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Johan August Eberhard, Vorbereitung zur natürlichen Theologie zum Gebrauch akademischer Vorlesungen, Halle 1781.
[vollständig abgedruckt in AA XX, 491-606]
Vorbereitung
zur
natürlichen Theologie
zum
Gebrauch akademischer Vorlesungen
von
Johann August Eberhard.
HALLE,
im Waisenhause.
1781.
[I]
Vorbericht.
Diese wenigen Bogen sind zu öffentlichen Vorlesungen bestimmt, worin
angehende Liebhaber der philosophischen Wissenschaften auf das Studium eines
so edlen Theiles derselben, als die natürliche Theologie, sollen vorbereitet werden.
Daher ist alles darin zusammengetragen, wovon man erwarten kann, dass es
den Wissbegierigen für die Wissenschaft interessiren, und in seinem Gange
leiten könne. Die erste Absicht soll durch die Abhandlung von den Irrthümern
in der natürlichen Theologie erreichet werden, die man nicht anders als durch
eine wissenschaftliche Erlernung derselben vermeiden kann, die andere durch
die Anweisung, wie die zur Erkenntniss Gottes gehörigen
[II]
Begriffe rein dargestellt
werden. Zu eben dieser Absicht sind die Versuche anderer Gottesgelehrten
und Weltweisen, die eines oder das andere Feld mehr oder weniger glücklich
bearbeitet haben, mit Billigkeit aber genau beurtheilt, und einem jeglichen sein
Nutzen bestimmt worden. Um die Wissbegierigen in den Stand zu setzen, hierüber
selbst zu urtheilen, und zugleich die Hülfsmittel zu kennen, wodurch sie
durch eigenen Fleiss ihre Kenntniss in der natürlichen Gottesgelahrtheit vermehren
können, ist gelegentlich etwas von der Litteratur dieser Wissenschaft
hinzugefügt worden. Dieses Etwas ist, nach meiner Ueberzeugung, für den Anfänger
hinreichend, und ich hoffe, dass diese Bestimmung diejenigen gelehrten
Männer, die diese Anfangsgründe in die Hände zu nehmen sich herablassen
sollten, zu nachsichtsvollen Richtern derselben machen werde. Ich könnte selbst
[III]
verschiedene Schriften, die ich angeführt habe, nennen, und ich ermangle nicht
es bei den Vorlesungen zu thun, die jetzt wegen der grossen Erweiterung, die
nach ihrer Erscheinung der Theil der Wissenschaft, wovon sie handeln, erhalten
hat, von geringem Werth sind. Aber man hat doch keine bessre in dem Theile,
und so muss das Angezeigte wenigstens zum Leitfaden dienen, an dem man
durch die Anwendung der aussertheologischen Kenntnisse auf die natürliche
Theologie bei eigenem Nachdenken weiter gehen kann.
Wenn man mir einwenden sollte, dass man keine Nothwendigkeit sähe
warum diese Vorbereitung von dem gewöhnlichen Vortrage der natürlichen
Theologie in der Metaphysik getrennt werden müsse: so habe ich dieses zu
antworten. Erstlich der Reichthum der Sachen und die Kürze der
[IV]
Zeit macht
es unmöglich, alle vorhin angeführten Absichten bei dieser Art des Vortrages zu
erreichen. Dazu kommt, dass ein jedes Lehrgebäude die theologischen Wahrheiten
aus Einem Grundbegriffe entwickelt. Nun kann es unmöglich unnütz
sein, den Anfängern wenigstens historisch von den Lehrgebäuden anderer Weltweisen
einen Wink zu geben, und ihnen die herrliche Harmonie der Wahrheiten
in einem ändern Lichte zu zeigen, zu zeigen, von wie vielen Standpunkten sich
die Betrachtung zum Anschauen der Gottheit erheben kann. Endlich ist es
eine Erfahrung, die ich leider! schon habe machen müssen, dass selbst lehrbegierige
Jünglinge, die auch nach der Erkenntniss Gottes verlangt, von dem
Nutzen der ontologischen, kosmologischen und psychologischen Wahrheiten in
der natürlichen Theologie eben nicht sehr überzeugt scheinen, und daher bei
dem Vortrage die-
[V]
ser Wahrheiten ihre Aufmerksamkeit ruhen lassen; zumal da
man seit einiger Zeit die speculativen Wissenschaften in ein sehr übles Geschrei
gebracht hat, als wenn die bequemste Heerstrasse zu dem Tempel der Wahrheit
führte, so dass man jetzt mehr, als zu Bilfingers Zeiten nöthig hat, die Jünglinge
zu den strengen Wissenschaften zu ermuntern. Um also, statt gegen
diese Schwachheit zu eifern, lieber dem Bedürfniss des Anfängers entgegenzugehen,
und ihm den Nutzen der reinsten Zergliederung der Begriffe fühlen zu
lassen, habe ich es für das Nützlichste gehalten, die aussersinnlichen Begriffe,
welche den Stoff der Erkenntniss Gottes ausmachen, der Theologie näher zu
bringen, und mit ihnen, gleichsam als in einer Vernunftlehre der Theologie,
diese Zergliederung da vorzunehmen, wo sie sie unmittelbar brauchen. Denn
auch das hat mich die Erfahrung gelehrt,
[VI]
dass alle Winke von künftiger Nothwendigkeit
der reinen abgezognen Begriffe mehrentheils unkräftig sind, und
dass man gewöhnlich den Unglauben in diesem Stücke bequemer findet. Ich
wünsche, dass diese Methode zur Ausbreitung reiner Begriffe in der Religion,
zur Befestigung in der Ueberzeugung von ihrer Wahrheit, und zur Anwendung
ihrer Lehren möge wirksam sein, so sehr ich von dem wohlthätigen Einfluss der
Erkenntniss Gottes überzeugt bin. Je mehr wir Gott kennen, desto zufriedener
werden wir leben. Ἂν γνῷσ, τί ἐστι θεόσ, ἡδίων ἔσῃ.
[1]
Vorbereitung
zur
natürlichen Theologie.
Einleitung.
1
Begriff.
Die Vorbereitung zur natürlichen Theologie ist die Wissenschaft der
Regeln zur Bildung der vollkommensten Erkenntniss Gottes in dem menschlichen
Verstande und ihrer Mittheilung. Sie wird also einen theoretischen Theil enthalten,
worin die
Entstehung der Erkenntniss Gottes
und die Regeln
ihrer
Vollkommenheit
werden vorgetragen werden, und einen
praktischen,
der die Regeln der
Mittheilung
dieser Erkenntniss enthalten wird.
[2]
1. Man kann also diese Vorbereitung als eine Vernunftlehre der natürlichen
Theologie ansehen, denn die Regeln der allgemeinen Vernunftlehre werden
darin auf die natürliche Theologie angewandt werden.
2. In Ansehung der Bücherkunde verweise ich auf die Schriften, welche entweder
die allgemeine philosophische oder theologische Litteratur enthalten
worin die Litteratur der natürlichen Theologie auch vorkommen muss, und
schränke mich bloss auf die besten und neuesten Schriften ein. Nur dann
werden ältere Schriften genauer angeführt werden, wenn sie besondere
Lehren und Theorien enthalten, oder in den allgemeinen Bücherverzeichnissen
nicht genau genug classificirt sind.
Cogitationes de Deo & Providentia divina adversus Atheos
&
Epicureos
A.
Sam. Parkero
S. T. P. Episcopo Oxoniensi. 1678. 4. Londini. 1704.
Oxonii e Theatro Sheld. 4.
A Demonstration of the Being and Attributes of God by
Samuel Clarke.
London 1706. 8. — Lateinisch 1713. Altorf. 8. Deutsch, Braunschweig
1756. 8. — Im Auszug
in G. Burnets Atisz. aus den Boylischen
Reden, der deutschen Uebers. drittem Theil, S. 141. u. ff.
Philosophical Principles of Religion natural and revealed, in II. Parts
by
George Cheyne.
London 1715. 8. Dritte Ausgabe Ebendas. 1724. 8.
[3]
The Religion of Nature delineated by W. Wollaston.
1724. 4.
Vernünftige Gedanken über die wichtigsten Sachen und Streitigkeiten
in der natürlichen Gottesgelahrtheit, nebst einer Uebersetzung von M.
Tullius Cicero drei Büchern von dem Wesen und Eigenschaften der
Götter herausgegeben von Joh. Heinr. Winkler Leipzig 1739. 8.
Institutio Theologiae Dogmaticae methodo demonstrativa traditae a
Ge.
Henr. Ribovio.
Göttingae. 1741. 8. Pars L continens Theologiam naturalem.
Israel Gottl. Ganz
Theologia naturalis Thetico-Polemica. Dresdae. 1742. 8.
Discourses on the principal Branches of natural Religion and social
Virtue by
James Foster
D. D. 2 Voll. 4. London 1749. — Deutsch,
Jena 1751-1753. 2. B. 8.
Christian Wilhelm Franz Walchs Grundsätze der natürlichen Gottesgelahrtheit.
Göttingen 1760. 8. Zweite Aufl. 1779.
Die vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion in zehn Abhandlungen
auf eine begreifliche Art erkläret und gerettet von Herrmann
Samuel Reimarus. 1760 zwote, 1766 dritte Ausg.
[4]
Betrachtung über die vornehmsten Wahrheiten der Religion von J. Fr.
W. Jerusalem. Braunschweig. 1772. 8.
Christian Friedr. Polzens natürliche Gottesgelehrsamkeit. Jena 1777. 4.
Aristée ou de la Divinité, à Paris. 1779. 8.
Lectures on the universal Principles and Duties of Religion and Morality.
By the Rev.
David Williams.
2. Voll. 4. 1780.
2
Unterschied der Theologie und der Religion.
Die Erkenntniss Gottes muss aber hier in ihrer grössten Vollkommenheit
genommen werden, deren sie bei Menschen fähig ist, nämlich sie muss die
reichste, richtigste, deutlichste, evidenteste, lebendigste Erkenntniss, kurz eine
wissenschaftlichste, oder gelehrte sein. Diese heisst die Gottesgelahrtheit,
einen jeden Grad derselben, auch den geringern,
enthält
die Religion.
Man thut wohl, wenn man diese beiden Arten der Erkenntniss Gottes
unterscheidet. Ein jeder Mensch muss zwar Religion haben, aber nicht
ein jeder Mensch braucht ein Gottesgelehrter zu sein. Fer-
[5]
ner: verschiedne
Fragen, Zweifel, Irrthümer sind in der speculativen Theologie
wichtig, die es für die praktische Religion nicht sind.
3
Wahrheit der Erkenntniss Gottes.
Dass diese Erkenntniss Gottes eine wahre Erkenntniss sei, das muss der
eigentliche Gottesgelehrte
mit deutlicher Ueberzeugung wissen. Dazu gehört,
dass er es sich bewusst sei, 1. dass die Merkmale, die zu dem Begriffe von Gott
gehören, Realität haben, 2.
wie sich dieser Begriff in dem menschlichen
Verstande
bildet, 3. dass
der äussere Gegenstand dieses Begriffes
wirklich
sei.
4
Irrthümer in der Erkenntniss Gottes.
Indem er sich mit diesen Vollkommenheiten der Erkenntniss Gottes beschäftiget,
so lernt er auch die Unvollkommenheiten derselben kennen, und die
daher entspringenden verschiednen Gestalten der Religion bei einzelnen Menschen
und ganzen Völkern. Wir werden also auch von
[6]
den Irrthümern des
menschlichen Verstandes reden müssen, die der wahren Erkenntniss Gottes entgegenstehen.
5
Schwierigkeiten bei der Wahrheit der Erkenntniss Gottes.
Die Schwierigkeiten, die bei dem Begriffe Gottes vorkommen, haben zwo
Quellen. Die erste ist die Geistigkeit Gottes, die zwote, seine Unendlichkeit.
1. Wegen der Schwachheit seines Verstandes kann der Mensch sich am
leichtesten von solchen Dingen Vorstellungen machen, die in die Sinne fallen,
und die seine Einbildungskraft sich unter einem Bilde vorstellen kann. Dergleichen
Vorstellungen lässt aber die Simplicität eines Geistes nicht zu. 2. Er
kann dieses einigermassen dadurch ersetzen, dass er die Eigenschaften eines
Geistes in seiner eignen Seele beobachtet und anschauet. Diese Eigenschaften
kommen Gott im höchsten Grade zu, in seiner Seele findet er sie aber nur mit
vielen Einschränkungen.
1. Nämlich die Schranken des menschlichen Verstandes und die Verbindung,
worin er mit dem gan-
[7]
zen Weltall stehet, erfordern, dass seine klare Erkenntniss
bei der äussern Empfindung anfange, deren Bilder auch seine
übersinnliche Erkenntniss noch immer begleiten und erleichtern.
