit der Stimm vnd Fingern, das
8 Hertz die Sinne, die Ohren. Potens brachio nocet, miles manibus,
9 der Medicus stihlet das Leben mit dem Todt, der Apothecker
10 stihlet die Gesundheit mit der Artzney, der Wundartzt den Wehetag
11 durch schmertzen, der Calendermacher den Himmel mit seiner Bryllen.
12 Vnd diser Versoffne Kunz,
13 stiehlet er nicht den Durst hienweg,
14 mit seinem Knorrichten
15 glas voll wassers?
16 In summa, totus Mundus
17 furatur, sie sind alle Dieb vnd
18 Diebsgenossen. Ich bin auch ein
19 Dieb, sagt jener arme Baur,
20 dem die Soldaten ein Pferd außspanten;
21 damit er es aber erhalten
22 möchte, sprach er: Ach
23 ihr Herren, lasset mir doch mein
24 Pferd, ich bin auch ein Dieb.
25 Vnd ist keiner so Reich oder
26 Arm, so jung oder alt, so groß
27 oder klein, der nicht in etwas
28 sich mit diesem Laster, offt vnder
29 dem Schein grosser Heiligkeit,
30 grosser Freundschafft vnd Wolgewogenheit,
31 tugentlichen hätte
32 vergriffen. Insonderheit aber die
33 Schergen, welche so geartet sind, daß ihr Mänschen billich daß
34 jenige wider sie sprechen soltet, welches ihr wider vns zu betten
35 gelehret vnd gewohnet seit: Libera nos Domine.
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1 Mich wunderte aber, daß er nichts von den Weiberen gesagt
2 hatte, bevorab weil sie rechte Diebe, vnd billich vnder solche Zunfft
3 wegen Handwercks hätten gezehlet werden sollen. Darauf der besessene
4 antwortete: O dencket mir nichts von Weibern, laßt sie,
5 wo sie sind, wir haben ihrer in der Hölle so genug, wir sind
6 deren so vberdrüssig vnd müde, daß einem davor billich angsten
7 solte. Es ist ein fast schlechter Lust, umb die Weiber stetigs zu
8 wohnen. O was geben die arme Teuffel drumb, daß sie keine
9 Weiber hätten│ Dann seithero Medusa, die alte Zauberin, gestorben,
10 ist kein sterne mehr in der Hölle; vnd erdencken die Weiber
11 täglich so viel neuer trachten, so viel neuer spitzfünde vnd Liste,
12 daß sie nichts nutzen, als nur stetigen Zanck vnd vnfug vnter vns
13 anzustifften, vnd zu beförchten, sie sich letzlichen auch an vns wagen
14 vnd, das Regiment an sich zu bringen, gar zu Siehmännern
15 machen möchten. Das beste an ihnen ist, daß sie vns nimmermehr
16 vmb ichtwas ansprechen; auch haben sie schlechte Freundschafft, als
17 verdächtige Personen, von uns zugewarten, insonderheit die alte
18 heßliche Vetteln, deren es sechsmal mehr in der Hölle hat als
19 der schönen. Dann in dem sie, die schönen, viel ehe einen guten
20 Gesellen finden, der Jhrem willen beygethan, vnd sie also befridiget
21 werden, geschicht es, daß je allemahl eine, wann sie in
22 Sünden ihre Jugend nach belieben zugebracht, endlich etwan durch
23 sonderbar gut Eingeben in sich selbsten gehet, sich bekehret, vnd
24 also vns vnd vnserem Reich entgehet.
25 Aber die heßliche Weiber, nach dem niemand sich ihrer annimmt,
26 noch sich vber ihre garstige Liebe erbarmen will, kommen
27 endlich auß hitziger begierde vnd verzweiffelung so erhungert dürr
28 vnd mager zu vns, daß wir etlich mahl auß forcht vor ihnen
29 entlauffen vnd vns verkriechen müssen. Wie sie dan meist auß
30 lautter verzweiffelung vnd gruntzend gestorben, wie die Schweine,
31 mit grossem vnwillen, die weil die Junge ihnen vorgezogen werden.
32 Neulicher tagen kam eine bey vns von 90. Jahren, welche vorgeben,
33 sie hätte großes Zähn wehthum, vnd käme vns vmb mittel
34 anzusuchen, als ob wir so einfältige Teuffel wären, vnd solches
35 glauben sollen; dann weil sie vorgab, daß sie Zähne hätte, vermeynte
36 sie, sich dardurch jünger vnd desto angenehmer bei vns
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1 zu machen, da doch vor mehr als 30. Jahren sie ihre Zähne schon
2 alle verlohren. Weil ich aber fragte, ob auch Arme in der Hölle
3 zu finden seyen, vnd der Teuffel antwortete, was ich dann durch
4 das Wort Arme verstünde? sprach ich, den jenigen, welcher nichts
5 hat noch besitzet von dem, was die Welt hat vnd hoch hält. ó du
6 vngelehrter tropff, sagte der Geist, hastu dan niemahlen gelesen, was
7 eurer vornembsten Patrum einer sagt: quod paupertas sit manuductrix
8 quaedam in via, quae ducit ad Coelum│ vnd ob schon sie
9 sich in ichtwas vergreiffen, so heißt es doch: Quisquis inops peccat,
10 minor est reus. Und das wäre ja vnbillich, daß die Arme solten
11 verdamt werden, die doch nichts haben von allem deme, das den
12 Reichen die verdamnus bringet│ Sind also die Arme nicht in unserem
13 Stattbuch eingeschrieben; vnd laß du dich dessen nicht wunder nemmen.
14 Dann Mein, Wie könte ein Teuffel ärger sein als ein Ohrenbläser
15 vnd Neidhund? als ein falscher vntreuer Freund? als ein
16 verwegener vntreuer ( Pro-curator ) Vorsprech, der der einen Partey
17 dienet, damit er der andern dienen möge? als böse verführeriscche
18 Gesellschafft? als ein vngerathenes Kind, Bruder oder Verwandter,
19 der anders nichts wünschet, als das du tod, vnd er dein Guth besitzen
20 möchte; der sich stellet, deine Kranckheit seye ihm leyd; vnd
21 doch im Hertzen wolte, der Teuffel hätte dich schon weggenommen.
22 Dieses alles gehet einen armen nicht an; Er hat keine Ohrenbläser
23 oder schmeichler; er hat keinen, der ihm etwas könte mißgönnen;
24 er hat keine Freunde, weder böse noch gute: Er hat keine
25 Procuratores, dan bey den Armen redet ein jeder für sich selbsten,
26 wan er kein Gelt hat, nach dem Armen waidspruch Qui nihil
27 hat, nihil dat. Er hat auch keine Gesellschaft. Seine Kinder vnd
28 Freunde haben seinen Todt weder zu wünschen, noch davon zu
29 reden. Es sind Leute, die da wohl leben vnd noch besser sterben.
30 Vnd sind deren etliche in ihrem stand so benüget, daß sie auch
31 ihr Leben, Handel vnd Wandel nicht gegen einem Königreich außtauschen
32 wollten; dann sie sind ein freyes Volck, mögen bettlen,
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1 wo sie wollen, gehen hien, wo sie wollen, beydes zu Kriegs_ vnd
2 Friedenszeiten, sind Frey von allen beschwerden vnd Aufflagen,
3 Zollfrey, keiner Jurisdiction noch botmässigkeit vnderworffen, ohne
4 Zanck vnnd Proceß, vnd in Summa vnangreifflich vnd vnergreifflich.
5 Im vbrigen, so sorgen sie nicht für den morgenden tag, folgen
6 in dem den Geboten Gottes, wissen sich in künfftige zeit zu schicken,
7 von derselben alles zu hoffen, der gegenwertigen zeit gebrauchen
8 sie, der vergangenen haben sie vergessen.
9 Zwar wahr ists, daß die Arme ihre Hölle genug auff der
10 Welt haben, dann es ist so mit euch, jeder Mänsch ist fast des
11 andern Teuffel offt mehr als der Teuffel selbsten, Homo homini
12 lupus. Homo homini Diabolus.
13 Vnd damit ihr nicht zu förchten habt was das Sprichwort
14 sagt: que quand le Diable presche, le monde approche sa fin.
15 Wan der Teuffel predigen muß, so wird gewiß die Welt vndergehen,
16 als bitte ich, Herr Pater, ihr wollet mich von diesem
17 Schergen, in dem ich geplagt werde, durch eure Kunst erlösen,
18 dessen solt ihr danck haben.
19 Darauff sich der Pater zu vns wendete vnd sprach: nun
20 mag man wohl sagen, daß Gott hierin seine Macht erweise, dann
21 du böser Geist, bist von anfang ein Vatter der Lügen vnd alles
22 betrugs; vnd nichts destoweniger hastu an jetzo solche Warhaffte
23 dinge erzehlet, daß wohl ein steinern Hertz sich darob bewegen,
24 erweichen vnd bekehren solte. O, nicht meynet, daß solches zu
25 eurem besten vnd heyl geschehen, sprach der Teuffel nochmahlen,
26 es ist auß keiner andern meynung, als, wann es zum treffen
27 kommen soll, euere Straffen euch desto mehr zu häuffen, dann
28 ja nun könt ihr euch der Vnwissenheit nicht mehr entschuldigen,
29 ob hätte es euch niemand gesagt, dann ehe müßten euch die Steine
30 predigen, ja die Teuffel selbsten.