2. Ein Merkmal, das zu dem Begriffe von Gott gehört, ist alsdann wahr, wenn
es in Gott möglich, oder den übrigen Merkmalen in demselben gemäss
ist, und das ist es, wenn es keinem Merkmale widerspricht, das zu dem
Begriffe des höchsten Wesen gehört. Da nun alle anschauende Vorstellungen
des Menschen entweder äussere Empfindungen sind, deren Gegenstand
zusammengesetzt, oder innere, deren Gegenstand endlich ist: so
muss unsere wahre Erkenntniss Gottes übersinnlichund symbolisch sein.
Sie kann aber mit anschauender verbunden werden, und muss es auch,
sobald sie praktisch sein soll.
6
Nähere Bestimmung der Erfordernisse zur Berichtung der Erkenntniss Gottes.
Da wir uns unter dem höchsten Wesen das Vollkommenste vorstellen: so
müssen wir 1. wohl untersuchen, welche Arten von Merkmalen diesem vollkommensten
Wesen zukommen, damit wir sicher sind, dass wir keine Merkmale
in dem Begriff desselben bringen, die der höchsten Vollkommenheit widersprechen;
2. zei-
[8]
gen, dass ein Wesen, dessen Begriff aus solchen Merkmalen zusammengesetzt
ist, eine innere Realität, 3. dass es eine äussere Realität habe.
1. Die innere Realität eines Begriffes ist nichts anders als seine Möglichkeit:
so wie wir unter der äusseren seine Wirklichkeit verstehen. Um
diese letztere zu beweisen, wird erfordert, 1. dass bewiesen werde, die
Wirklichkeit sei in dem Begriffe des vollkommensten Wesens enthalten,
oder es müsse vermöge seines Wesens wirklich sein, 2. dieses vollkommenste
Wesen, das wir uns, vermöge seines Begriffes, als wirklich vorstellen
müssen, habe auch eine äussere oder objective Wirklichkeit,
oder der Begriff desselben habe einen wirklichen Gegenstand ausser
unserm Verstände.
2. Die Spitzfindigkeit: dass man daraus, dass die Wirklichkeit des vollkommensten
Wesens durch den Begriff desselben in dem menschlichen
Verstande bestimmt werde, die äussere oder objective Wirklichkeit
nicht folgern könne, hat schon unter den scholastischen Weltweisen
Vertheidiger gefunden, zu denen ein gewisser Gaunilo gehört,
dessen Werk gegen Anselm von Kanterbury noch vorhanden ist.
Anselmi
Cantuariensis Prosologion.
Gaunilonis
Liber pro Insipiente adversus Anselmi Prosologion.
Anselmi
Liber contra Insipientem s. Apologeticus.
[9]
Diese Schriften finden sich zusammen in den Werken des H. Anselmus
nach der Ausgabe des Don Gabriel Gerberon 1675. fol., der auch zuerst
den Namen des bis dahin unbekannten Gegners des H. Anselmus
aus Handschriften entdeckt hat.
7
Nutzen und Nothwendigkeit dieses vorsichtigen Verfahrens.
Dieses Verfahren ist sehr nöthig, wenn wir unsrer Erkenntniss Gottes alle
Wahrheit, Reinigkeit und Gewissheit verschaffen wollen, deren sie in einer endlichen
aber ausgebildeten Vernunft fähig ist. Es ist aber auch besonders in
gegenwärtigen Zeitumständen nöthig, da von einigen skeptischen Philosophen
Schwierigkeiten gegen die innere und äussere Wahrheit des Begriffes von
Gott sind gemacht worden.
Die Scheingründe, worauf die Einwürfe gegen die innere Wahrheit des Begriffs
von Gott beruhen, sind:
1. Alle Merkmale des Begriffs von Gott sind verneinend. — Daraus
würde allerdings folgen, dass der Begriff von Gott unmöglich und falsch
sei. — Allein
[10]
a. ist deswegen nicht ein Begriff aus lauter verneinenden Merkmalen zusammengesetzt,
weil er deren einige enthält.
b. Diese Verneinungen betreffen bloss die Schranken, mit denen wir die
bejahenden Merkmale in dem Endlichen wahrnehmen.
c. Sie sind daher bloss Scheinverneinungen, indem die Verneinung bloss
in dem Ausdruck ist.
2. Gott ist unbegreiflich, was aber unbegreiflich ist, das ist unmöglich und
falsch. — Allein
a. wenn man unbegreiflich nennt, wovon ein endlicher Verstand nicht
alles erkennen kann,
b. wovon er keine vollständige anschauende Vorstellung haben kann,
so folgt die Unmöglichkeit des Begriffs aus der Unbegreiflichkeit nicht.
c. In dem Sinne aber kann man nur Gott unbegreiflich nennen. Denn
er selbst kann sich von seinem ganzen Wesen einen vollständigen
anschauenden Begriff, und der endliche Verstand soweit einen deutlichen
Begriff von seinem Wesen machen, als hinreichend ist, Gott
von dem Endlichen und seine Eigenschaften von einander zu unterscheiden.
Thomas Hobbes Quaestiones de Libertate Necessitate & Casu contra
[11]
Doctorem Bramhallum Episcopum Derriensem, zuerst London
1656. 4. englisch.
David Hume
Dialogues on natural Religion, 1779. 8. — Französisch:
Dialogues sur la Religion naturelle. Ouvrage posthume de David
Hume Ecuyer. Edinbourg. 1779, 8. 2. Voll.
8
Abriss der folgenden Abhandlung.
Diese Vorbereitung wird also in ihrem Ersten Hauptstücke, nämlich in
dem theoretischen Theile folgende Abschnitte enthalten.
Der I. von der innern Wahrheit des Begriffes von Gott.
Der II. von der äussern.
In der 1. Abtheilung dieses 2ten Abschnittes wird beurtheilet werden
Der Beweis der äussern Wahrheit oder der Wirklichkeit Gottes
a priori.
In der 2ten, a posteriori.
[12]
In dem III. wird von den Irrthümern gehandelt werden, die aus den Mängeln
der Religionserkenntniss entstehen.
In der 1. Abtheilung von der Atheisterei, oder der Gottesleugnung.
In der 2. Abtheilung von der Vielgötterei, oder dem Polytheismus.
In der 3. Abtheilung von dem religiösen Aberglauben.
Der IV. wird die natürliche Geschichte der Religion enthalten.
Das Zweite Hauptstück wird eine praktische Anleitung zur Mittheilung
der Religionserkenntniss geben.
Der I. Abschnitt wird die sinnliche durch Ansehn, Wundern etc. enthalten,
Der II. die vernünftige,
In der 1. Abtheilung durch die Kenntniss der Natur.
In der 2. Abtheilung durch Uebung in allgemeinen Begriffen.
[13]
I. Hauptstück.
Von der Bildung des Begriffes von Gott.
I. Abschnitt.
Von der innern Realität des Begriffes von Gott, oder von der Möglichkeit
eines vollkommensten Wesens.
9
Erfordernisse des Beweises der Möglichkeit eines vollkommensten Wesens.
Wenn wir uns von dieser innern Realität versichern wollen, so müssen
wir 1. fragen: ist der Begriff eines verständigen Wesen, so wie wir ihn Gott
beilegen, 2. ist der Begriff eines
unendlichen Wesens
ein wahrer Begriff?
Um diese Fragen zu beantworten, muss untersucht werden, 1. ist der Begriff
des Unendlichen selbst ein möglicher Begriff, 2. was ist in dem Begriffe eines
verständigen Wesens, das mit dem Begriffe des Unendlichen bestehen kann?
Ueber die Realität unseres Begriffs von der Gottheit von Joh. Nikolas
Tetens Prof. der Philosophie zu Kiel in
[14]
Joh. Andreas Cramers Beiträgen zur Beförderung theologischer und
anderer wichtiger Kenntnisse. Zweiter Theil. Kiel und Hamburg 1778.
8. n. IV. S. 137. u. ff.
10
Reine Realitäten.
Der Inbegriff aller
Vollkommenheiten
ist der Inbegriff aller Realitäten.
Nun kann aus der Verbindung aller Realitäten
unmöglich etwas Widersprechendes
entstehen. Die Realitäten sind entweder reine oder vermischte.
Bei der erstem hat die Sache keine Schwierigkeit, eine Realität kann
so wenig
eine
Realität aufheben,
als ein Etwas das andre
aufheben kann. Die letztern aber
sind solche, die Verneinungen in sich schliessen, und da kann gerade die Realität
in der Verneinung aufgehoben werden, die man durch die Hinzufügung
mit ihr vereinigen wollte.
Nur müssen wir aus dem Begriffe der endlichen Realität alle die Merkmale
weglassen, die aus dem Begriffe der Endlichkeit folgen. So stellt
der endliche Verstand nicht Alles, nicht zugleich, und nicht aufs deutlichste
vor; der Verstand hingegen, der keine Grenzen hat, Alles mögliche
und zugleich und aufs deutlichste.Ein endlicher und
[15]
ein
unendlicher
Verstand sind also unter sich
ungleichartige Grössen,
die nicht
einerlei Einheit
haben; und dergleichen sind überhaupt endliche
und unendliche Realitäten. Daher kann auch aus unendlich vielen
endlichen Realitäten keine metaphysisch unendliche werden.
11
Vermischte Realitäten.
In diesem Falle müssen wir das Verneinende von dem Begriffe trennen, dann
behalten wir etwas Reelles übrig. Von diesem Reellen wird es sich nun eben so
wenig sagen lassen, dass es einem andern Reellen
widerspreche
, als es sich von
dem Etwas sagen lässt, dass es das Etwas, und von dem Nichts, dass es das Nichts
aufhebe. Solche Merkmale, von denen man das Verneinende nicht trennen kann,
ohne den ganzen Begriff aufzuheben, kommen dem höchsten Wesen gar nicht zu.
12
Begriff des metaphysisch unendlichen Wesens.
Die Grosse des Wesens, in welchem alle Vollkommenheiten im höchsten Grade
beisam-
[16]
men sind, ist die Grösse Eines metaphysisch unendlichen Wesens.
Und ein solches ist das vollkommenste Wesen, das wir Gott nennen. Wollte
man annehmen, dass dasjenige noch vollkommner wäre, welches die Summe
aller Realitäten von zwei Unendlichen oder von den Realitäten des Unendlichen
und Endlichen zusammen besässe, so müsste man zeigen können, dass ein
Wesen durch den Zusatz der endlichen Realität, die es schon enthält, so fern
es unendlich ist, noch vollkommner werden könne.
1. Es ist nicht genug, mit einigen Gott im
mathematischen
Sinne eine
unendliche
Grosse beizulegen.
Denn die Unendlichkeit dieser Grösse ist es
nur in Beziehung auf den endlichen Verstand. Der Unterschied der
mathematisch
und der metaphysisch unendlichen Grosse besteht nämlich darin,
dass die Grenzen der erstern
nicht durch den Begriff der Grösse
bestimmt werden
, da die Grenzen der
metaphysisch
unendlichen
Grösse
nicht bloss durch den Begriff
derselben
nicht bestimmt
werden, sondern
auch demselben
widersprechen
.
2. Daher kann das metaphysisch Unendliche durch den Zusatz einer metaphysisch
unendlichen und noch weniger einer endlichen Grösse nicht
grösser werden, weil es alle Realitäten des erstern schon wirklich, und
des letztern auf eine vorzügliche Art (per eminentiam) enthält.
3. Diejenigen irren also, welche behaupten, dass Gott nur mathematisch
unendlich sei. Das thun die,
[17]
welche überhaupt den Begriff der metaphysischen
Unendlichkeit für keinen wahren Begriff halten. Thom. Hobbes
Elem. de Cive C. 15. §. 14. Man hat einigen Socinianern, dem Faust
Socin, Joh. Crell und Conrad Torstius diesen Irrthum Schuld gegeben.
Allein diese Beschuldigung scheint durch die Vieldeutigkeit des lateinischen
Wortes infinitus veranlasset worden zu sein, welches auch unbestimmbar
(ἀόριστς) bedeutet. Vorstius aber behauptete sehr richtig, dass das Wesen
Gottes
bestimmbar
sei (essentiam divinam esse finitam); wir erkennen
davon gewisse Bestimmungen, wodurch wir es von andern unterscheiden
können.
13
Nähere Bestimmung des Begriffs der Unendlichkeit.
Zur Unendlichkeit gehört also 1. der Inbegriff aller Vollkommenheiten
2. im schlechterdings höchsten Grade. Diese Unendlichkeit des Grades schliesst die
grösste Fruchtbarkeit
jeder Vollkommenheit des Unendlichen in sich. Es
kann also eine jede andere Vollkommenheit als eine Folge von einer jeden einzelnen
gedacht werden. So bald man also eine Realität im höchsten Grade annimmt,
muss man sie alle annehmen.