31 Dan der Knecht, so deß Herren willen weiß, ihn aber nicht
32 thut, der ist doppeler streiche werth. Aber ihr alle, die ihr Zusehere
33 vnd Hörer seit, seit rechte Heuchler, da stehet ihr, die meyste
34 mit weinenden Augen, nicht wegen eurer Sünde, das ihr Gott
35 damit erzürnet habet; sondern weil es euch leyd ist, daß ihr einmahl
36 die Welt gesegnen vnd davon müßt, vnd ob es bißweilen
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1 geschicht, daß euch der begangenen Sünden reuet, so ist es doch
2 einig vnd allein deßwegen, weil ihr auß mangel eurer Kräfften
3 vnnd deß abgebrauchten Leibs, auß viele der Jahren, so ihr auff
4 euch habt, nicht mehr sündigen könnet oder möget, vnd fehlet oder
5 mangelt euch deß wegen nimmermehr am bösen willen, den wir
6 eben wol nicht ungestrafft lassen, insonderheit an denen die Andere
7 lehren vnd vnderweisen solten.
8 Du bist ein betrieger, wie vorgesagt, sprach der Pater;
9 zweiffele nicht, es werden sich hie viel fromme Seelen an deinen
10 Reden vnd Thun spiegeln, vnd sich vor dir durch beystand Gottes
11 wol zu hüten wissen. Aber ich sehe wohl, du meynest durch dein
12 geschwätz also Zeit zu gewinnen, den Armen Menschen desto länger
13 zu plagen, Darumb so beschwöre ich dich durch die Krafft vnd
14 Allmacht Gottes, daß du verstummen vnd diesen armseligen Mänschen
15 verlassen müssest│ Wie dan mit einem großen brausen der Böse
16 außfuhr, vnd darauff der Pater sich umbwandte vnd zu vns sprach:
17 Ihr Herren, Freunde vnd Christen; Ob es schon das ansehen,
18 Es habe der Teuffel durch diesen armselig-geplagten Mänschen
19 als durch einen Werckzeug zu vnserm besten geredet, so ist doch
20 gewiß, daß auß seinen Gespräch ein nachsinniger Christ viel vnd
21 mercklichen nutzen mag haben. Darum bitte ich euch Umbstehende
22 alle, daß ihr, auß billigem Haß wider den bösen Geist vnd seine
23 Wohnung diese rede darum nicht verachten noch in den wind
24 schlagen wollet. Gedencket, daß ein gottloser König dermahlen die
25 wahreit geredet vnd propheceyt. Dann ja auch Speise gung von
26 dem Fresser vnd Süssigkeit von dem Starcken. Auch sagt der Alte
27 Priester Zacharias, Salutem ex inimicis nostris et de manu qui
28 oderunt nos. Vult quidem plerunque nocere Diabolus, sed non
29 potest, quia potestas est sub potestate. Ideoque ne potentiam
30 Diaboli magis timeatis quam offensam Divinitatis. Nun bewahre
31 euch alle Gott, in dessen Namen ich euch gesegne, demütig
32 seine Allmacht bittend, das diese Traurige erschröckliche Geschichte
33 zu euerer aller Besserung vnd Bekehrung gereichen möge.
Seite 31
1 Welt-Wesen.
2 Anderes Gesicht.
3 DJe vorigen Gesichts Geschicht gab mir Ursach, meinen sachen
4 in was mehrer Gottesforcht nachzudencken; weil ich ja gesehen
5 vnd gehöret, wie gar genau auch die geringste verbrechen der
6 Mänschen gemercket, erforschet vnd vergolten werden.
7 Begabe mich derowegen mit der Land-Kutsche von Nancy
8 hinein naher Franckreich; vnderwegs aber hab ich in den Itinerariis
9 solennibus, Sinceri, Eisenbergeri, Neymaigeri, Steinbergeri,
10 Hentzneri, Duchatii, Bertii, Jani Secundi, Caspari Ens, Andreae
11 Schotti, Erpenii Atlante vnd anderen, welche von dieses
12 Königreichs Herrlichkeit vnd Vorzug mit mehrem geschrieben, vmb
13 künfftige Nachricht gelesen, was in einem vnnd anderem ort, insonderheit
14 der großen Statt Pariß zu sehen vnd in acht zu nehmen
15 sein möchte; bevorab weil dieselbe von meisten Eine kleine Welt,
16 Compendium orbis terrarum. Un aultre Monde. Un petit
17 Monde. Un abregé du Monde genennet wird.
18 Ceste ville est un autre Monde
19 Dedans un Monde florissant, etc.
20 Vnd in Warheit zu melden: wer die Welt in einem Saal,
21 in einem Sack, in einem Garten, in einem Garn, beysammen
22 sehen will, der wird sie in Pariß gewißlich finden.
23 So lang ich allda verharret, war mir der letzte Tag eben
24 wie der erste, Jener Schweitzer, welcher zwantzig Jahr in des
Seite 32
1 Königs Leibwacht geweßt, vnd doch noch nicht drey Wort Frantzösisch
2 reden konte, deßwegen von einem Freund befragt vnd gescholten,
3 gab zur antwort: waas wott eyer y zwantzig Jährly löhrä?
4 Also gar laßt sich die Welt in so wenig Jahren nicht erkennen.
5 Eines Mänschen leben ist viel zu kurtz; das Hertz ist viel
6 zu träg, wann er eben den Trug vnd die Eitelkeit anfahet zu
7 mercken, so ist es an dem, das er selbsten an daß Ende kompt,
8 vnd bald davon muß; Nihil in Mundo est, quod desiderium
9 nostrum sedare possit. Viatores sumus, perpetuo motu quietem
10 omnem profugantes, quae externa quidem varietate sese
11 nutrit, substantiam rerumque qualitatem nescit, plerumque
12 non attendit.
13 Vnd wie große lust der Mänsch hat, ein ding zu erwerben,
14 als kleine freude hat er hernach, wan er es erworben.
15 So ist vnser Thun: wann wir verlangen nach ichtwas haben,
16 bilden wir vns davon wundersachen vnd Herrlichkeit ein; haben
17 wir aber vnser begeren erfüllet, so bald fahen an die vermeynte
18 herrliche dinge einen verdruß vnd Eckel zu bringen. quae miro
19 desiderio a nobis expetita sunt, ea juris nostri jam facta
20 vilescunt possidentibus.
21 Also auch die Welt. Sehen wir sie ohn weiteres nach sinnen
22 von aussen in ihrer Gestalt, Auffzügen vnd scheinbarem Thun an,
23 Behüte Gott│ was schönes dings bilden wir uns von derselben
24 ein? Nicht anderst, als ob sie ein lauteres Paradiß, ein Lustgarte
25 voller Herrlichkeit vnd Edeles Wesen wäre; da doch, wann
26 wir ihr die Maske, den Fürhang nur ein wenig abziehn vnd
27 den Kern beschauen wollen, vns allein die blosse schölffen in den
28 Händen bleiben, vnd bekennen müssen wahr sein: Mundus Vanitate
29 ducitur, Opinione regitur, O inane desiderium vivendi│
30 Mit diesen vnd dergleichen betrachtungen hatte ich mich der
31 zeit nicht wenig auffgehalten: ( damahlen ich meine Herberge au
32 faulxbourg Sainct-Germain, rue de Seine á la ville de Strasbourg
33 chez le sieur Courtin hatte, vnfern beneben zweyen
Seite 33
1 Meißnischen, rechtschaffenen Teutschen von Adel, Herrn Carle von
2 Diskau vnd Herrn abraham von Loß, deren dieser einer von
3 einem ehrlosen Wälschen á ville Juiffe in einem Kampff als
4 Second ( Mittmann ) eines Dänischen von Adel Crabbé, in die
5 Brust gestossen vnd nach 12 Tagen nicht ohne mühe begraben
6 worden ) vnd aber den Händeln mit solchem eyffer nachgesonnen,
7 daß ich, meines Kopffs fast nicht mehr meister, darob gleichsam
8 in einer Entzuckung lange zeit gelegen.
9 Da mich dauchte, ich gienge in dieser großen Statt oder Welt,
10 verirret herum, der Mänschen Wesen vnd Wandel hier vnd da zusehen
11 vnd zuerwegen; vnd indem ich von einer Gasse zur andern
12 hin vnd her spatziret, die Mänschen aber, als vber einen Albaren
13 vnd Frembden, sich genug erlacheten, mich einen langen Spannier
14 scholten, die Kinder mir nachluffen vnd mich mit Steinen vnnd
15 Kath wurffen; Auch je mehr ich mich eilete vnd beflisse, den Leuten
16 auß den Augen, mir aber auß dem gelächter, gespött vnd gefahr
17 zu entkommen, je mehr ich, wie man sagt, in die brühe gerathen.
18 Dann da kame ich in eine Gasse, namens La Colere, prez
19 la rue des mauuais garćons, welche allenthalben mit tumult,
20 mit zancken vnd beissen, mit hauen vnd schmeissen, mit schlagen
21 vnd balgen erfüllet, so daß ich mit grosser mühe vnd noth, nicht ohne
22 blutigen Kopff, den ich zum Zehr-gelt davon brachte, durchtrange.
23 Dort kam ich in eine Strasse, namens la Debauche, da
24 ich gewar wurde, wie alles mit raßlen vnd praßlen, mit schreyen
25 vnd speyen, mit fressen vnd sauffen, mit huren vnd buben wimmelte,
26 dort durch mehr andere bekante ort, da es nicht besser
27 als in jetzt erzehlten auch herginge, dessen ich mich dan häfftig
28 verwunderte, zum theil so bekümmerte, daß ich mich in ernst schier
29 nicht mehr erholen können.
30 In dem ich nun wie Stotzen Hänsels Kuhe, also verstabert
31 stunde vnd nicht wußte ob ich hinder sich oder vor sich wolte;
32 dann je mehr ich fort gienge, je mehr dauchte mich, daß ich in
33 das spiel geriethe, da hörete ich eine stimme die mir nach ruffete:
34 Abren madon badil cadilin pasin adum loren masaron
35 damis bodi omis│
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1 Jch aber dessen vngeachtet gienge fort, damit nicht etwan, wo
2 ich antwort gäbe, von jemand möchte erkannt werden. Aber bald
3 hörete ich noch fäster ruffen:
4 Amolach bonefar astrafai acalach chaba melan arabias
5 morison osiel acanasor thombas│
6 Vnd als ich mich dessen auch nicht annehmen noch gehör
7 geben wollen: Hörestu du nicht? sprach er ferner, du Hebraischer
8 Moyseskopff│ Weil mir nun die stimme auf den fersen war,
9 vnd ich mich zu verhütung grösseren geschreys umbkehrete, sihe
10 da war es ein Erbarer Alter Mann, der mir mit des orts gewohnlicher
11 Ehrerbietung zu sprache. Anzusehen war Er unbärtig
12 alß ein alter Mönch, mit einer Beltzkappe vff dem Haupt, Einen
13 Beltzin Rock umb sich, Ein Paretlin in der Hand, Einen Degen
14 an der seite als ein Alter Rathherr; sein Wesen betreffend, so
15 war er eines Ehrlichen vnd Ernsthafften Thuns. Jn meinen fleischlichen
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1 Augen kam er mir vor, als Rabbi Poppel Poy; insonderheit,
2 weil er mir mit Hebraischem Namen zugeruffen.
3 Wiewol nun diese gebrochene Wort: Exp. Rob. auff seinem
4 lincken Ermel, doch mit leslichen Buchstaben, gestücket stunden,
5 welches dan in vblichem brauch war, zu der zeit da man die
6 Nase noch nicht vff den Ermel gewischet wie jetzund, vnd dannenhero
7 ich seinen Namen vnd Stand vnschwer errathen können;
8 Jedoch vnd auß bedencklichen vrsachen: Wer seit ihr gut Freund?
9 sprach ich, es scheinet, ob ihr mich nicht recht kennet vnd für einen
10 andern haltet. Dann ob ich schon vor dieser zeit den Hebraischen
11 Doctor Arx mihi firma Deus in die fünff jahre offentlich vnd
12 sehr fleissig gehöret, bin ich doch in solcher Sprach jetztmahlen so
13 arm, daß ich einen Hund mit[?] schwärlich könte auß dem Offen
14 locken. Zu dem ist dis ja ein seltzamer Name, den ihr mir da
15 gegeben, dessen ich mich billig zuverwunderen habe. So sehr nicht,
16 sprach der alte, dann die Reichs-Cammer mit der Rosen dergleichen
17 Namen vor etlich hundert Jahren schon im Rath gehabt, vnd ist
18 derselbige nicht allererst jetzt von mir erdacht worden, wie in beykommenden
19 fällen vngünstige Leute zwar gerne zu argwohnen
20 pflegen. Das ist wohl wahr, sagte ich hinwiderum, doch ist bekand,
21 daß so wunderseltzsame Namen allein offtmahlen einem Ehrlichen
22 Mann vnd mir selbsten schon an gutem glück verhinderlich
23 gewest, weil viel Mänschen dafür halten, daß ein seltzamer Name
24 auch einen seltzamen kopff an sich habe. Nicht ohn ist es, sprach
25 der Alte, vnd das macht, weil viel Junge Narren, wann sie kaum
26 das Alpha Fitta Gamma lallen können, so bald ihre Namen
27 nicht nur mit dem in Lateinischer sprach gebräuchlichen us vnd ius,
28 sonder mit ussius, mit igius, mit inus, mit anus vnd asinus,
29 mit Griechisch vnd Hebraisch verbrämen. Es will keiner mehr Roßkopff
30 heißen, sondern Hippocephalus, keiner will mehr Schneider
31 heißen, keiner mehr Schuster, keiner Weber, keiner Schmid; sondern
32 Sartor, Sutor, Textor, sondern Sartorius, Sutorius, Textorius,
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1 Faber vnd Fabritius; nicht Schütz, sondern Sagittarius etc.
2 Zum offtern mit höchster schmach vnd verringerung ihrer selbsten,
3 wie dorten beim Poeten.
4 Cinnam, Cinname, te jubes vocari.
5 Non est hic, rogo, Cinna, Barbarismus?
6 Tu si Furius ante dictus esses,
7 Fur ista ratione dicereris.
8 Aber wie das Urtheil vieler Menschen ungleich, widersinnig
9 vnd betrüglich ist, also hastu darumb dich deines von vielen
10 deinen Voreltern also anererbten ehrlichen Namens nicht zu schämen.
11 Mein Name aber, sprach ich ferners, ist Philander von Sittewald.
12 Ja, sagte der Alte, also nennestu dich zwar jetzund. Vnd dergleichen
13 ist von einem Ehren-Mann in ehrlichen Schrifften vnd
14 Handlungen offt geschehen; in Paßquillen aber vnd Schmachschriften,
15 die ad speciem gehen vnd dolo malo geschehen, zupracticiren
16 hochsträfflich verbotten. Dein Name ist mir sehr wol bekant. Erinnere
17 dich nur dessen, was vor Jahren ich mit dir im Teutschenland,
18 jenseit des Rheins, zu Sittewald, wie du es nennest, an
19 der Kintzig, da ich dich daß erste mahl gesehen, als du eben neben
20 deinen werthen Freund König den alten Gruterus besuchet, wohlmeynend
21 gesprachet, so wirstu dich vor mir nicht viel zu verhälen
22 haben, sondern mit mir in wahrer vertraulichkeit, vnd zwar zu
23 deinem besten, gebahren.
24 Wie kompt es dann, sprach ich weiters, daß ihr so vnlustig,
25 wie mich duncket außsehet? Zwar ich weiß wol, antwortete der
26 Alte widerum, daß du nach weise der thörichten Jugend dir der
27 Welt unart noch wenig lassest zu Hertzen vnd Gemüth gehen,
28 sondern noch alles hin auff die leichte Axel nimmest, derowegen
29 mehr auff Lust vnd Kurtzweil, als auff Frommen vnd Nutzen
30 siehest. Jch aber, Jhr Alte seit wunderliche Leute, sprach ich, vnd
31 in gemein könnet ihr nicht wohl sehen oder leiden, daß Junge
32 Leute auch etwas Freude und Kurtzweil haben, sondern seit darauff
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1 auß, wie ihr dieselbe entweders gar abschaffen oder doch mercklichen
2 wehren vnd hinderen möchtet: " da ihr doch selbsten, wann ihr
3 Alters vnd Ehren halbers köntet vnnd dörfftet, ein gleiches vnd
4 mehreres nicht unterlassen wirdet. O wie manchen vnder Euch
5 verdreußt es manchmal daß er jetzt nicht mehr kan wie vor diesem.
6 Es ist an dem, daß ihr abscheiden, die Welt gesegnen sollet vnd
7 davon müsset, dahingegen ich allererst einen schritt oder zween in
8 dieselbige gethan habe. Derohalben so laßt mich auch vnbekümmert,
9 dann es mir ja in der Welt so wol gilt als einem anderen. "
10 Warauff der Alte anhube zu lächeln vnnd sprach: Mein Kind,
11 ich will dir weder deine Freude noch die vermeynte Wollust wehren.