1. Es können daher aus jeder Eigenschaft Gottes alle übrigen hergeleitet
werden. Alsdann wird der Be-
[18]
griff derselben als das Erste in Gott angenommen.
Da nun das Wesen das Erste in einem Dinge ist: so kann in
Gott eine jede Eigenschaft als sein Wesen angesehen werden.
2. Eine jede Eigenschaft Gottes kann in einem Lehrgebäude der natürlichen
Theologie zum Grunde gelegt werden. Dieses ist mit verschiedenen von
verschiedenen Weltweisen geschehen.
1. Wolff legt den Begriff des nothwendigen Wesens zum Grunde
Theologia Naturalis P. I.
des vollkommensten Wesens
Ebend. P. II.
2.Sulzer
den Begriff des ewigen Wesens.
Entwickelung des Begriffs vom ewigen Wesen, in seinen vermischten
philosophischen Schriften. S. 377.
3. A. G. Baumgarten
den Begriff des vollkommensten Wesens.
4. I. Kant
den Begriff des nothwendigen Wesens.
Immanuel Kant Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonsstration
des Daseins Gottes. Königsberg. 1763. 8.
5. L. Krell die Selbständigkeit.
Die Unendlichkeit des Weltschöpfers aus der Einrichtung der Natur
und aus ontologischen Gründen erwiesen. Helmstedt. 1778. 8.
[19]
14
In Ansehung besonderer Realitäten.
Wir müssen auch untersuchen, ob wir noch einen reellen Begriff von dem
unendlichen Wesen behalten, wenn wir die Realitäten, die wir ihm beilegen,
uns unter bestimmten Notionen vorstellen. Dieses gilt sowohl von denen transscendentalen,
als von denen, die wir entweder aus dem Immateriellen oder Materiellen
abstrahirt haben. Man kann die Notionen, welche ihrer Allgemeinheit wegen
sind
transscendentale
genennet worden, dem höchsten Wesen
ohne Bedenken
beilegen. Dergleichen sind die Begriffe der Substanz, Kraft, Ursach,
Wirksamkeit, Unabhängigkeit. Wenn man diese Begriffe recht rein abstrahirt,
so kommen sie dem höchsten Wesen für sich und nicht bloss auf eine
vorzügliche Art (per eminentiam) zu.
1. Transscendentale oder ontologische Begriffe sind die gemeinsten und
gemeinern Begriffe, die also sowohl in dem Einfachen als dem Zusammengesetzten,
dem Notwendigen als dem Zufälligen enthalten sind. Sie
enthalten daher kein Merkmal, welches zu dem Unterschiede dieser Hauptgattungen
von Dingen gehöret.
2. Indem Wolff in seiner Ontologie nicht sogleich diese Begriffe in ihrer höchsten
Allgemeinheit erklärt
[20]
hat, ist er genöthigt, sie in der natürlichen
Theologie dem vollkommensten Wesen auf eine vorzügliche Art (per
eminentiam) beizulegen.
15
Reine Absonderung ihrer Begriffe.
Um aber den Begriff rein zu machen, müssen wir von demselben alles
trennen, was ihm von der sinnlichen Vorstellung oder dem Bilde der Phantasie
anklebt. Die sinnliche Abstraction giebt schon zu erkennen, dass in dem Begriffe
etwas Positives sei, weil sie zunächst von einer positiven Empfindung
genommen ist. Dasjenige also, was alsdann übrig bleibt, wenn das Sinnliche
davon getrennet ist, muss nothwendig Realität oder Etwas sein.
1. Auch hier kann, wie bei andern Begriffen (13. Anmerk. 2.) in der Ontologie
der natürlichen Theologie vorgearbeitet werden, wenn in der erstern
Wissenschaft die in der letztern nöthigen Begriffe gleich so übersinnlich
oder transscendental erklärt werden, dass man sie in der natürlichen
Theologie gleich unmittelbar gebrauchen kann.
2. So haben einige, als Wolff, den Begriff der Kraft durch das Bestreben
zu handeln erkläret. Das Merkmal des Bestrebens in dieser Erklärung ist
aus der Absonderung von der innern Empfindung
[21]
der Aeusserung unserer
endlichen Kraft zurückgeblieben. Wenn also die Erklärung der Kraft
angenommen würde, so könnte man dem höchsten Wesen nur auf eine
vorzügliche Weise Kraft beilegen.
3. Allein schon Leibniz hat eine allgemeinere und folglich reinere Erklärung
gegeben: Kraft ist der Grund der Wirklichkeit.
16
Bestimmungen des Einfachen.
Bei der Untersuchung über die bestimmtern Notionen müssen wir bis zu den
Begriffen der
materiellen
und immateriellen Gegenstände heruntergehen. Da
können wir gleich bemerken, dass die Bestimmungen des erstern in dem Begriffe
von
Gott nicht können gebraucht
werden. Denn alle Beschaffenheiten, die
einem zusammengesetzten Dinge, als einem solchen, zukommen, widersprechen dem
Unendlichen gerade deswegen, weil sie in dem Zusammengesetzten sind, und also
unter mehrere vertheilt, nicht in Einem ganz sind. Denn zu dem Begriffe der
höchsten Vollkommenheit wird nothwendig erfordert, dass das Eine alles habe.
[22]
1. Vermöge des Begriffs können also dem unendlichen Wesen (12.) keine Merkmale
eines zusammengesetzten Dinges zukommen, die zu seinem Nebeneinandersein
und Aufeinanderfolgen gehören. Es kann also keinen Ort
erfüllen, denn das hiesse mit dem Ganzen oder einem Theile des eingebildeten
Raumes zugleich sein, es kann keine Ausdehnung und Bewegung
in demselben gedacht werden.
2.Diejenigen, die dem unendlichen Wesen Ausdehnung beigelegt haben, sind,
ausser einigen Kirchenvätern, die sich zu sinnlich von Gott ausgedruckt,
a. die gröbern Materialisten, die die Möglichkeit aller einfachen Substanzen
leugnen.
Thom. Hobbes de Homine cap. 12.
Append, ad Leviath. cap. I.
die feinern
Job. Andr. Rüdiger Phys. div. L. I. c. 8. Sect. 4.
b. Die theoretischen Mystiker.
Joh. Pordage Göttliche und wahre Metaphysica, aus dem Engl. ins
Deutsche übers, von Metternich. 1715.
17
Räumlichkeit.
Man kann hieraus beurtheilen, ob man von Gott sagen könne, er sei unendlich
ausge-
[23]
dehnt, in dem unendlichen Raume, der unendliche Raum
sei eine Eigenschaft Gottes, oder gar Gott selbst. Soll bloss dadurch die Unendlichkeit
seiner Wirklichkeit, oder sein uneingeschränkter Wirkungskreis angedeutet
werden, dass man sagt: Gott fülle den unendlichen Raum aus: so ist
in diesem allgemeinsten Begriffe nichts mehr, das der Unendlichkeit Gottes
widerspricht, allein er enthält auch nichts mehr von dem, was man sich unter
Raum denkt.
1. Einige haben den unendlichen Ort oder Raum selbst Gott genannt,
a. einige theoretische Mystiker, deren Begriffe unter den Juden in der
Folge von den Kabbalisten sind fortgepflanzt worden.
Philo de Profugis.
Henr. Morus Enchiridion metaphysicum. Opp. 1679. Londini fol.
Io. Raphson Demonstratio de Deo.
b. einige mathematische Naturforscher, die die mathematischen Begriffe
in die Metaphysik übergetragen haben:
David Derodon
Cours de Philosophie, Oranges. 1659. 4.
[24]
2. Andere haben den unendlichen Raum für eine Eigenschaft oder Attribut
Gottes, insonderheit das Sensorium desselben gehalten. — Allein da in
dem unendlichen Wesen keine Bestimmung kann gedacht werden, die dem
Begriffe der metaphysischen Unendlichkeit (12.) widerspricht, die Ausdehnung
und Räumlichkeit aber zu diesen Bestimmungen gehört (15.),
so kann sie Gott nicht zukommen, sie kann also keine Eigenschaft Gottes
sein.
Is. Newtoni
Optice, lat. reddidit
Sam. Clarke.
1740. 4. Ed. novissima.
L. III. Qu. 28. S. 298.
Samuel Clarke
in dem Recueil de diverses pièces sur la Philosophie, la
Religion naturelle, l' Histoire, les Mathèmatiques &c. pr. Mrs.
Leibniz,
Clarke, Newton &c. à Lausanne 1759. 2. Voll. Premiere Replique.
Diese Vorstellung von dem unendlichen Wesen kann durch die Absonderung
des Unvollkommnen nicht verbessert und so der Ausdruck gerettet
werden. Denn da das Wesen des Raums in dem Nebeneinandersein
bestehet, so kann es von dem Begriff des Raums nicht getrennt
werden (15. Anmerk. 1.). Solche Merkmale aber können in dem unendlichen
Wesen gar nicht gedacht werden, deren Begriff durch die Absonderung
des Unvollkommnen, das sie enthalten, ganz aufgehoben
wird (10.).
[25]
18
Bestimmungen des Geistes.
Die Eigenschaften eines Geistes hingegen sind so beschaffen, dass sie
Gott können beigelegt werden, doch so, dass alles Unvollkommne von denselben
durch die Absonderung getrennt werde. Daher können wir Gott diejenigen
Eigenschaften eines Geistes, deren Begriff aufgehoben wird, so bald wir ihn von
dem Unvollkommnen trennen wollen, gar nicht (10.); andere aber, bei denen
noch nach der Trennung etwas Vollkommnes übrig bleibt, nur in Ansehung
dieses Vollkommnen, beilegen. Auch müssen wir uns hüten, Gott nichts beizulegen,
was nur aus dem sinnlichen Bilde folgt, das unseren Begriffen nach der
Absonderung noch anzukleben pflegt.
1. Zu der erstern Art gehören das Vergessen, die Reue u. s. w. Der Irrthum,
wodurch dergleichen Merkmale in dem Begriff von Gott gebracht
werden, kann nur aus der Vergesellschaftung der Ideen der äussern Handlung
mit dem Urtheile der Seele, worin sie der Mensch bei sich gegründet
findet, und der Uebertragung dieser Vergesellschaftung auf Gott entstehen.
2. Zu der andern Art gehören die Vorstellungen des göttlichen Verstandes,
die in Gott völlig deutlich, in dem Menschen aber sinnlich sind. Sie
können
[26]
also in Gott gedacht werden, wenn man das Sinnliche davon absondert.
Wenn das nicht geschieht, bringen sie etwas Irriges in den Begriff
von Gott.
3. Aus beiden Arten der Irrthümer entstehen grobe Begriffe von Gott, die
bei denen unvermeidlich sind, deren Sprache noch wenig Ausdrücke für
abgesonderte Begriffe enthält, und die sich auch noch wenig abgesonderte
Begriffe denken können. Es hindert aber nicht, dass der geübtere Verstand
diese gröbern Ausdrücke in reinerer Bedeutung nehme. Diese Bemerkung
muss man nicht vergessen, wenn man über die Sprache der h.
Schrift so denken will, als es mit der Billigkeit und der grössten Vollkommenheit
der Religion bestehen kann. — Man hat das ehemals durch
den alten Kanon ausgedruckt: Was von Gott menschlich gesagt wird, muszlig;
Gott anständig verstanden werden.
19
Drei Arten der Bestimmungen in Gott.
Was wir also Gott beilegen, das legen wir ihm 1) durch Verneinung (via
negationis), 2) durch Erhebung, auf eine vorzügliche Art, oder in unendlich
ausnehmender Bedeutung (via eminentiae), 3) durch den Weg der Causalität
(via causalitatis) bei. Auf dem letztern Wege schliesse ich, weil zu der Hervorbringung
gewisser Wirkung gewisse Eigen-
[27]
schaften in der Ursach gehören:
so müssen ihr diese Eigenschaften zukommen. Dieser Weg giebt unserer Erkenntniss
von Gott ihr Positives, indem wir die anschauende Idee z. E. bei der
Weisheit,
auf die wir von seinen Werken schliessen
, von diesen
Eigenschaften aus uns selbst hernehmen
, und sie Gott mit Absonderung
der Schranken und des Unvollkommnen beilegen.
1. Da wir die anschauenden Begriffe von den Vollkommenheiten Gottes durch die
innere Empfindung von den Verrichtungen unserer Seele erhalten, und sie in
derselben als endliche Vollkommenheiten enthalten sind: so müssen wir die
Merkmale, die zu der
Endlichkeit gehören, davon absondern
.