12 Es ist fürwar auß lauterem mitleiden vnd erbarmen geschehen,
13 das ich dich herumgeruffen, weil ich zum offtermahlen gesehen
14 vnnd erfahren, wie die vnbedachtsame Jugend der guten zeit so
15 wenig achtet vnnd dieselbe so thöricht laßt vorüber schleichen. Dann
16 Lieber, weistu auch wol, was eine Stunde werth seye? Hastu
17 auch jemahlen bedacht, wie hoch ein tag zu achten, wie theuer
18 die zeit zu schätzen? Jch glaube sicher, du weissest es nicht, dieweil
19 du sie so übel anlegest, vnd eine Stunde nach der andern
20 vnvermercket sich lassest verliehren, welche nimmermehr mag wider gebracht
21 werden. O deß köstlichen vnnd edelen Schatzes der Zeit│
22 wie wenig wird ihre Würdigkeit in obacht genommen│ Hat dir
23 auch die vergangene zeit jemahlen versprochen, wider herumb zu kommen,
24 wann du sie bedörffen möchtest? verstehest du wol schon
25 so viel in Frantzösischer Sprach, was gesagt seye: Peser le feu,
26 mesurer le vent, faire revenir le jour passé, c'est chose impossiblle?
27 weissestu wol die verlohrene tage wider herum zuruffen?
28 Nein warlich, sie gehen vnd laufen dahin vnd kommen nicht
29 wider. Die zeit ist gleich einer güldinen Ketten: ein jeder Tag
30 ist ein geleych, zu ende welcher an statt eines Kleynods hanget
31 der Todt, dem du vielleicht am nächsten bist, wann du vermeynest
32 am weitesten davon sein; dann in warheit, wie du dein Leben
33 anstellest, so ist leicht die rechnung zu machen, der Todt werde
34 bey dir anklopffen, ehe du es möchtest innen werden. Ein Narr
35 stirbet alle Tage, auß forcht daß er dermahlen eines sterben muß,
36 ein Gottloser aber lebet alle Tage, als ob er nimmermehr sterben
37 solte, vnnd fühlet den Todt nicht eher als in dem abscheiden, da
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1 dann die Forcht so grausam bei ihm ist, daß weder an Seele
2 noch Leib zu helffen. " Der aber ist Weise, welcher alle Tage also
3 lebet, als ob er alle stunde sterben müste. "
4 Ich muß bekennen, das auff solches einreden des Alten ich
5 mein Gemüth ermundert vnd mich nicht wenig der vergebenen
6 Eittelkeit, damit ich bißhero umbgegangen, geschämet hatte. Aber
7 was ist jetzo euer Vorhaben? sprach ich nachmahlen zum Alten.
8 Meine Kleidung, antworttete derselbe widerum, vnnd mein Ansehen
9 geben genugsam zuerkennen, wer ich seye vnd was ich beginne:
10 Nemblich ein Ehrlich Mann, den die Welt nicht sonders achtet,
11 der aber die Warheit lieb hat, vnd der auch, wann es von nöthen
12 ist, die Warheit darff heraußreden. Ich bin der, wie du weissest,
13 der nun bei zwölff Jahren in Austrasia mit vnd vmb dich gewesen.
14 Männiglichen gibt vor, er liebe vnd ehre mich, so ich dann zu ihnen
15 komme, so ist nichts dahinder als blosse wort, vnd das bekümmert
16 mich dan, wie solches an meiner Ernsthafften Gestalt wol zusehen.
17 Aber mein Sohn, hastu lust, die Welt zuschauen, wie ich
18 mercke, so komme mit mir, ich will dich in derselben vornembste
19 Strasse führen, in welcher alles das beysammen zu finden, was
20 sonst hin vnd wider durch die gantze Welt nur stucksweise ist anzutreffen.
21 Ich will dir die Welt nicht in einem Spiegel oder
22 gemälde weisen, sondern in sich selbsten, wie sie in ihrem Wesen
23 ist: dann was du bißher gesehen, ist nur die blosse schelffe vnd
24 schein dessen, so ich dir will förter zeigen.
25 Wie heisset dann, oder Teutsch zu reden, wie nännet man
26 dann die vornembste strasse der Welt? sie wird, sprach er, genannt
27 Heuchelstras. Sie ist die grösseste in der Welt, dann sie von dem
28 Oberen Thor, bis zu dem vndern Thor, vom freto Anian biß
29 zum freto Magellanico, von Nova Zembla biß in novam Guineam,
30 von Ormus bis nach Sevilia, von Grönland bis nach
31 Sumatra, von Cabo Bonae Spei bis nach Archangelo gehet.
32 Die Vornemste vnd nachdencklichste Gebäue darinnen sind
33 1. vnd zum Eingang Ein schönes Portal von zierlichen Politischen
34 Grifflein aufgeführt, mit der überschrifft
35 Male. Nisi. Deo.
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1 2. Ein köstliches Haus von herrlichen Juristischen Ausfluchten
2 erbaut, mit der überschrifft
3 Male. Nisi. Proximo.
4 3. Besser hienein Ein hohes von weitem hellscheinendes Gebäu,
5 beneben einem Garten mit Geistlichen Labyrinthen ausstaffiret,
6 sampt der überschrifft
7 Male. Si. In. Foro.
8 4. Nicht weit davon Ein niedriges aber wohlgesetztes Gebäu
9 von Mechanischer Arbeit mit dieser überschrifft
10 Soli. Deo.
11 Ends ein Anderes viel schöneres Portal zum Außgang mit
12 Galenischem Laubwerck, Hippocratischen Läuffen, Aesculapischen
13 Säulen, vnd Theophrastischen Grotten gezieret, sampt der überschrifft
14
15 Sibi. Soli.
16 Vnd ist Niemand vnder den Mänschenkindern, der nicht eine
17 Wohnung, oder doch auffs wenigste eine Kammer oder Auffenthalt
18 in der selben einem habe. Etliche wohnen beständig darin; andere
19 je zu zeiten; andere ziehen nur durch ohne ferneres auffhalten nach
20 art vnnd manier der Gäste.
21 Zum Exempel, den du bey jenem Eck selbander herkommen
22 siehest mit einem busch Federn, güldiner Kette vnd zerfetztem
23 Kleid, ist ein Ertzheuchler, Ein Pfeffersack; will ein Juncker seyn,
24 vnd sein Vater war ein Schneider; da er doch billich seines Herkommens
25 wahrnehmen vnnd vielmehr bedencken solte, wie er seinen
26 Worten Krafft geben, als wie er den Jungen, der ihm nach passet,
27 in sondere farben kleiden möchte. Hat kaum so viel im
28 Säckel gehabt, daß er den Adelbrieff bezahlen vnnd einen Stall,
29 mit gunst zu melden, kauffen können; sich doch, vngeachtet aller
30 Ehrbarkeit, nicht mehr Metzger, nicht mehr Wagner, nicht mehr
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1 Müller, nicht mehr Rett, nicht mehr Frett, nicht mehr Trett, nicht
2 mehr Hett, nicht mehr Wett, sondern Herren von Metzegern, Herren
3 von Wagegern, Junckern von der Mühlen, Herrn von Retten, Herrn
4 von Fretten, Herrn von Tretten, von Hetten, von Wetten, will
5 tituliret, titilliret, respectiret, reputiret, reveriret, ceremonisiret
6 haben, damit er vnder die Altgeborne von Adel, vnder die
7 Alte Ritterschafft, Ancienne Cheuallerie genannt, nicht nur gerechnet,
8 sondern auch denselbigen gar möchte vorgezogen werden.
9 Sihe dort einen anderen, der sich stellet, als ob er eines
10 grossen Fürsten vnd Potentaten Rath wäre, der doch mit all seinem
11 verstand kaum einen Hund könte auß dem Offen locken. Damit er
12 aber für den jenigen angesehen vnd gehalten werde, der er sein will,
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1 so stellet er sich dem ansehen nach gar ernstlich, siehet saur, redet
2 wenig, wiewol er sonst vber alle massen als eine Atzel beschwätzt
3 ist, wirfft je zu zeiten ein Italianisch oder Spanisch Wort mit
4 vnder, auf daß man dafür halten vnd meynen solle, alle diese
5 Nationen habe er gefressen; trägt grosse Hosen, gehet langsam vnd
6 so zu reden nach dem tact, Fuß, für Fuß, als ob alle seine Schritte
7 vnd tritte durch den Euclidem abgemessen wären; besihet sich selbst
8 hinden vnd fornen, ob er sich noch kenne? ob er der noch seye,
9 der er gewesen? oder ob er der Mann seye, vor den er sich jetzo
10 selbest halte?
11 Per totam Felix holosericus ambulat Urbem
12 Qui vix toto Urbes vidit in Orbe duas.
13 Aber im Werck ist er nur ein Heuchler, will der witzigste
14 sein vnd anderen rathen, da es ihm doch zu mehrmalen an dem
15 sensu communi selbsten ermanglet. O Es gehöret mehr dazu alß
16 Einbildung, wer eines Fürsten Rath sein will. Es muß da ein
17 grosser Eyffer vnd Fleiß seyn, Ein vnverdrossenes Ernsthafftes
18 gemüth, Ein Geschäfftiger, fertiger Mann, der Getreu vnd Verschwiegen
19 seye, der Niemand förchte alß Gott vnd der nechst Gott
20 Niemand liebe als seinen Herrn. Er soll in seiner Jugend vil
21 gelesen, wohl gereyset vnd sich auch im Kriegswesen versucht haben,
22 in allen Geschichten, sonderlich aber seines Herren Land vnd Leute
23 betreffend, wohl erfahren seyn. Wan das nicht ist, so ist das
24 ander, daß er billiger ein Ja-Herr als ein Ratherr zunennen:
25 der andern muß volgen, in dem, das er selbsten weder erfahren
26 noch verstehet. Nam in omnibus fere conventibus non desunt
27 qui nihil quidem ipsi pronunciant, sed aliorum sententiam,
28 etsi nihil intelligant, sequuntur, eoque ipso placere saepe
29 student et gratificari ei quem vident in illustri loco positum.
30 Sihe ein wenig beyseit vnd betrachte diese alte Narren dort,
31 welche, damit sie in allem, insonderheit bei dem urtheilfälligen
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1 Frawenziffer, einem Jungen Mann gleich geachtet wirden, ihre
2 Haare vnd Bärte mit schwartzer farbe vnd Bleyinen strählen büffen│
3 alle Tage die Backen mit dem Schermesser schaben vnd schinden
4 lassen. Die Thoren meynen vnd bilden sich ein, dergestalt den
5 Todt zu bereden, ob sie noch lang zu leben hätten, als wan er
6 die zahl ihrer Monden nicht solte wissen.
7 Mentiris juvenem tinctis, Lentine, Capillis:
8 Tam subito Corvus, qui modo Cygnus eras.
9 Non omneis falles: scit te Proserpina Canum,
10 Personam capiti detrahet illa tuo.
11 Sihe dort gegen vber etliche Junge Nasweise Messieurs, die
12 sich stellen, als ob sie bereits die Witz alle gefressen; wollen männiglichen
13 mit ihrem Aequivociren vnd Scholasticiren in ein Bockshorn
14 treiben; wissen auß nichts als Bartolo vnd Baldo, Galeno
15 vnnd Celso; von nichts als Attributis, Reservatis vnd Casibus
16 Conscientiae zuerzählen; scheuen sich auch nicht, den Alten erfahrenen
17 vorzumahlen, was vnd wie sie ihre sachen zu Erhaltung
18 des Römischen Reichs Frieden vnd Freiheit in rerum statu anordnen
19 vnnd bestellen sollen; wollen wissen vnd Rathen, vnd wissen
20 nicht quod Senatus á Senio, á Iuvenibus dicatur Iuvenatus.
21 á Senibus Prisci sumtum dixere Senatum:
22 Est robur juvenum, Consiliumque senum.
23 á Sene consilium quaeras: Prudentia rerum
24 est illis, sine qua Curia quaeque perit.
25 Urbes, Regna, Domos juvenum quos rexerit ardor,
26 sint quanquam fortes, certa ruina manet.
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1 Weislicher handlen die jenige, welche das Alter wegen seiner
2 Erfahrenheit, die allein einen verständigen Mann machet, Lieben
3 vnd Ehren. Eine elende Blindheit der Jugend, wann sie sich
4 duncken lasset, vnd ihre Vnwissenheit nicht erkennet│ Mercke du
5 dieses, ist dir nicht auch also?
6 Omnia te, dum junior esses, scire putabas,
7 Quo scis plus, hoc te scis, scio, scire minus.
8 Durch großes Pralen vnd Aufschneiden wird keiner Weise,
9 sondern gibt nur seinen Vnverstand den Mänschen desto mehr zu
10 erkennen.
11 Uberiora ferunt valles, brevioraque montes
12 gramina, Multum humilis mens sapit, alta parum
13 Stillschweigen ist der Jugend beste Kunst,
14 Red vngefragt der Jugend macht vngunst.
15 Schaue, da üben auf der Lincken seiten, das klintzerli klin
16 Manly do; du glaubest nicht, das Er aller welt witz allein gefressen?
17 noch darff er auß Eigenlieb sich dessen offentlichen berühmen.
18 Alle Mänschen sind ihm Unmänschen. Alle Gelehrte sind ihm Thoren
19 vnd Narren, vnd ist kein Stand, den er nicht zierlicher, bequemer
20 vnd besser weiß vorzumahlen, dan von Anfangs der Welt je einer
21 thun mögen, Also das alle Mänschen von ihm nichts verstanden
22 haben, auch nach ihm vnd ohne ihn nichts werden verstehen können.
23 Wie so? sprach ich, und durch was mittel vermag er so grosse
24 dinge? Vermittels Eines Bryllenrohrs, das Er La Gamba pflegt
25 zu nennen, durch welches bequemlichkeit Er nicht nur die unvollkommenheit
26 vnserer bißhero außgeübten Philosophi, sondern auch
27 die Nichtigkeit der Edelen Medicin, die Falschheit der Herrlichen
28 Iurisprudentz, Ja sogar die vngewißheit vnserer vnfehlbarer Principiorum
29 Theologicorum entdecket; sondern auch so vil hirnfertiger
30 Weise ersehen, wie alle diese hohe Künste vnd Wissenschafften, mit
31 drei oder vier Buchstaben, nicht nur reflexive, sondern auch archipodialiter,
32 einem jeden Fantasten unvermerckterweise einzugiessen;
33 vnd also krafft dieses la Gamba mehr vermag, alß alle Rabinen
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1 mit ihrem Schemhamphoras je vermögt haben. Wannen hat er
2 dan, fragte ich, so hohe Geheimnussen erlangt? Er kan, Antwortete
3 der Alte, mit dem Gras vnd Kräuttern reden, von denen hatt er
4 alles dieses erlernet. Das möchte ich auch lernen, sprach ich. Es
5 ist dir unmüglich, sagte der Alte, du bist zu hoch vnd weit von
6 der Erden, diser aber ist nahe beim Boden, darum hört er auch
7 das Gras wachsen vnd hat so grosse Einbildungen von sich selbsten.
8 Aber so dan geschicht es, daß Wer zu viel von sich selbst haltet,
9 vff den halten andere Leute desto weniger.
10 Soltestu wol glauben, das jener köstlicher dort ein Schneider
11 wäre? gleichwol ist er ein Schneider vnd bleibt auch ein Schneider
12 sein leben lang, ob er schon an Kleidung einem von Adel nichts
13 will bevorgeben; dieser ist auch ein Ertz-Heuchler. Zu Sonn- vnd
14 Festtagen verstellet er sich dergestalt in Seiden, Sammet, Atlas,
15 in Silber vnd Güldine flecken, stücker, Nestel, Schnür vnd Bändel;
16 daß, wo man alle Ehlen in der Welt, alle Scheren vnd Nadlen,
17 Alle Fingerhüte vnd Wachsknollen zu rath fragen solte, wer dieser
18 Esel wäre, sie ihn nicht mehr kennen wirden, dann sein Stand
19 vnd Tracht können sich in Ewigkeit nicht zusammen reymen.
20 Jst derowegen die lose Heucheley eine allgemeine seuche in
21 allen Ständen, auch bei den geringsten Handwercken, die alle sich in
22 ihrem Wesen selbst schmeichlen vnd Liebkosen, so, daß keiner sich
23 selbsten mehr recht kan oder mag erkennen.
24 Ein kahler Schuhflicker haltet jetzt in seinem Sinn von sich
25 selbsten so viel, daß anstatt seines gebürlichen Namens er sich einen
26 Conservatorem Calceitatis, einen Herren-schuster, Stiffel-schuster
27 darff träumen lassen.
28 Der Kieffer düncket sich auch eines bessern Namens werth seyn
29 vnnd nennet sich deßwegen deß Bacchus Hoffschneider, alldieweil
30 er dem Wein seine Kleidung zu werck richtet.
31 Der Stallknecht träumet sich einen Stallmeister; Der Cammerdiener
32 einen Hoffmeister; Der Hencker supremum judicem, ein
33 Hochrichter sc: wan er auff der Leytern sitzet; Der Gauckler einen
34 Zeitvertreiber. Das Zechhaus, Rathstube, de virtute in virtutem,
35 von einem Wirthshauß in das andere; Der Zöllner Schatzmeister;
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1 Der Schöffen Stattmeister; Die Huren freundliche Jungfrauen; Die
2 Kupplerinne Gottsförchtige Matronen; Der Gauch geduldigter Job;
3 Hurerey Freundschaft; Wucher, Häuslichkeit; Betriegerey Geschwindigkeit;
4 Lügen Auffrichtigkeit; Die Boßheit Wackerkeit; Ein Bernhäuter
5 Friedliebender; Dollkühnheit Dapfferkeit. Der Edelknab ( Page )
6 Ehrenhold; Der Lackay Trabandt; Der Schalcksnarr Höffling; Ein
7 schwartzer Schleppsack Brauns Annelein; Ein Esel Doctor; Ein
8 jeder langer Mantel will Herr Candidatus, Ein jeder Balger Herr
9 Capitain, Der nur ein gut Kleid an hat, Vester Juncker, Ein
10 jeder Glöckner Ewer Würde, Ein jeder Dintenfresser Secretarius,
11 Ein jeder Blackvogel Edel Ehrenvest vnd Hochgelehrt tituliret
12 werden. Aber vnder diesen allen ist keiner das, was er seyn will.