Sind nun diese Begriffe solche, worin die Verneinungen herrschen, oder von
denen wir das Unvollkommne nicht absondern können, ohne sie selbst aufzuheben:
so müssen wir sie von Gott verneinen (10,). Sind hingegen die
Bejahungen
darin herrschend
, oder kann
das Unvollkommne davon
abgesondert werden, ohne dass die Begriffe selbst aufgehoben würden,
so können wir sie von Gott, aber auf eine vorzügliche Art, bejahen.
2. Dieses letztere kann bei den unsinnlichen Begriffen sehr erleichtert werden,
wenn die ontologisehen und psychologischen Begriffe gleich in ihren
Wissenschaften allgemein genug abgezogen und also rein genug erklärt
werden (14. Anmerk. 1.).
20
Beweise der äussern Realität oder der Wirklichkeit Gottes.
Die Beweise der äussern Realität Gottes können entweder aus dem Begriff
des metaphysisch unendlichen Wesens hergenommen werden, oder aus der
Zufälligkeit der Welt. Die erstern sind die Beweise a priori; die andern a posteriori
Der Beweis aus dem Begriffe des metaphysisch Unendlichen ist bereits
von einigen scholastischen Weltweisen und Gottesgelehrten versucht, von
Cartesius wieder erneuert, und von Leibniz vollständiger gemacht worden.
Man muss daher sorgen, dass man ihn richtig vortrage.
1. Unter den erstem vom Anselmus von Kanterbury (6. Anmerk.).
2. Die Ursach, warum Des Cartes diesen Beweis wieder hervorsuchte, war,
weil er einen Fortgang ins Unendliche (progressus in infinitum) oder
eine unendliche Reihe von lauter Wirkungen für möglich hielt.
Renati Des Cartes
Epistolae, Amstelodami, 1682. 4. P. I. Ep. 115. S. 369.
3. Die Erinnerungen, die man gegen diesen Beweis gemacht, betreffen theils
bloss die Art, wie ihn An-
[29]
selmus und Des Cartes vorgetragen, theils
den Beweis selbst.
a. Man hat nämlich in dem Vortrage desselben den vorläufigen Beweis
von der Möglichkeit eines vollkommensten oder unendlichen Wesens
vermisst. Denn da der Begriff desselben kein Erfahrungsbegriff ist,
so muss, wenn wir gewiss sein wollen, dass er kein irriger oder betrügerischer
Begriff (notio deceptrix) ist, seine Möglichkeit besonders
dargethan werden. Diesen Mangel hat bereits der H.Thomas bemerkt,
und nachdem Leibniz darauf aufmerksam gemacht, hat ihn
Wolff ergänzt.
Theol. nat. P. II. §. 9.
b. Man leugnet die Folge von der innern Wirklichkeit auf die äussere,
indem man behauptet, dass der Verstand etwas als wirklich mit Gewissheit
erkennen könne, was doch ausser demselben keine objective
Wirklichkeit habe.
Petr. Dan. Huetii Censura Phil. Cartes. Franc. & Lips. 1690. Cap.
IV. §. 5.
Sam. Werenfels
Indicium de Argum. Cartesiano pro Exsistentia Dei.
Sam. Werenfels
Vindiciae und Appendix Vindiciarum iudicii de
Argum. Cartes. In seinen Werken.
Dieser Streit ist mit vieler Lebhaftigkeit geführt von Sam. Werenfels,
Brillon, einem Doctor der Sorbonne, und Desmaizeaux an der
einen, und von Jacquelot an
[30]
der ändern Seite in der Histoire des
Ouvrages des savants und den Nouvelles de la République des Lettres
vom Jahr 1701-1703.
c. Man hat geleugnet, dass die Wirklichkeit eine Vollkommenheit sei.
Petri Gassendi
metaphysica Disquisitio Anti-Cartesiana. Ultrajecti
1691. 8. In Meditat. V. Cartesii Dubitatio II.
21
Beweis selbst
Dieser Beweis wird so geführt: das allervollkommenste Wesen ist möglich,
daher ist es wirklich. Denn die Wirklichkeit ist eine Realität, und die nothwendige
ist die grösste Wirklichkeit. Also muss man ihm eine nothwendige
Wirklichkeit beilegen. Nach diesem Beweise kann sich der Verstand also das
vollkommenste Wesen nicht anders als wirklich vorstellen. Das nannte Cartesius
die Idee einer Sache aus sich selbst nehmen, und ihr das beilegen, was von ihr
klar und deutlich erkannt wird. In diesem Verstande konnte er sagen, dass
uns die Idee von Gott angeboren sei; denn der menschliche Verstand bildet
sich durch Absonderung und logische Zusammensetzung die Idee des
[31]
vollvoll
kommensten Wesens, und legt demselben die nothwendige Wirklichkeit bei;
weil er bemerkt, dass diese Idee in der Idee von jenem enthalten ist.
1. Wenn, wir, um uns den Begriff einer Realität zu erleichtern, ihn durch
sein Gegentheil zu bestimmen suchen: so muss, wenn der Schein dasjenige
ist, was wir durch verworrene Vorstellungen in einem Dinge wahrnehmen,
Realität das sein, was wir nicht bloss durch verworrene Vorstellungen in
ihm wahrnehmen, sondern was wirklich in demselben ist. Da nun unsere
Wirklichkeit kein blosser Schein ist: so muss sie eine Realität sein.
2. So ist also Des Cartes zu verstehen, wenn er sagt: der Begriff von der
Wirklichkeit Gottes sei ein angeborner. Nämlich weil wir den Begriff von
Gott nicht durch die äussern Sinne erhalten, sondern durch Aufmerksamkeit
auf die Verrichtungen unserer Seele verbunden mit der Absonderung
und Zusammensetzung des Verstandes, und aus diesem Begriffe die Wirklichkeit
Gottes folgt: so kann die Seele diese Wahrheit als eine ansehen,
die sie nicht durch die äussern Sinne erhalten hat, die ihr also angeboren
ist. Solche Wahrheiten und Begriffe nannte Des Cartes auch aus uns
selbst genommene Begriffe.
3. Wenn Des Cartes also von dem Begriff von Gott auf seine Wirklichkeit
schloss: so beruht die Richtigkeit dieser Folge darauf, dass in dem Begriffe
des vollkommensten Wesens das Merkmal der Wirklichkeit enthalten
ist. Die Instanzen von zufälligen Wesen, deren Wirklichkeit nicht in ihrem
Begriff enthalten ist, treffen ihn daher nicht.
[32]
22
Besonderer Beweis der nothwendigen Wirklichkeit des vollkommensten
Wesens.
Wenn wir also die Wirklichkeit des vollkommensten Wesens beweisen
wollen: so müssen wir beweisen, dass das vollkommenste Wesen auch das
nothwendige Wesen sei; alsdenn ist zugleich bewiesen, dass die Wirklichkeit
des vollkommensten Wesens eine nothwendige Wirklichkeit sei. Ein Ding aber
ist nothwendig wirklich, wenn der Grund seiner Wirklichkeit in dem Wesen
selbst enthalten ist. Die nothwendige Wirklichkeit ist also eine Realität, weil
sie mit dem Wesen als einer Realität zugleich möglich ist, da sie durch dasselbe
gesetzt wird, und die grösste, da alle Realitäten des vollkommensten Wesens
die grössten sind. Da nun das vollkommenste Wesen alle Vollkommenheiten
und zwar im höchsten Grade besitzen muss: so muss das vollkommenste
Wesen nothwendig wirklich sein.
1. Man kann dem Beweise der nothwendigen Wirklichkeit des vollkommensten
Wesens noch diese Wendung geben: wenn durch die Wirklichkeit in dem
möglichen Dinge nicht einige Realitäten gesetzt würden: so müssten lauter
Verneinungen durch sie in demselben gesetzt werden. Es bliebe also ein
Unding, dem die Wirklichkeit widerspräche. Durch
[33]
die Wirklichkeit des
vollkommensten Wesens werden also die grössten Realitäten gesetzt, deren
Inbegriff die grösste Wirklichkeit ausmacht. Diese ist darum die nothwendige,
weil sie in dem Wesen oder Begriff des vollkommensten Wesens
enthalten ist.
2. Der Beweis der objectiven Wirklichkeit des vollkommensten Wesens, auf
welche, nach einiger Urtheil,sich der Cartesianische Beweis nicht erstrecken
soll, kann also ergänzt werden. Der Beweis, worauf sich die Gewissheit
unserer selbst gründet, besteht aus einem anschauenden Urtheile
und einem Grundsatze, also muss alles mathematisch gewiss sein, was aus
solchen Vordersätzen folgt. Wenn also die objective Wirklichkeit Gottes
aus eben solchen Vordersätzen hergeleitet wird, woraus die objective Wirklichkeit
unserer selbst folgt, so muss sie eben so gewiss sein. — Ausser
den (20. Anmerk. 2.) und in I. Alb. Fabricii Del. Argum. Cap. X. angeführten
Schriften gehören hierher:
Argumenti, quo Cartesius eumque secuti Exsistentiam Dei
a priori
ex
Idea Entis perfectissimi probare conati sunt, modesta Disquisitio A.
Io. Levino
Goedenio,
V. D. M.
Dissertatio philosophica, in qua disquiritur, an ex Idea Entis necessario
exsistentis, quod Attributa antea probata possidet, ejus actualis Exsistentia
a priori
probari possit? quae ad solvendam quaestionem a
Legati Stolp. Cur. eo de argumento propositam conscripta est ab
Ane Dryfhoud.
.
[34]
23
Beweis a posteriori.
Bei dem Beweise des Daseins Gottes aus der Erfahrung (a posteriori) fängt
man von der zufälligen Wirklichkeit unserer Seele an, die man aus der Zufälligkeit
ihrer Bestimmungen sowohl, als aus dem Anfange ihres Daseyns abnehmen
kann. Man schliesst also, dass sie den Grund ihrer Wirklichkeit ausser
sich haben müsse, und zwar in einem nothwendigen Wesen; wofern man nicht
eine unendliche Reihe von zufälligen Ursachen (Progressum in infinitum rectilineum
a parte ante) annehmen will, welche unmöglich ist.
1. Die Erfahrung, die bei diesem Beweise zum Grunde liegt, ist: meine Seele
ist wirklich. Man könnte die Wirklichkeit der Welt überhaupt oder jedes
andern Theils derselben zum Grunde legen. Allein da wir von der Wirklichkeit
unserer Seele die grösste Gewissheit haben, sie auch nie, wie die
Wirklichkeit der Dinge ausser ihr, hat können in Zweifel gezogen werden:
so fängt man, um auch den Idealisten und Egoisten zu überzeugen, diesen
Beweis am besten mit dem Erfahrungssatze an, der hier ist zum Grunde
gelegt worden.
2. Dieser Beweis ist, wie der vorige (22. Anmerk. 2.) dadurch genauer untersucht
worden, da die Curatoren des Stolpischen Legats über denselben
im
[35]
Jahr 1758 eine Preisfrage bekannt gemacht. Er ist also, ausser den
allgemeinen zur natürlichen Theologie und zur Lehre von dem Dasein
Gottesgehörigen Schriften, auch in denen durch diese Aufgabe veranlassten
beurtheilt worden. Hierher gehören nur die Schriften der zwoten
und dritten Classe, deren vollständigeres Verzeichniss man findet in
I. Ge.
Walchii
Bibl. Theol. T. I. S. 705.
Zur zwoten Classe
Sam. Clarke (1. Anmerk. 2.)
Imm. Kant (13. Anmerk.)
M. Job. Ernst Gunnerus Beweis von der Wirklichkeit und Einigkeit
Gottes aus der Vernunft. Jena 1748. 8.
Bering (Prof. der Philosophie zu Marburg) Gründlicher Beweis für das
Dasein Gottes 1780. 8. Giessen.
Zur dritten Classe
Gottfried Arnold Maas, Johann Monnickhof, Abraham Perrenot,
Sam. Jordan Abhandlungen über die Frage, ob daraus, dass etwas
wirklich ist, die Wirklichkeit eines nothwendigen Wesens folge, in
den Dissert. Stolpianis vom Jahr 1759.
Adolph. Frid. Reinhard
Disquisitio philosophica, qua ex eo, quod aliquid
exsistit, demonstratur dari Ens perfectissimum, aeternum, a Mundo distinctum.
Hamb. 1761. — deutsch: von Ootthelf Hartmann Schramm.
1765. 8. Leipzig.
[36]
24
Beweis aus den Endursachen in der Welt.