13 Keiner will seyn, was vnd wer er ist. Also ist eytel Heucheley,
14 Lügen vnnd Triegerey in allen Ständen, vnd nachmahlen heysset
15 es: Mundus Opinione regitur, Mundus titulis titillatur.
16 Vnd wann ich eben die Teutsche Warheit reden soll, so haben
17 Zorn, Schwälgerey, Stolz, Geitz, Uppigkeit, Faulkeit, Mord vnd
18 viel tausend andere Sünden einig vnd allein ihren Vrsprung von
19 der Heucheley. Wie grob auch ein Mensch fehlet vnd irret, will
20 er doch solches alles sub specie, praetextu et apparentia alicuius
21 boni, vel necessitatis causa, vnder dem fürwand vnd Schein,
22 Er hab es nicht so böß gemeynt, Er hab es nicht also verstanden,
23 Er hab es ums besten willen gethan, Er hab dißmahlen nicht
24 anderst gekönt, Er hab es auß Noth vnd gezwungener weise thun
25 müssen, bemänteln, vnd zu entschuldigen sich vnderstehen. Aber
26 die Hoffnung der Heuchler wird verlohren seyn, dann seine Zuversicht
27 vergehet, vnd seine Hoffnung ist ein Spinnweb. Dann
28 weil er ein Heuchler vnd Bößwicht ist, wie kann er Hoffnung
29 haben? Weil er sich außgibt vnnd haltet für den, der er nicht
30 ist, wie kan er Hoffnung haben? Jst also ein Gleißner vnder
31 allen Sündern der hochmütigste vnd trotzigste. Dann alle andere
32 Sünder sündigen zwar wider Gott; aber ein Heuchler sündiget
33 wider Gott, mit Gott vnd in Gott; Stellet sich heilig, ist doch
34 ein Schalck im Hertzen. Vnd ob schon in Worten nichts von ihm
35 als das Seinem Gott, vnserm Gott, Jch will Meinen Gott zuhülffe
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1 nemen, Unserm Gott sage ichs rc. zu hören, welches dan
2 Heilige vnd Gute Worte sind bey einem Frommen Christen, so
3 ist doch Ein Heuchler dadurch nicht desto mehr zu achten si enim
4 eminus tuearis, Ovem arbitreris innocentiae primae, blandientem
5 sinu catulum; si propius, Lupus est; nunquam mansuescit
6 lupina rabies et nunquam magis quam in mentita
7 saevit pace. Ergo Togas male induunt qui saltant.
8 Qui Curios simulant et bacchanalia vivunt.
9 Quaere aliquem Curios semper Fabiosque loquentem
10 Hirsutum et dura rusticitate trucem
11 Invenies; Sed habet tristis quoque turba Cinaedos.
12 Nil lascivius est Carisiano
13 Saturnalibus ambulat togatus.
14 Thelin viderat in toga spadonem,
15 Damnatam Numa dixit esse moecham.
16 Jn wehrendem Discurs kamen wir in mitte dieser großen
17 Gasse, darinnen ich sahe alles das, so der Alte mir vorgesagt
18 hatte; begaben vns deßwegen auff einen hohen Ort, da man alles
19 wol beschauen vnd vbersehen kondte.
20 Daß erste, so mir zu Gesicht kame, war eine Todtenleiche,
21 so man zu Grab truge, sampt einer grossen mänge Verwandter,
22 Schwäger, Vettern vnd Bäslen vnnd anderer erbettener, die der
23 Leiche nachfolgeten vnd zu Ehren einem ihrer Freunde, dem Witwer,
24 wegen seines verstorbenen Weibs das Geleyt gaben. Er, der Leydige,
25 war mit einem schwartzen Tüchin Mantel verhüllet biß auff den
26 Boden, hatte eine lange Traurbinde vmb seinen Hut herab hangen,
27 den Kopf vnder sich haltend, ob wolte er die Schlüssel suchen, wie
28 jener Apt; gienge langsam vnd als ob er vor mattigkeit erligen
29 wolte. Jch, auß bewegnuß vnd mitleiden, wie ist, sprach ich, der
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1 gute Mann zu bedauren vnd betrauren, daß er in ein so grosses
2 Haußcreutz gerathen│ O ein seelig Weib, die so inniglichen von
3 ihrem Mann vnd Freunden wird beweinet vnd o Ein betrübter
4 Mann der eines so Edelen Weibs muß beraubet leben. Ach, sprach
5 der Alte, mein Sohn, nur gemach, nur gemach, tout beau│ nicht
6 Urtheile so bald, dann dieses alles, so du siehest, ist eine eytele
7 Heucheley, Ein geschmincktes wesen. Alles, was da geschicht, ist
8 angenommener, gezwungener weise, es gehet nicht von Hertzen, ist
9 lauter Scheinsal, vnnd wirst du bald erfahren, wie sehr das innerliche
10 thun dem eußerlichen Anschauen sogar nicht gleiche. Lese du
11 die Carmina funebria, die Leichgedicht, so der verstorbenen zu
12 Ehren gemacht worden. Höre das Gepräng der Abdanckung, warin
13 des Rühmens der Person, Geburt, Herkommens, Stammens, Namens
14 vnnd Standts titul, der Freundlichen Frawen, der Lieben Frawen,
15 der Frommen Frawen, der Trefflichen Haußhälterin, des Güldinen
16 Hertzens, des Edelen Schatzes, des traurens, des klagens kein ende ist.
17 Wer wolte nicht meynen vnd sagen, daß alles dieses Prächtige
18 wesen vmb hoher Ursachen wegen angestellet vnnd warhafftig wahr
19 wäre│ Aber wisse, daß dasjenige, so in dem Sarck liget, ist
20 weniger als Nichts, dann schon bey seinen Lebzeitten war der
21 Mänsch Nichts, vnd solches Nichts ist durch den Todt noch mehr
22 geringert vnd noch Nichtiger geworden. Ist also auch alle Ehr
23 vnd Pomp, so deßwegen angewendet wird, lauter Nichts vnnd so
24 wol im Todt deß Mänschen alß in dessen Leben die vnbeständige
25 flüchtige Eitelkeit daß beste. Gewiß ist es, dz dieses Mannes Weib
26 in Ewigkeit nimmermehr also wäre gelobt worden, wan sie bey Leben
27 verblieben wäre. Laedimus insontes vivos laudamus eosdem defunctos.
28 Auch die grosse scheinbare Traur, so die Nachfolgende
29 sehen lassen, gehet weder von Hertzen, noch zu Hertzen, geschicht
30 allein darumb, weil es also der Brauch vnd Gewohnheit ist, vnd
31 Sie zu solcher letzten Ehre vnd Begängnuß sind beruffen vnd eingeladen
32 worden. Wünschten theils vielleicht lieber auß einer oder
33 der andern ihnen bekandten Ursach, daß der Teuffel den Todten
34 sampt der gantzen Freundschafft hinweg hätte. Anstatt daß sie sich
35 bey diesem Exempel erspieglen, sich der Sterblichkeit vnnd ihres
36 Endes erinneren vnd dazu geschickt halten solten, so fangen sie
37 an von der verstorbenen Letztem Willen oder Testament vnd der
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1 verlassenschafft zu erzehlen. Der eine sagt, er wäre in streit, vnd
2 mißverstand mit dem Leidigen, auch zu dem der Verwandtnuß
3 nach ihme so nahe nicht beygethan, nehme ihn wunder, warum
4 man ihn zur Begräbnuß beruffen lassen, bevorab weil er andere
5 vnd wichtigere Geschäfft dadurch versäumet hätte, mit Gelt Einnehmen,
6 mit Wechselzahlungen, mit Rathßverrichtungen, mit Grävlichen
7 vnd Fürstlichen Bestellungen│ Ach wer weiß, obs war ist.
8 Eine andere sagt, man hätte ihr die gebührende Ehre nicht
9 angethan, hätte Ehren vnd Verwandnuß wegen wol weiter davornen
10 gehen sollen, der Teuffel soll also ins künfftig einem Freund
11 mehr dienen. J wott E, dassä Hexä rittä. Einem ist die verstorbene
12 eine stattliche Haußhälterin gewesen, dem anderen eine Mistfeige,
13 Schleiffe vnd Kötsche.
14 Der Wittwer selbsten ist so bekümmert nicht, wie er sich
15 stellet, vnd du ihn dafür ansiehest; ist meist darumb traurig, daß
16 er so viel Unkosten bey der Begräbnuß auffwenden muß, die
17 doch eben wol mit minderem Gepräng vnd wenigerem seinem
18 schaden hätt geschehen können. Sagt bey sich selbsten, daß, weil
19 sein Weib je hab sterben sollen, sie es vor langem hätte thun
20 können, ehe der Doctor vnnd Apothecker so viel Kosten auffgeschrieben
21 vnd getriben. So hoch ist der gute Mann bekümmert,
22 daß er sich tausenterley Gedancken macht, wie bald? wie? wo? vnd
23 welche? er ehest widerum Freyen wolle? kommen ihm viel Schöne
24 vnnd vorträgliche Liebgen im Sinn, vil werden ihm tröstlich angetragen,
25 so, daß er nicht weiß, wessen er sich entschließen solle.