Es gibt noch andere Beweise a posteriori, diejenigen nämlich, die aus den
Final- oder Endursachen hergenommen sind. Man schliesst alsdann: wenn die
Dinge in der Welt so neben einander sind und auf einander folgen, dass sie als
Mittel und Zwecke unter einander verbunden sind: so müssen sie von einem
verständigen Wesen so geordnet sein. Nun nimmt man an, dass diese Ververständigen Wesen so geordnet sein. Nun nimmt man an, dass diese Ver
bindung in der Welt wirklich sei, und urtheilt also, dass sie einen weisen Urheber
haben müsse.
1. Wie aus diesem Zusammenhange der Nutzen und Zwecke in dem Weltall
Ordnung und Vollkommenheit hervorgehe, lässt sich noch näher also
bestimmen. Indem durch den letzten Zweck des Weltalls, welcher also
der allgemeine ist, die besondern untergeordneten bestimmt werden, so
ist also dieser letzte Zweck der letzte Grund des Nebeneinanderseins und
Aufeinanderfolgens der grössern Theile des Weltalls, und durch diese
wird die Art erkannt, wie die kleinern Theile mit einander verbunden
werden.
2. So wie in einem Kunstwerke die Vollkommenheit durch den Zweck desselben
bestimmt wird, wonach
[37]
die grössern, so wie nach diesen wiederum
die kleinern Theile neben einander geordnet werden: so urtheilen wir auch,
dass Ordnung und Vollkommenheit in der Welt anzutreffen sei, wenn wir
allgemeine Gründe wahrnehmen, durch welche die besondern bestimmt
werden, wenn wir also allgemeinere und besonderere Gesetze und Regeln
darin einander untergeordnet finden.
25
Erfordernisse bei diesem Beweise.
Dass zufällige Dinge, die durchgängig in der besten Verbindung stehen,
ein weises Wesen voraussetzen, ist ausser Zweifel, da die Weisheit nichts anders
ist als die Einsicht in den Zusammenhang der Zwecke und Mittel. Allein hierbei
ist erst zu beweisen, 1) dass sich wirklich eine solche Ordnung und Verbindung
in der Welt finde, 2) dass diese Ordnung nicht von ohngefähr sei,
3) dass sie nicht nothwendig sei.
26
I. Ordnung und Vollkommenheit in der Welt.
Aus der Erfahrung lässt sich diese Ordnung und Vollkommenheit der Welt
nicht vollständig
[38]
erweisen. Denn da der endliche Verstand weder alle
Theile der Welt, noch alle Regeln der Vollkommenheit und ihre Unterordnung
vollkommen genau kennt: so muss ihm Verschiedenes in derselben unordentlich
und unvollkommen scheinen. Indess können wir von dem sichtbaren Zusammenhange
unter den Theilen der Welt auf den unsichtbaren, und von diesem
auf einen allgemeinen Grund des Nebeneinanderseins und Aufeinanderfolgens
der Theile und Veränderungen der Welt schliessen, aus dem sich die besondern
Gründe herleiten lassen, es muss also Ordnung und Vollkommenheit in der
Welt sein.
1. Diese Anmerkung ist darum nöthig, weil es für den endlichen Verstand
unvermeidlich ist, in einem unermesslichen Ganzen Unordnung und Verwirrung
wahrzunehmen, und zwar um desto mehr je grosser und zusammengesetzter
die Ordnung desselben ist.
2. Der Einwurf, der daraus gegen die Ordnung und Vollkommenheit der
Welt könnte gemacht werden, wird dadurch schon hinreichend geschwächt,
a. Wenn man die Quellen dieses Scheins von Unordnung angeben kann,
die, da sie bloss subjectivisch sind, keine richtige Folge auf die objectivische
Unordnung zulassen,
b. Wenn man durch den richtigen Schluss aus der sichtbaren Ordnung in
dem Ganzen die
[39]
unsichtbare Ordnung in den Theilen folgert, da
ohne die letztere die erstere eben so wenig statt haben kann, als etwas
ohne zureichenden Grund sein kann. Denn der Grund der Ordnung
in dem Ganzen muss in der Ordnung sein, die in den Theilen ist.
27
II. Die Ordnung in der Welt nicht von Ohngefähr.
Auch kann die Ordnung in der Welt nicht von Ohngefähr entstanden
sein. — Denn die Ordnung, die wir in den Zuständen der daurenden Theile
der Welt durch die Erfahrung wahrnehmen, muss in der Ordnung der vorhergehenden
gegründet sein, dergestalt, dass die Ordnung aller folgenden Zustände
in der Ordnung der vorhergehenden bis auf den ersten einen ausserweltlichen
Grund haben muss, wenn man nicht etwas ohne allen Grund annehmen, oder
in einem unendlichen Fortgange zurückgehen will.
1. Obgleich in unsern Zeiten die epikurische Gottesleugnung nicht mehr so
gemein ist, als ehemals, so findet man doch noch immer Beispiele davon,
und die Widerlegung derselben ist nicht ganz überflüssig.
Dav. Hume, (7. Anmerk. 2.)
[40]
2. Ehemals, als noch die allgemeinen Naturgesetze weniger bekannt waren,
musste es leichter sein, in diesen Irrthum zu verfallen. Jetzt aber hat
er auch sogar alle sinnliche Wahrscheinlichkeit verloren. Statt dessen hat
man, statt aus der Entdeckung mehrerer Naturgesetze bloss die bedingte
Nothwendigkeit der Naturbegebenheiten zu folgern, mit eben so vieler
Uebereilung, aus Mangel metaphysischer Grundsätze, ihre unbedingte gefolgert;
daher die fatalistische Gottesleugnung häufiger sein muss als die
epikurische.
28
III. Die Ordnung in der Welt ist zufällig.
Die Zufälligkeit des Uebereinstimmens lässt sich von dem menschlichen
Verstande leicht bemerken, wenn man gewahr wird, dass der Grund desselben
nicht in dem Wesen des Geordneten ist. Lässt es sich ferner bemerken, dass
dieser Grund in einem gewissen Nutzen ist, zu dessen Erreichung das Geordnete
zusammenstimmt, der sich also zu dem Geordneten als Zweck zum Mittel verhält,
so muss man die Anordnung einem verständigen Urheber zuschreiben, der sich
den Zweck vorgestellt hatte, zu dem er die zufällig Zusammenseienden mit einander
verbunden hat.
[41]
l.Es giebt viele Ordnungen, die nothwendig sind, dergleichen diejenigen sind,
die sich in den Zahlenreihen der Progressionen befinden, deren Gesetz
in einer allgemeinen Formel ausgedruckt werden kann. — Es ist also ein
Trugschluss dicti simpliciter, wenn man die Ordnung in der Welt ohne
besondern Beweis für eine zufällige Ordnung hält.
Christ. Wolffii
Comm. de methodo exsistentiam Dei ex Ordine naturae
demonstrandi. In den
Hor. subsec. Marburg
A. 1730. Trim. Ant. n. III.
2. Dass aber die Gesetze der Ordnung nicht aus dem Wesen des Geordneten
folgen, sieht man aus den Gesetzen der Bewegung. Denn
a. beharrt jeder Körper in Ruhe oder Bewegung so lange, bis er von
einer äussern Ursach genöthigt wird, seinen Zustand zu verändern.
b. Bei gleichem Gegeneinanderwirken erfolgt keine Bewegung.
c. Nach diesem Conflict erfolgt die Bewegung in der Richtung, worin,
und mit der Geschwindigkeit, womit der anstossende Körper in den
angestossenen wirkt.
3. Da also die Bewegungsgesetze nur eine bedingte Nothwendigkeit haben,
indem sie nur im Zusammenhange nothwendig sind, oder auf dem Satze
des hinreichenden Grundes beruhen: so müssen sie unbedingt zufällig sein.
Recherches métaphysiques sur les Loix du Mouvement (par M.
Reinhard)
.
Traduites
[42]
de l'Allemand par M.
Formey.
á Berlin chéz Pitra. 1764.
4. Da die Ordnung des Weltbaues auf dem Gesetze der Schwere beruhet, so
ist auch diese Art der Ordnung nur bedingt nothwendig, und also unbedingt
zufällig, wenn dieses Gesetz nicht unbedingt, nothwendig ist.
Einige (Leonhard Euler) haben es, wie alle Bewegungsgesetze, für unbedingt
nothwendig, andere (Bernoulli Comment. Petrop. Vol. I.) für zufällig
gehalten, indem die Function du von φ dt = du grösser oder kleiner
sein, das ist ein Körper in der ersten Secunde mehr oder weniger als 15
Fuss fallen könnte.
29
Beweis aus der zufälligen Natur der Körper.
Es giebt unzählige solche Anordnungen in der Welt, deren Zufälligkeit in
die Augen fällt. Diejenigen, die vermöge höherer Gesetze nothwendig sind,
sind doch nur bedingt nothwendig. Nämlich sie sind nothwendig, sofern sie in
diesen allgemeinen Gesetzen ihren Grund haben. Diese allgemeineren Gesetze
aber sind nichts anders als Folgen aus der Art, wie die ursprüngliche Kraft
der Körper eingeschränkt wird, und es fällt in die Augen, dass eine endliche
Kraft
[43]
auf mehr als einerlei Art kann eingeschränkt werden. Da aber aus
einer Einrichtung nothwendig eine andere folgt: so sind sie doch beide in Ansehung
der Wirklichkeit zufällig.
1. Wenn wir die Körper weiter in ihre letzten Gründe auflösen: so folgt die
Zufälligkeit der Ordnung in der Körperwelt aus der zufälligen Wirklichkeit,
Einschränkung der Kraft, und Zusammensetzung des Einfachen.
2. Aus dieser Zufälligkeit allein folgt die Wirklichkeit des nothwendigen
Wesens und diejenige Classe von göttlichen Vollkommenheiten, die sich
aus dem Begriffe des nothwendigen Wesens herleiten lassen, so wie aus
der Ordnung und Vollkommenheit diejenigen Vollkommenheiten erkannt
werden können, die Gott als dem vollkommensten Geiste zukommen.
30
Physikotheologie. Teleologie.
Diejenigen, welche den vielfältigen Nutzen der Zusammenordnung der natürlichen
Dinge entdecket haben, haben also zu der Erkenntniss Gottes aus der
Natur einen schätzbaren Beitrag geliefert. Die Wissenschaft, welche die Grundsätze
enthält, das Dasein und die Eigenschaften Gottes aus der Ordnung der Natur
zu erken-
[44]
nen, ist die Physikotheologie. Da die Nutzen, zu welchen Gott
die Theile der Welt zusammen geordnet hat, ihre Zwecke sind, und diese Zwecke
also die Ursachen dieser Zusammenordnung sind, so sind sie Finalursachen, die
Wissenschaft der Finalursachen ist die Teleologie. (Theologia experimentalis.)
1. Nur den letzten Zweck des Weltalls kennen wir a priori, die untergeordneten
Zwecke müssen wir aus der Erfahrung kennen lernen. Je mehr wir
aber von dieser, und je mehr wir von ihrem Zusammenhange mit jenem
lernen, desto mehr lernen wir die Ordnung und Vollkommenheit der Welt,
und also die Weisheit und Güte ihres Urhebers bewundern.
2. Die Wissenschaft der Physikotheologie ist längst bekannt gewesen, ihren
Namen aber hat sie erst seit Wilhelm Derham erhalten.
Ein Verzeichniss dahin gehöriger Schriften findet man in
I. A. Fabricii
Delect. Argumentorum
&
syllab. script, qui Veritatem relig. Christianae
asseruerunt, 1725. 4. Cap. VII.
Unter den Aeltern gehören hieher:
Sokrates in Xenophons Mem. Socrat. L. IV. cap. 3.
Galenus († n. C. G. 201.) de Usu partium in seinen Werken nach Conrad
Gesners Ausgabe 1562. Fol.
[45]
Theophilus Protospatharius
de Corporis humani fabrica. In I. A. Fabricius
Bibl. Gr. Vol. XII. S. 783.
Unter den Neuern folgende die allgemeine Physikotheologie enthaltende
Fénélon
Démonstration de l'Existence de Dien tirée de la Nature. 1712.
8. zum ersten Male.
The Folly and Irrationableness of Atheism by
Richard Bentley
1692. 4.
Acht Boylische Reden. — lat. Stultitia Atheismi 1698. 8. Berolini, übersetzt
von
Ernst Daniel Iablonsky, —
deutsch: von Cristoph Matthias
Seidel 1715. 8. — Im Auszuge der Boylischen Reden abgekürzt Th. I.
Bernhard van Niewentyt
regt Gebruyk der Wereldbeschouwinge Amst.
1716. 4. Deutsch mit Anmerkungen von Joh. Andreas von Segner
1747. 4.
The Wisdom of God manifested in the Works of Creation by
Iohn Ray
London 1714. 8. — Deutsch übersetzt von Germ. Kaspar Kalvör
1717. 4.
Christian Wolff Von den Absichten der natürlichen Dinge 1723. Frankf.
und Leipzig 3. B.