26 Wird also das grosse Leyd bald in Freude, die Trauer vnd der
27 Todt in eine Neue Auferstehung verwandelt werden.
28 Jch stunde da vnd hörete dem Alten so fleissig zu, daß ich
29 meiner selbsten darob vergaß vnd daß Maul auffsperte wie ein
30 Narr, vnnd in dem ich mich wider erholet, sprach: Ja freylich ist
31 das Ansehen Mänschlichen Wesens seiner Natur gar nicht gleich,
32 will deßwegen mich in das künfftige wol bedencken, ein Vrtheil
33 von ichtwas zu fällen; vnnd die sachen, so mir am scheinbahrsten
34 vorkommen, will ich hinfort vor die verdächtigste vnd betrieglichste
35 halten.
36 Jndeß erhub sich ein grosses Geschrey, als ob man ( ein Octo )
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1 auff acht Stimmen zusammenheulen wolte, wir folgeten dem Ort,
2 vmb zu vernehmen, was es bedeuten möchte, vnd fanden in einem
3 Hauß eine Junge Wittib, deren der liebe Mann vor zwei Tagen
4 allererst gestorben. Diese schrye, heulete, seufftzete vnd kluxete dermassen,
5 ob der letzte Athem ihr außgehen vnd sie verzagen wolte.
6 Bald schlug sie die Hände in einander, wande sie umbher, manibus
7 inter se usque ad articulorum strepitum contritis, rauffte
8 ihr das Haar auß vnd ließ zu zeitten mit vber sich verkehrten
9 Augen einen solchen seufftzer vnd so tief von Hertzen, als ob sie
10 ihn auß dem Bronnen zu Breysach erschöpfen müssen, welches
11 Wesen alles doch dem verstorbenen nicht einen Heller nutzete. Alle
12 Zimmer vnd Cammeren des Hauses waren ihres Zieraths beraubet,
13 die Leidige Junge Wittwe saß in einem mit Traur und schwartzem
14 Tuch behangenen finsteren Gemach, da nicht wol eines das andere
15 sehen konte, welches aber dem Blindmäusigen Frawen-Zimmer zu
16 sonderlichem Vortheil vnd behülff dienete, in dem man nicht sehen
17 konte, wie manche die Thränen herauß gedruckt vnnd gezwungen
18 vnnd das Gesicht so scheußlichen wird verstellet haben, damit sie
19 ihrer Traurigkeit in etwas mögen einen schein vnd gestalt geben.
20 In tenebris luges amissum Galla maritum:
21 Nam Plorare pudet te, puto, Galla virum.
22 Eine der Gevatterinnen oder Gespielen, so die Wittwe in
23 ihrem Leid nach gewohnheit trösten wolte, sprach: Ach liebe Frau
24 Gevatterin, all euer trauern ist vergebens vnd vmbsonst, ihr könt
25 den Frommen Herren damit doch nicht wieder lebendig machen,
26 gebt derowegen euer Hertz in Gedult vnnd nemt Exempel an mir,
27 dann euer Creutz gehet mir so hart zu Hertzen, als ob es mein
28 eigenes ware. Die andere vermittelst eines schröcklichen Seufftzers
29 fing also an zu sagen: Liebe Nachbäurin, ihr solt euch so sehr
30 nicht bekümmern, euer Herr ist ein so feiner Herr gewesen, daß
31 ich nicht zweifele, er sey gewiß im Himmel, stillet demnach euer
32 weynen, dann vnmüglichen Dingen ist doch anderst nicht zu helffen.
33 Die dritte, ach liebe Schwester, du weissest den edlen trost
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1 Batzientzia Fintzi Domine│ gib derowegen dein Hertz zur Ruhe,
2 Gott wird dich bald wider erfreuen│ vnd so fortan, Eine nach der
3 andern wußte ihren tröstlichen Weidspruch her zusagen. Je mehr
4 aber die gute Weiblein der Wittwen zusprächen, je mehr sie sich
5 allererst anhebet, sich zu jammern vnd zu beklagen vnnd mit halb
6 gebrochener stimme: Ach daß es Gott erbarme, sprach sie, ich armes
7 elendes Weib, was soll ich thun? Ach, wer wird mich nun trösten
8 vnd erfreuen? wer wird mir nun meine Spindlen hasplen? Wer
9 wird mir jetz mein Betbuch vom schäfftel langen? hab ich doch
10 keinen Mänschen mehr, der am Sontag bei mir am gätter liege?
11 Ach was soll ich nun anfangen? wer wird mich jetzt mehr? Ach
12 mein hertzallerliebster Schatz│ wie ist mir dein Abschied so schmertzlich│
13 ach, ich arme Wittwe, wer wird sich meiner in diesem schwerem
14 Creutz doch annehmen│ Ach nicht wunder wäre es, ich ließ mich zu
15 ihm in das Grab legen│ ich begere doch also nicht länger zuleben,
16 weil ich Den verlohren, den ich lieber gehabt als die gantze Welt│
17 o ich vnseliges Weib│ o weh mir armen Witwen? wer wird mich?
18 o weh wer halt mich? ich spring in den Bornnen│ Zu diesen
19 figural geschrey kam dann das vbrige ganze Choral-Geheul, indem
20 die andern Weiber alle, mit Naseschneutzen, räusperen, husten,
21 schnupffen, schluxen, kluxen, ritschen, wischen, wäschen, klappern vnd
22 bappeln zugestimmet, daß ich kein Wort verstehen konte, was mehr
23 geredet oder gesagt worden. Dieses alles, sprach der Alte, ist der
24 Weiber Ordnung vnd Weise, vnd meines erachtens ihre gewöhnliche
25 purgation vnd Artzney, in dem sie die boßhafftige Feuchtigkeiten
26 vnnd hartnäkigte Flüsse des Haupts also durch die Naslöcher
27 vnd Augen außtreiben, eben als bey den Mannsleuten die Tabac-Narren
28 pflegen. Aber ich antwortend sprach, daß meines erachtens
29 die gute Wittwe billich zubetrauren wäre, als welche von aller
30 Welt jetzt verlassen, dannenhero auch die Heylige Schrifft sie männiglichen,
31 insonderheit der Oberkeit vnd denen, die Recht vnd Gerechtigkeit
32 außzusprechen haben, so hoch befiehlet, dann, Wie reich auch
33 eine Wittib an allen Mitlen sein mag, so ist sie doch ein armes
34 elendes Weib, dessen man sich so lang annimmet vnd erbarmet,
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1 als lang man von ihr kan genieß vnd Vortheil haben, vnnd wann
2 sie der Hülff am nöthigsten bedarff, so ist doch niemand, der sich
3 ihrer ohne gesuchten Eigennutz, in sonderheit gegen grossen Hansen,
4 von Hertzen will annehmen. Denn die grossen will niemand erzürnen,
5 sondern jeder bei denselben ein bene oder Lehen verdienen,
6 vnd bleibt bey ihnen
7 Sic volo sic jubeo, stat pro ratione voluntas.
8 Jch bin ein Herr,
9 trotz, der sich sperr,
10 Recht hien, Recht her.
11 Ein jeder thu, was ich begehr;
12 Wer daß nicht thut,
13 Den kost es Ehr vnd gut;
14 Jch bin das Recht,
15 trotz, der mir widerfecht.
16 Aber wehe denen, die der Wittwen sache nicht recht in acht nehmen,
17 noch ihr Recht befürderen helffen, so sie anderst recht haben│
18 Nun sehe ich wohl, sprach der Alte, daß du auch nach gebrauch
19 der eitelen Weltkinder deine Geschicklichkeit wilt sehen lassen
20 vnd die Leute glauben machen, daß du ein so stattlicher Theologus,
21 ein Geistlichgelehrter Doctor seyest, da du doch warten sollen,
22 biß ich dir die rechte Bedeutung dessen allen, so dir noch vnbekandt
23 ist, erkläret hätte. Aber schwärlich kann ein Mänsch, der sich
24 duncket gelehrt zusein, so weit inhalten, daß er sich dessen nicht
25 merken lasse. Ein weiser Mann kan besser schweigen.