Physicotheology or a Demonstration of the Being and Attributes of God
from the Works of Nature by
W. Derham.
London. 1714. 8. — Deutsch
von Joh. Alb. Fabricius 1732. 8. — Abgekürzt in G. Burnets Auszüge
der Boylischen Reden Th. IV.
[46]
Von der Güte und Weisheit Gottes in der Natur, von Heinrich Sander.
Carlsruhe 1778. 8.
Ueber Natur und Religion für die Liebhaber und Anbeter Gottes, von
von Heinrich Sander. I. und II. St. Leipzig 1779. 1780.
Ueber die Vorsehung (auch als fünfter Theil des Buchs: Nichts von
Ohngefähr), von ebendemselben. Leipzig 1780. 8.
Gott, seine Grösse, Weisheit und Güte aus der Natur. Leipzig 1780. 8.
31
Zwei Hauptclassen von Geschöpfen.
Ihre Beziehung auf einander.
Wenn wir die Absichten Gottes in der Welt entdecken wollen: so wollen
wir die Ursachen des Zusammenseins ihrer Theile, und der Gesetze ihrer Veränderungen
entdecken. Diese Ursachen sind entweder allgemeine oder besondere,
aus den erstern kann man die Einrichtung und die Gesetze des Ganzen,
aus den letztern die Einrichtung und die Gesetze der Theile erkennen. Das
Weltall enthält zwei Hauptclassen von Theilen, die lebendige Welt, und die
leblose.
[47]
Wenn wir einen Zusammenhang der Nutzen und der Zwecke in der Welt
wahrnehmen (30.), und wenn wir nicht allein einigen Theilen derselben
für sich Vollkommenheit beilegen, sondern auch einigen ihrer
Nützlichkeit wegen, so müssen wir zu bestimmen suchen, welchen die
unbedingte Güte und welchen die Güte der Nützlichkeit zukömmt.
32
Das Leblose gut, sofern es dem Lebendigen nützlich ist.
Die Vollkommenheit des Weltalls besteht in der Uebereinstimmung seines
Mannigfaltigen zu Einem. Ihre physische Vollkommenheit ist die Uebereinstimmung
seiner Beschaffenheiten, Kräfte, und Theile zu einem Zwecke. Ist
dieser Zweck in dem Dinge selbst: so hat es eine innere Vollkommenheit,
ist er in einem andern: so hat es nur eine äussere. Eine leblose Welt hat
keine innere Vollkommenheit. Die Vollkommenheit eines Körpers hängt davon
ab, dass sich seine Theile und ihre Zusammenfügung aus einem gewissen allgemeinen
Grunde erkennen lassen. Dieser ist in dem Nutzen und dem Zwecke
des Körpers enthalten, der ausser dem Körper sein muss, und wenn man hier endlich
auf einen hinreichenden Grund kommen will, in einem
[48]
Wesen, das kein
Körper ist. Also ist die Zusammensetzung der leblosen Welt für sich nichts
Vollkommnes, und hat nur ihre Güte und Vollkommenheit von ihrer Nützlichkeit
für die Lebendigen.
1. Der wichtige Satz, dass die Vollkommenheit der Körper aus ihren besondern
Nutzen und Zwecken müsse beurtheilt werden, ist bereits von
Wolff erwiesen worden. Nur dass diese Nutzen und Zwecke zuletzt in
dem Lebendigen seien, hat zuerst Reimarus ausführlich und bündig gewiesen.
2. Ehemals schränkte man den Nutzen der Körperwelt auf den Menschen ein.
Man erweiterte diesen Nutzen, indem man in allen grossen Weltkörpern
vernünftige Einwohner annahm. Es blieben aber noch Schwierigkeiten zurück,
welche zum Theile verschwanden, nachdem man den Gebrauch der
Lebendigen als den allgemeinen Nutzen der Körperwelt erkannte.
3. Der Mensch verliert hiebei nichts, indem der Nutzen der unvollkommnern
Classen der Lebendigen dem Nutzen der Vollkommnern untergeordnet ist.
Desto mehr Vollkommenheit kömmt durch diese Vervielfältigung der Nutzen
und ihrer Unterordnung in die Welt.
4. Verschiedene ehemals unbemerkte Nutzen und Unterordnung derselben hat
die neuere Naturlehre erkannt, und wir können hoffen, dass deren immer
mehr werden entdeckt werden.
[49]
33
Bestimmungsgrund der Vollkommenheit des Leblosen.
Wir legen aber der wirklichen leblosen Welt eine Vollkommenheit bei.
Der Bestimmungsgrund ihrer Vollkommenheit muss also ausser ihr sein. Er
kann aber nicht wiederum in etwas Leblosen, sondern er muss in etwas Lebendigen
sein. Die Absichten bei dem Dasein und der Einrichtung der leblosen
Welt ist also in dem Lebendigen; und wir müssen sagen, dass die Welt zum
Nutzen der Lebendigen da ist. In vielen Fällen können wir den Nutzen aus
der Erfahrung entdecken.
1. Wir können uns nicht besser davon überzeugen, als wenn wir die Vollkommenheit
der natürlichen Körper mit der Vollkommenheit der künstlichen
vergleichen. Das Auge kann um keiner andern Ursach willen vollkommen
sein, als warum das Fernrohr ein vollkommnes Werkzeug ist.
2. Diese Bemerkung kann selbst der Kunst zu einem Erfindungsmittel nützlicher
Werkzeuge werden, wenn sie untersucht, durch welche Zusammensetzung
die Natur denselben Zweck erreicht hat. Diesem heuristischen
Kunstgriffe haben wir die vortreffliche Erfindung der achromatischen Fernrohre
zu danken.
[50]
34
Grösse der Vollkommenheit.
Je mehr Lebendigen die leblose Welt nützlich ist, je grösser
und mannigfaltiger
dieser Nutzen, und je genauer der eine mit den ändern verbunden ist,
desto mehr Vollkommenheit hat sie. Also ist die leblose Welt am vollkommensten,
1. wenn sie der grössten Summe von Lebendigen nützlich ist, 2. wenn sie
auch für das Wohl vollkommnerer lebendiger Geschöpfe eingerichtet ist, 3. wenn
diese Nutzen in der vollkommensten Unterordnung unter einander stehen.
Dieses gilt sowohl von den Theilen als von dem Ganzen, und da wir sowohl
an den grössern Theilen immer mehr neue Nutzen, immer mehr Ausbreitung
und Unterordnung schon bekannter Nutzen entdecken, da wir
ferner in dem Kleinsten Lebendige entdecken, denen die leblose Schöpfung
nützlich ist: so muss bei der unermesslichen Ausdehnung und eben
so unermesslichen Theilbarkeit der Körperwelt durch den Gedanken, aller
Orten Genuss des Lebens zu finden, unser geselliges Vergnügen, als
auch unsere Bewunderung und Anbetung der unendlichen Güte Gottes
Nahrung finden.
[51]
35
Erhaltung und Fortsetzung des Lebens.
Bei dem Leben der Lebendigen kommt es 1) auf das Entstehen, und 2) die
Dauer desselbigen an. Das Leben entsteht mit dem organischen Körper, und
dauert so lange derselbe dauert. Die Dauer wird durch schickliche Nahrung
befördert, wodurch die abgehenden Theile wieder ersetzt werden. Der Zweck
der grössten Menge, und der grössten möglichen Dauer sowie der grössten
Verbindung unter derselben wird erreicht, wenn das eine durch das andere
entsteht und erhalten wird; wenn sie also durch Nahrung und Fortpflanzung
mit einander verbunden sind.
1. Diese drei Zwecke können nicht immer zugleich erhalten werden, indem
sie sich in vielen Fällen widersprechen; es muss also hier Ausnahmen von
den Regeln der Vollkommenheit geben. Wenn die Dauer des Lebens
länger sein soll, muss ihre Menge geringer sein, und wenn ihre Menge
grösser sein soll, muss ihre Dauer kürzer sein.
2. Durch diese Verbindung der Lebendigen vermittelst der Fortpflanzung
werden sonderlich bei einigen Vernünftigen, als z. B. bei den Menschen
wichtige
[52]
Zwecke erreicht, und da mit dieser Fortpflanzungsart die Zerstörung
ihres organischen Körpers in genauer Verbindung stehet, so wird
diese Zerstörung ein Mittel zu grossen Gütern, und ist also, zumal in dem
System der Fortdauer der Seele nach dem Tode, kein Einwurf gegen die
Güte Gottes.
J. J. Engel Von der Bestimmung zum Tode in dem Philosophen für
die Welt. I. Th. Leipzig 1775. 8.
36
Classen der Lebendigen.
Da die Materie unendlich mannigfaltiger Zusammensetzungen fähig ist
so giebt es auch mannigfaltige Arten von Lebendigen und von Nahrungsmitteln.
Die ersten können wir unter die Hauptclassen 1) der vernünftigen, 2) der unvernünftigen
Geschöpfe bringen. Die Thiere lassen sich in die 6 Hauptclassen,
1) der Säugenden, 2) der Vögel, 3) der Amphibien, 4) der Fische, 5) der Insecten,
und 6) der Gewürme theilen. Diese 6 Hauptclassen begreifen eine grosse
Menge von Gattungen und Arten, die uns noch nicht alle bekannt sind.
[53]
37
Bestimmung des Körperbaues dieser Classen.
Die Thiere sind in Ansehung ihres Körperbaues theils einander ähnlich,
theils unähnlich, und eben darum können sie in verschiedene Abtheilungen gebracht
werden. Der Körperbau der verschiedenen Arten stimmt überein, 1) mit
ihrer Nahrung, 2) mit dem Elemente, das sie umgiebt, 3) mit der ihrer Art bestimmten
Lebensdauer. Da nicht jede Theile der leblosen Welt für einerlei
Thiere eine schickliche Nahrung sein konnten, so mussten für verschiedene Arten
von Nahrung auch verschiedene Arten von Thieren sein. — Da aber überhaupt
die Menge gewisser Arten von Nahrung eingeschränkt ist: so musste auch die
Menge sowohl der einzelnen Thiere, als auch der Arten, die einerlei Nahrung
gemessen, eingeschränkt sein. Auch musste eine Art durch die andere eingeschränkt
werden.
38
Drei Hauptarten von Harmonie des Leblosen mit dem Lebendigen.
Die leblose Schöpfung verhält sich also als Mittel zum Wohl der Lebendigen,
1) überhaupt,
[54]
2) nach ihren verschiedenen Arten. Die Materie dient
auf dreierlei Art dem Lebendigen, 1) zum organischen Körper, 2) zum Element,
3) zur Nahrung. Es findet hiebei wieder eine dreifache Art von Harmonie statt,
1) der Einrichtung des Körpers mit den Trieben und dem Willen des Lebendigen,
2) der Einrichtung des Körpers mit dem Elemente und der Nahrung,
3) der Triebe mit dem Elemente und der Nahrung. Hieraus entspringt
die Aehnlichkeit und unendliche Mannigfaltigkeit in der Welt der Lebendigen.
Die Aehnlichkeit führt uns auf die Einheit des letzten Zwecks, und die
Mannigfaltigkeit auf die Menge der Mittel.
1. Der Fleiss und der Scharfsinn der Naturbeschreiber hat das Feld der Physikotheologie
so sehr erweitert, und fährt noch immer fort es zu erweitern,
dass es immer mehr unübersehbar wird. Gleichwohl hängt von der Uebersicht
desselben die vollständige Erkenntniss und das lebhafte Gefühl der
Harmonie zwischen der lebendigen und leblosen Schöpfung ab.
2. Um sich also diese Uebersicht zu erleichtern, wird es nicht unnütz sein,
die besondern Uebereinstimmungen zwischen dem Lebendigen und Leblosen
zu classificiren, wodurch ihre Menge und Unterordnung leichter gefasst
und behalten, sowie die Er-
[55]
weiterung ihrer Erkenntniss durch neuere
Entdeckung vermittelst einer leichten Einschaltung unter ihre Hauptarten
befördert werden.
3. Hiezu kann folgender Versuch dienen: Wir bemerken bei den Thieren eine
genaue Uebereinstimmung ihrer Triebe, Organisation, Nahrung und ihres
Elements unter einander und zu dem Zwecke der Erhaltung ihres Lebens.
— Es stimmen nämlich überein
a. Organisation und Triebe
α. Empfindungswerkzeuge
β. Bewegungswerkzeuge, und diese sowohl unter einander als mit den
Trieben.
b. Organisation mit Nahrung und Element
α. Bewegungswerkzeuge
aa. mit der Nahrung
bb. mit dem Element.