26 Viel weiser Leut die Welt wol hätt,
27 Wann nur der leidig stoltz nicht thät,
28 Der die Leut auch beredt so fern,
29 Als wann sie jetzt schon Doctor wern;
30 Wer aber meynt, Er kan es gar,
31 Der bleibet ein Narr immerdar.
32 Vnd ist zu besorgen, wann sich der Fall mit dieser Witwen nicht erzeiget
33 hätte, alle deine Geschicklichkeit dir im Leib verrostet wäre.
34 Auch was die Wittib an ihr selbst belanget, so ist gewiß, daß
35 sie, eusserlichem ansehen nach, scheinet, ob ihr gantzes Hertz nichts
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1 als Andacht, Traurigkeit vnd Kyrieleyson wäre. Aber die Kleider
2 sind nur schwartz, das Hertz ist grün vnd in frischer hoffnung,
3 bald widerumb einen andern Mann an dem gätter vnd an der
4 seite zu haben, Jhre Thränen sind herauß gepresset vnd gezwungen,
5 lacrymae ad ostentationem paratae, ihre eusserliche Gestalt ist
6 triegerey.
7 Wiltu aber das Hertz erforschen? mein, so lasse sie allein,
8 das sie niemand wisse, du wirst den Betrug vnd Heucheley bald
9 erfahren, wie sie nemlich sich so frisch erzeigen vnd einen Sarrabanden
10 daher singen vnd springen werde, so gayl vnd rammelig
11 als die Katzen vmb Liechtmeß immer sein mögen.
12 Amissum non flet, cum sola est Gellia, sponsum,
13 Si quis adest, jussae prosiliunt lacrymae,
14 Non dolet hic quisquislaudari Gellia quaerit,
15 Ille dolet vere, qui sine teste dolet.
16 Bald auch wird eine ihrer vertrauten kommen vnd nach der
17 Weiber art ex lachrymis in risum mota sagen: Liebe Gespiele,
18 nur frisch vnd guets muhts, was Elements soll das verfluchte
19 trauren? ihr habt es besser als ihr selbsten meynet, ist schon
20 euer Herr vnd Mann gestorben, botz zipfel, ihr seit noch jung
21 vnnd wacker genug werd euers gleichen bald finden, wann ihr
22 nur wollet: Es liegt nummen an uch: der vnd der haben schon
23 nach euch gefraget: dieser hat schon ein Aug auf euch geworffen,
24 solltet ihr nur einmahl mit ihm zu sprechen kommen, ihr wirdet
25 des verstorbenen bald vergessen; wann es nur also zu thun wär,
26 o weh wie bald wot i mi gressolfiert han. Werrly liebe Nachbarin,
27 wird die andere zustimmen, wanns mir asso wär, i wot
28 mi bald bedächt han; Einer verloren, zehen wider gefunden, J
29 wot dem Roth folgen, den uch min Gevatterin do allewil gän
30 hött, dann werly der vn der höt ein grosse anffechtion zu uch,
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1 man mercks an allem sim thun, er ist ein wackerer Kerle: hött ä
2 schwartz Hoor, höt schwartze Augen, höt ein hübst schwartz bärtel.
3 Mayn, er kan eim Blick gän. J Mayn, er kan wohl dantzä. Er
4 ist noch Jung vnd stark, vnnd auer wol wärth, vnd wär werly
5 immer schad, wann er uch nit sott bekommen│ Alsdann wird die
6 Wittwe mit verkehrten Augen, beneben einem tief geholten schluxer,
7 fein zimperlich anfangen vnd sagen: O we│ was sagenir do? o
8 weh│ o wo binni? vergessä? Ja wol vergessä, Ach mein lieber
9 Mann, wie kan ich, wie will ich deiner so bald vergessen│ Ja
10 freylich│ Ach Gott, es ist noch nicht von Heyrathen zureden│ Jch
11 wot wol verschwören, mün Lebtag mehr ein Mann zunehmen,
12 wan es aber ja Gottes sonderbahrer will sin sott, o so wotti au
13 wissä, wassi zethun hätt. Nun bollan.
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1 Was Gott beschert,
2 Bleibt vnverwehrt.
3 Doch, i möcht werly schier lachä, dasser mi asso fexierä, i will
4 auerä guottä roth drumb nit veracht han, i thu mi der guotä
5 vorsorg von Hertzä bedanckä rc.
6 Siehe mein lieber Sohn, diß ist der Weiber allermeistes
7 Wesen, hi sunt viduarum mores; priusquam mortuus elatus
8 est aede, vivus alius elevatus est in corde. Der Mann ist
9 kaum vergraben, vnd ihr Hertz will schon einem andern nachtraben.
10 Ehe der Mann recht erkaltet, so hat sie schon einen warmen in
11 den armen vnd nimt den rothen für den todten; da siehet sie, wo
12 ein frischer hergehe. Was hat sie nicht für ein Mordgeschrey bei
13 dem Grab verführet? wie hat sie sich gestellet? ist in Ohnmacht
14 gesuncken, hat vor Leyd hungers sterben wollen, hat in Bronnen
15 springen wollen, wan man sie nicht vff ihr selbs begehren gehalten
16 hätte; vnd nun wol an: Gedult kan alls vberwinden, thut weit für
17 Reichthum gan; was nicht anderst kan sein, da gebe ich meinen
18 willen darein rc.
19 Jndem der Alte dieses geredet, erhub sich ein geräusch vnd
20 ruffens in der Gassen, vnd als wir vns vmbsahen, war es ein
21 Scherge, ohne Hut vnd Kragen, mit blutigen Schädel, der verfolgete
22 einen Dieb│ mit lautem nachschreyen: Hebt den Dieb│ au
23 Voleur, au Voleur│ hebt den Dieb│ hebt den Dieb│ welcher aber
24 davon lieffe, ob ihm der Teuffel nach dem Buckel greiffen wolte.
25 Da dachte ich bey mir selbsten, gleichwol muß dieser Scherge ein
26 rechtschaffener Mann sein, weil er den Bösewicht so ernstlich verfolget.
27 Aber der Alte sprach: Mein Sohn, dieser Dieb ist sonst
28 deß Schergen bester Freund, mit dem er stets in Würthshäuseren
29 vnd Weinschäncken hien vnd wieder gefressen vnd gesoffen. Weil
30 aber der Dieb ihm nicht part an einer Beute oder diebstahl geben
31 wollen, darumb ist er so erzürnet; vnd wolte den armen schlucker
32 gern an Galgen bringen helffen; dahero Er auch diese grobe stösse
33 von ihm bekommen. Es muß dan dieser Gesell, sprach ich weiter,
34 wol zu Fuß sein, weil er diesem Schergen, deß Henckers Jaghund,
35 hat entlauffen können. Jst also der Scherge nicht wegen befürderung
36 Rechtens, sondern wegen eigenen genieß vnd Vortheils vnder
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1 dem scheinbaren Fürwand der Justitien, so eyfferig gewest, sonsten
2 er den Gesellen wol wirde vnberuffen haben vorüberstreichen lassen.
3 Dann ja ein Scherge sonst kein ander Einkommens oder Renten
4 hat, als was ihm auf Ruth, Schwerd vnd Strang per anticipationem,
5 zum Vorauß mag gedeyen vnd gebühren. Mein rath,
6 der Schergen vnd ihres gleichen Gesindlein in der Welt abzukommen,
7 wäre, daß die Mänschen es versuchen, vnd ein Jahr
8 oder etliche nicht sündigen wolten, als dann ihr Handwerck erliegen
9 vnd sie hungers sterben müßten: wiewol es heyßt: non tam
10 crimine quam sorte nocentes fiunt. Et suam habet fortunam
11 ratio. wann sie an den Hund wollen, so muß er Leder gefressen
12 haben, ob er schon keines je gesehen.
13 Non amo te Sabidi, nec possum dicere Quare:
14 Hoc tantum possum dicere: Non amo te.
15 Vnd wäre einer so fromb als Abel, dann noch, so Scherge
16 vnnd Schreiber Schälcke sind, so müßte er den Namen haben, er
17 wäre eine Dieb; welches insonderheit an etlichen Orten in der
18 Welt, da die Schreiber ohne gewissen schreiben, zusehen: indem
19 sie zum offtermalen nur daß jenige in einer Zeugen Aussage setzen,
20 was ihnen wol beliebet, das andere aber aussen lassen; gleichwol,
21 wann sie dem Zeugen die Aussag widerumb vorlesen, so vber alle
22 massen stattliche Gedächtnuß haben, das sie auch nicht vmb ein
23 Wort fehlen, damit der Zeuge es ja nicht mercken könne. Aber
24 gleich wie die Schreiber den Zeugen Meineyds verwarnen vnd,
25 die schlechte Wahrheit außzusagen, mit Eyden beladen; sollte wahrlich
26 nicht vneben, sondern wol nöthiger sein, das die Zeugen heutiges
27 Tags die Schreibere ebenmessig Meineyds verwarneten vnd, die
28 schlechte pure Wahrheit zu schreiben, voranhin mit Eyden beladen
29 thäten, damit sie nicht anderst lesen wolten, als geschrieben; nicht
30 anderst schreiben wolten, als außgesagt worden.