β. Empfindungswerkzeuge mit beiden und den Bewegungswerkzeugen.
c. Triebe mit dem Elemente und der Nahrung
α. Begierde und Abscheu übereinstimmend mit der Heilsamkeit und
Schädlichkeit der Nahrung.
β. Uebereinstimmung der Empfindungswerkzeuge mit den Lebenswerkzeugen.
[56]
39
Besondere Physikotheologie.
Die Anzahl, die Gestalt und Lage der zum Leben, zur Bewegung und
zur Empfindung gehörigen Glieder stimmt überein, 1) mit ihren Trieben, 2) mit
ihrem Element, 3) mit ihrer Ernährungsart, 4) mit ihrer Fortpflanzungsart.
Daraus lässt sich also die Schicklichkeit in der Art und dem Grade ihrer Sinnen
und ihrer Feinheit und Schärfe sowohl, als auch die Schicklichkeit in der Art
und dem Grade ihrer Beweglichkeit erkennen. Die Wissenschaften, welche die
Grundsätze enthalten, das Dasein und die Eigenschaften Gottes aus den Finalursachen
der besondern Arten der Geschöpfe zu erkennen, sind die besondern
Physikotheologien.
1. Das vollständigste Verzeichniss der besondern Physikotheologien kann man
finden in
Io. Ge. Walchii
Bibl. Theol. sei. S. 694—704.
Joh. Alb. Fabricius Vorrede zur deutschen Uebersetzung von Wilh.
Derhams Astrotheologie.
2. Man kann sie eintheilen nach den Nutzen und Zwecken, die man wahrnimmt
[57]
a. bei den Elementen
Hydrotheologie oder Erkenntniss Gottes aus dem Wasser von Joh.
Alb. Fabricius. — französisch 1734. 1741. 8.
Brontotheologie oder Erkenntniss Gottes aus dem Donner von Ahlwardt.
1735. 8.
Pyrotheologie aus dem Feuer. Ein Entwurf von J. Alb. Fabricius
hinter seiner Hydrotheologie.
Lithotheologie von Friedr. Christian Lesser mit J. Albr. Fabricius
Vorrede 1735. 8.
b. bei der Einrichtung der grossen Weltkörper
Wilhelm Derhams Astrotheologie 1714. — deutsch: von Joh. Albr.
Fabricius 1745. 8.
c.bei den Thieren
A. Ueberhaupt
Allgemeine Betrachtungen über die Triebe der Thiere, hauptsächlich
über ihre Kunsttriebe zum Erkenntniss des Zusammenhangs der
Welt, des Schöpfers und unserer selbst vorgestellt von Hermann
Samuel Reimarus. Hamburg. 1760. 8. zwote Ausg. 1762. 8.
Herm. Sam. Reimarus Angefangene Betrachtungen über die besondern
Arten der Kunsttriebe aus seiner hinterlassenen Handschrift
herausgegeben, mit einigen Anmer-
[58]
kungen und einem
Anhange von der Natur der Pflanzenthiere begleitet von Joh. Alb.
Heinr. Reimarus. Hamburg 1773. 8.
Pilosophische Betrachtung über die thierische Schöpfung, aus dem
Englischen. Leipzig 1769. 8.
Der Habicht. Ein Gespräch über die Einführung der Raubthiere in
die Natur in J. J. Engels Philosophen für die Welt 2. Th. S. 24.
B. Insonderheit. Insecten.
Swammerdams
Biblia Naturae ed. Herrn.
Boerhave
1736. 4.
Lessers Insectotheologie. 1738. 8. — Franz, mit Anmerkungen von
P. Lionnet. 1742. 2. Th. 8.
P. Lionnet
Sur la Chenille à Saule. 1762. 4.
3. Man kann zu den letztern noch hinzufügen
Schirachs Melittotheologie, Rathlefs Akritotheologie, Lessers Petinotheologie
u. a.
4. Verschiedene dieser Schriften müssen schon durch die Erweiterung der
Naturlehre anjetzt wichtiger Verbesserungen fähig sein. Indess können sie
immer zum Leitfaden dienen, wie wir auch die vermehrten und verbesserten
Naturkenntnisse zur Verehrung Gottes gebrauchen können.
40
Nutzen dieser theologischen Betrachtungen der Natur.
Wenn diese Beweisart 1) nicht immer den höchsten Grad der Bündigkeit
hat, 2) nicht für alle, 3) oft ist unrecht angewendet worden: so hat sie doch
den unleugbaren Nutzen, 1) dass sie die fasslichste ist, 2) dass sie rührend ist,
3) dass sie mit Vergnügen verbunden ist, 4) dass sie zum religiosen Denken
und Empfinden gewöhnt.
So kann man wohl am besten die Physikotheologien gegen die Vorwürfe
retten, welche ihnen von denen sind gemacht worden, die sie ganz verworfen
haben, zumal wenn sie mit der gehörigen Vorsicht (28. Anmerk. 1.)
gebraucht werden.
Essai de Cosmologie par Mr. de Maupertuis. Leide. 1751. 8. Avantpropos.
41
Bestimmung derselben.
Was dieser Beweisart an deutlicher Strenge abgeht, das gewinnt sie 1) an
sinnlicher Evidenz, 2) und die Ueberzeugung, die durch den
[60]
einzelnen Theilen
derselben nicht gewürkt wird, entsteht aus dem grössern Inbegriff mehrerer Finalursachen.
Ihre Mängel werden durch die wachsende richtige Einsicht in die
Reihe der wirkenden Ursachen immer vermindert. Hieraus folgt, dass diese Beweisart
sich am besten für den öffentlichen Religionsunterricht, und die Bildung
der Kinder zu Religionsempfindungen schickt.
42
Beweis aus der Uebereinstimmung der Völker.
Der Beweis des Daseins Gottes aus der Uebereinstimmung der Völker hat
zu viele Schwierigkeiten, als dass man ihn mit Sicherheit gebrauchen könnte.
Denn 1) verwickelt er in die historischen Untersuchungen, die zu dem Beweise
des Untersatzes gehören, 2) wird auch der Obersatz angefochten, weil sich die
Erkenntniss Gottes bei vielen Völkern mit Irrthümern und Aberglauben vermischt
findet. Er kann nur nützlich sein, um auf die Uebereinstimmung der
Religion mit den Gesetzen der denkenden Kraft, und des Wachsthums der Religionserkenntniss
mit der Entwickelung des Verstandes aufmerk-
[61]
sam zu
machen, und in dieser Gestalt kann er im gemeinen Vortrage zur Hervorbringung
einer sinnlichen Ueberzeugung gebraucht werden.
1. Ueber die Bündigkeit dieses Beweises ist von je her gestritten worden. Da
Cicero in seinen philosophischen Werken Philosophen aus verschiedenen
Schulen mit einander streiten lässt, so findet man bald Stellen für diese
allgemeine Uebereinstimmung, bald wider dieselbe. Cic. de Nat. Deor.
L. I. c. 17. 23.
2. Unter den Neuern haben P. Bayle und J. Locke Versuch über den menschlichen
Verstand B. I. K. 4. am stärksten diese Allgemeinheit bestritten, beide
aus verschiedenen Bewegungsgründen.
II. Abschnitt.
Von den Irrthümern die der wahren Religion entgegenstehen.
43
Hauptirrthümer in der Religion.
Die Irrthümer in der Erkenntniss Gottes betreffen entweder sein Dasein oder
sein Wesen, und seine Eigenschaften. Der Irrthum, der in Ansehung des Daseins
Gottes möglich
[62]
ist, besteht darin, dass man dasselbe leugne, da es doch
bejahet werden muss; und dieser Irrthum heisst die Atheisterei oder Gottesleugnung.
Die Irrthümer in Ansehung der Eigenschaften Gottes können der
Aberglauben im weitern Verstande genannt werden. Der Irrthum in Ansehung
der Einheit (Unicitaet) Gottes ist die Vielgötterei(Polytheismus), in Ansehung
der übrigen Eigenschaften der Aberglauben im engern Verstande.
Die Vielgötterei gehört also zum Aberglauben im weitern Sinne, sofern
darunter jeder Irrthum verstanden wird, der nicht die Wirklichkeit Gottes
selbst, sondern die Art seiner Wirklichkeit betrifft.
1. Abtheilung.
Von der Atheisterei.
44
Möglichkeit und Wirklichkeit der Gottesleugnung.
Die Atheisterei ist der Irrthum derjenigen, die das Dasein Gottes leugnen.
Da der Irrthum eine falsche Erkenntniss ist, die uns wahr scheint, und es vermöge
der Endlichkeit
[63]
des menschlichen Verstandes möglich ist, dass eine falsche
Erkenntniss wahr scheine, so ist der Irrthum überhaupt, und also auch die
Atheisterei möglich und vermöge der Erfahrung bei einigen wirklich.
1. Diejenigen, welche die Möglichkeit und Wirklichkeit der Gottesleugnung
in Zweifel gezogen oder geleugnet haben, sind dazu durch ihre Achtung
gegen die Religion bewogen worden, indem sie geglaubt, eine Wahrheit
a. sei desto gewisser, wenn sie von jedermann erkannt werde,
b. die Wirklichkeit Gottes könne durch eine allgemeine Uebereinstimmung
bewiesen werden (42.),
c. diese Uebereinstimmung beruhe auf einem angebornen klaren Begriffe
oder einem allgemeinen Eindrucke von demselben.
2. Allein eine Wahrheit verliert dadurch nichts von ihrer Gewissheit, wenn
sie von einigen geleugnet wird, die noch nicht ihren Verstand bis zur Erkenntnis
der Gründe derselben verbessert haben. Der Begriff von Gott
aber bedarf, ungeachtet er uns angeboren ist, doch dieser Verbesserung
des Verstandes, wenn er klar und deutlich werden soll (42. Anmerk. 2.).
Historia Atheismi breviter delineata a
Jenkino Thomasio
— cum praef.
Christiani Gottl. Schwarzii
Altorfi Noricorum 1713. 8.
[64]
Io. Franc. Buddei
Theses de Atheismo et superstitione. Ienae 1716. 8.
Deutsch. 1717.
Io. Frid. Reimmanni
Historia universalis Atheismi et Atheorurn falso et
merito suspectorum. Hildesiae. 1725. 8.
45
Genauere Bestimmung des Begriffs der Gottesleugnung.
Da der Atheist das Dasein Gottes leugnet: so ist der kein Atheist, 1) der
das Dasein Gottes nicht weiss, 2) der bloss daran zweifelt. Wer von einer Sache
gar keine, oder wenigstens keine deutliche Vorstellung hat, der kann sie weder
bejahen, noch verneinen. Nun ist es möglich, dass ein Mensch von Gott gar
keine, wenigstens keine deutliche Vorstellung habe, es ist also möglich, dass
ein Mensch das Dasein Gottes bloss nicht wissen könne. Einen solchen nennen
einige einen negativen Atheisten, und denjenigen, der das Dasein Gottes leugnet,
einen positiven Atheisten.
1. Man pflegt zwar alle, die das Dasein Gottes nicht bejahen, unter die allgemeine
Benennung der Atheisten zusammenzufassen. Allein man kann
auch die Wirklichkeit eines Dinges nicht bejahen,
[65]
weil man von dem
Dinge selbst keinen Begriff hat.
2. Zu diesen negativen Atheisten müsste man dann rechnen Taub- und Stummgeborne,
unter den wilden Thieren erzogene Menschen, und Völker, die
noch immer in dem Zustande der äussersten Wildheit und Stupidität
leben (44. Anmerk. 2.).
3. Unter den Zweifelnden kann es einige geben, die nicht mehr Gründe finden,
die Wirklichkeit Gottes zu bejahen, als zu verneinen, diese könnte man
Indifferentisten nennen.
46
Allgemeine innere Quellen der Gottesleugnung.
Das Dasein Gottes wird bewiesen, 1) aus Betrachtung der Welt, die wegen
ihrer Zufälligkeit eines Urhebers bedarf, 2) aus der Betrachtung der menschlichen
Seele, deren Vollkommenheiten wir dem vollkommensten Wesen im höchsten
Grade beilegen. Nun ist es möglich, dass ein Mensch weder über die Welt
nachdenke, um ihre Zufälligkeit wahrzunehmen, noch über seine Seele, um aus
dem deutlichen Begriffe von Vollkommenheiten den Begriff des vollkommensten
Wesens zusammenzusetzen.
[66]
Diese allgemeinen innern Quellen können wieder besondere innere und
äussere Gründe haben. Zu den innern gehört ein sehr hoher Grad von
Stupidität, Lasterhaftigkeit, wenigstens Leichtsinn, seichte Kenntniss der
Natur, Eitelkeit, wodurch die Aufmerksamkeit mehr auf die Schwierigkeiten,
als auf die Gründe der Religion gelenkt wird. Zu den äussern
gehört eine rohe Lebensart, Verfeinerung und Schwelgerei des Zeitalters,
öffentliche Verdorbenheit der Sitten.
47
Des Zweifels.
Der Zweifel ist der Zustand der Seele, worin jemand seinen Beifall auf
eine Seite des Widerspruches bestimmen will, ohne zu wissen, auf welche er
ihn bestimmen müsse, auf die bejahende oder die verneinende. Die Ursach des
Zweifels ist also die Vorstellung der Unzulänglichkeit der Gründe auf beiden
Seiten des Widerspruches, sie mögen nun auf beiden Seiten gleich, oder auf
einer Seite stärker oder in grössrer Anzahl sein, woraus der Unterschied in
den Graden der Wahrscheinlichkeit entsteht.
In dem Zustande der Ungewissheit fehlen uns zureichende Wahrheitsgründe,
einen Satz für wahr oder für falsch zu halten. In genauerer Bedeutung
könnte man dann den Zustand des Zweifels nen-
[67]
nen, worin man
eben so viel Gründe für die Wahrheit eines Satzes als für seine Falschheit
erkennt.
48
Praktischer Gottesleugner.
Die Erkenntniss der Vollkommenheiten Gottes soll keine unfruchtbare Erkenntniss
sein, sie soll vielmehr einen moralischen Einfluss auf unsere Handlung
haben. Eine Erkenntniss hat einen moralischen Einfluss auf unsere Handlungen,
wenn sie zu Bewegungsgründen unserer Handlungen wird. Die Bewegungsgründe
seiner Handlungen aus den Vollkommenheiten Gottes hernehmen, heisst
Gott dienen. Ein Gottesfürchtiger nimmt die Bewegungsgründe seiner Handlung
aus der Religion. Ein Atheist kann sie aus dem Atheismus nehmen. Wer
aber zu seinen gewohnten Handlungen die Bewegungsgründe aus der Verneinung
des Daseins Gottes nimmt, ist ein praktischer Atheist, und sein Irrthum ist der
praktische Atheismus.
l. Da die Naturgesetze auch für den Gottesleugner verbindlich sind, so ist
es nicht nothwendig, dass ein theoretischer Gottesleugner seiner natürlichen
Verbindlichkeit entgegen handele.
[68]
2. Da aber die Religion die natürliche Verbindlichkeit ergänzt und verstärkt,
so kann ein theoretischer Gottesleugner um der Gottesleugnung willen
gewisse Naturgesetze nicht beobachten, alsdann wird er erst ein praktischer
Gottesleugner.
3. Man nimmt oft das Wort praktischer Gottesleugner in einem weitern Sinne,
und versteht darunter auch einen jeden, der zwar die Religion bekennt,
aber als ein praktischer Gottesleugner lebt.
49
Feinere Gottesleugnung.
Wer die Wirklichkeit Gottes erkennet, erkennet die Wirklichkeit des allervollkommensten
Wesens. Die Welt ist nicht das allervollkommenste Wesen
(12. Anmerk. 1. 2.); er erkennet also die Wirklichkeit eines von der Welt verschiedenen
Wesens. Wer also 1) die Welt selbst, oder 2) ihre Theile, oder
3) ihre Kräfte Gott nennt, ist ein Gottesleugner.
1.Diese Art der feinern Gottesleugnung ist so alt als die Philosophie; indem
es von jeher Weltweise gegeben hat, die entweder die Welt selbst,
oder irgend einen allgemeinen Theil derselben, als die Luft, das Feuer
u. s. w. oder irgend eine allgemeine Kraft, als die Bewegungskraft, Gott
genannt haben.
[69]
2. Zu der erstern Art, welche einige den Pantheismus genannt haben, gehört
unter den Neuern Benedict Spinoza,
B. d. S. Opera posthuma. 1677. 4. und zwar in der
Ethica
ordine geometrico
demonstrata in quinque partes distincta.
Deutsch: B. v. S. Sittenlehre widerleget von dem berühmten Weltweisen
unserer Zeit Herrn Christian Wolff. Aus dem Lateinischen
übersetzt. (von Joh. Lorenz Schmidt.) Frankfurt und Leipzig. 1744. 8.
Unter den Neuesten:
Système de la Nature par M. de
Mirabeau,
2. Voll. Londres 1770. 8.
3. Zu der dritten Art:
De l'Homme, de ses Facultès intellectuelles et de son Education. Ouvrage
posthume de M.
Helvètius
2. Vol. á Londres 1773. 8. "Celui-lá n'est
point Athèe, qui dit, le Mouvement est Dieu." T. I. p. 397.
50
Widerlegung der Gottesleugnung.
Wer die Wirklichkeit Gottes leugnet, muss entweder 1) die Möglichkeit eines
vollkommensten Wesens leugnen, oder 2) die Welt für das voll-
[70]
kommenste
Wesen halten. Nun aber ist 1) die Möglichkeit eines vollkommensten Wesens
(9—11.), 2) die Zufälligkeit der Welt (23.) bewiesen: also ist der theoretische
Atheismus ein Irrthum. — Da Gott der Urheber der Welt ist, der die Welt zu
seiner Verherrlichung hervorgebracht hat, da ferner ein verständiges Wesen Gott
verherrlicht, wenn es die Bewegungsgründe seiner Handlungen aus den Eigenschaften
Gottes hernimmt: so kann es die Bewegungsgründe seiner Handlungen
nicht aus dem Gegentheile hernehmen, und der praktische Atheismus ist ein
Irrthum.
1. Um sich insonderheit von der Falschheit des feinern Atheismus zu überzeugen,
muss man sich einen bestimmten Begriff von der Unendlichkeit
des allervollkommensten Wesens machen (12. Anmerk. 1.).
2. Ausser den ältern Widerlegungen der Gottesleugnung
Io. Alb. Fabricii
syll. Script. de Ver. Rel. Christ. Cap. XII.
insonderheit des B. Spinoza
Ebend. Cap. XIII. S. 357.
gehören hieher die neuesten Schriften, welche durch das Système de la
Nature (50. Anmerk. 2.) sind veranlasst worden.
Observations sur le Livre intitule Système de la Nature par M. I. de
Castillon,
à Berlin chéz Decker. 1771. 8.
[71]
Réflexions philosophiques sur le système de la Nature. Par M. Holland,
à Paris. 1772. 8. — Deutsch: Herrn Hollands philosophische Anmerkungen
über das System der Natur aus dem Franz. übersetzt von
J. L. Wetzel. Bern 1772. 2. Theile.
und durch David Hume (7. Anmerk. 2.)
Letters to a philosophical Unbeliever containing an Examination of the
principal Objections to the Doctrines of natural Religion, and especially
these contained in the Writings of
Mr. Hume.
By
Joseph Priestley.
London. 1780. 8.
51
Ursachen der Gottesleugnung.
Die Ursachen des Atheismus, können 1) in den Erkenntnissvermögen, 2) in
den Begehrungsvermögen sein. In dem erstem giebt es entweder 1) allgemeine
Ursachen, die der Atheismus mit allen Irrthümern gemein hat, oder 2) besondere.
Die besondern sind 1) entweder unvollständige Begriffe von Gott, dem
vollkommensten Wesen, Substanzialität und Vollkommenheit, oder 2) von der
Welt und ihren Theilen. Das Begehrungsvermögen hat auf die Erkenntniss der
Wahrheit, oder die Ueberzeugung
[72]
keinen unmittelbaren Einfluss, aber doch
einen mittelbaren (46. Anmerk.). Dieser findet statt bei einer Neigung, unsere
Aufmerksamkeit mehr auf die Zweifel gegen die Wirklichkeit Gottes, als auf die
Gründe für dieselbe zu lenken.
1. Die vorbereitenden Ursachen in dem Verstande sind also sowohl ontologische
als kosmologische Irrthümer.
2. Es kann daher kein rechtmässiges Vorurtheil gegen die Religion geben,
wenn Männer von ausgebreiteten Kenntnissen in andern Theilen der Gelehrsamkeit
sich nicht bis zur Erkenntniss der Wirklichkeit Gottes haben
erheben können. Denn die philosophische Erkenntniss Gottes hängt insonderheit
von richtigen ontologischen und kosmologischen Begriffen ab.
Wenn sie daher sich mit diesen Wissenschaften nicht beschäftiget haben,
so müssen die Irrthümer in denselben auch Irrthümer in der natürlichen
Theologie nach sich ziehen.
52
Aeussere Ursachen.
Da unsere wirkliche Erkenntniss auch äusserliche zufällige Ursachen hat,
so muss auch unsere wirkliche Erkenntniss Gottes dergleichen haben. Es ist
also möglich, dass sie durch die äussere Umstände nicht befördert, oder gar gehindert
wird.
[73]
Eben diese Umstände sind alsdenn die äusseren Ursachen des
Atheismus. Dahin gehört 1) der Mangel des fremden Unterrichts in der natürlichen
Theologie, 2) die Hinderung des eigenen Nachdenkens über dieselbe, 3) die sichtbare
Verderbniss der öffentlichen Religion durch Aberglauben, wodurch bei den
Ungeübten auch die wahren Sätze derselben verdächtig gemacht werden.
1. Zu den Quellen, die oben (46. Anmerk.) nur berührt sind, müssen diese
besonders noch hinzugefügt werden, weil sie noch näher die Mittel angeben,
wie die Gottesleugnung gehindert und die wahre Erkenntniss Gottes
befördert werden könne.
2. Die zweite Quelle erklärt uns insonderheit die befremdende Erscheinung
in der Geschichte, dass gerade zu der Zeit der Wiederherstellung der
Wissenschaften und bei den häufigsten öffentlichen Religionsanstalten doch
die meisten Gottesleugner aufstanden, und dass es deren jetzt noch in
denen Ländern am meisten giebt, wo über die öffentliche Religion am
strengesten gehalten wird. — In beiden Fällen kann es einige geben, die
ihren Verstand genug verbessert haben, um die Irrthümer und Missbräuche
der öffentlichen Religion zu erkennen, da ihnen aber die freie Untersuchung
versagt ist, so fehlt ihnen die Gelegenheit, die zur natürlichen Theologie
gehörigen Begriffe (51. Anmerk. 1. 2.) aufzuklären.
[74]
III. Abschnitt.
2. Abtheilung.
Von der Vielgötterei.
53
Eintheilung der Vollkommenheiten Gottes.
Zu der Erkenntniss Gottes gehört auch die Erkenntniss seiner Eigenschaften.
Dazu gehören 1) diejenigen, die ihm zukommen, so fern er das nothwendige
Wesen, 2) die so ihm zukommen, so fern er das vollkommenste Wesen
ist. Die erstern kann man die nichtmoralischen, die andern die moralischen
nennen. Man kann die Eigenschaften Gottes ferner eintheilen in diejenigen,
vermittelst deren er den nähern Grund von der Wirklichkeit der Welt enthält,
und die, vermöge deren er nicht den nähern Grund von der Wirklichkeit der
Welt enthält. Die letztern sind die unthätigen Eigenschaften Gottes (attributa
quiescentia), die erstem die thätigen (attributa operativa).
1. Diese Benennungen der göttlichen Vollkommenheiten, die nur Hülfsmittel und
Vorstellungsarten
[75]
für den eingeschränkten Verstand des Menschen sind,
beruhen auf den Hauptbegriffen von Gott (13.), woraus sie hergeleitet
werden. Da aber unter allen Vollkommenheiten Gottes der genaueste allgemeine
Zusammenhang ist, und also aus jeder derselben alle übrigen
können hergeleitet werden (13. Anmerk. 1.): so können diese Unterscheidungen
nur auf dem nähern oder fernern Zusammenhange beruhen, worin
in dem menschlichen Verstande die eine Art der göttlichen Vollkommenheit
mit dem angenommenen Hauptbegriffe des nothwendigen Wesens
steht.
2. Die Vollkommenheiten, die zunächst aus dem Begriffe des nothwendigen
Wesens fliessen: die Selbstständigkeit (Aseitas), die Unabhängigkeit,
die Ewigkeit, die Unveränderlichkeit, machen die erste Classe aus. Die
Unendlichkeit, Einheit, Einfachheit, Thätigkeit, Geistigkeit, Seeligkeit,
die andere.
3. Eine genauere Entwicklung dieser Begriffe ist gleichfalls durch eine Preisaufgabe
der Curatoren des Stolpischen Legats im Jahr 1762 veranlasst
worden.
Verhandelinge over de Eigenschappen de welke uyt het Bestaan van een
Noodzaakelyk Weezen noodzaakelyk voortvlooijen door
Frederik Witteveen.
Waarby Drie Verhandelingen waarvan de eerste door
Johan
Hendrik de Ruyter.
Leiden. 1764. 4.
4. Unter diesen Eigenschaften Gottes können nun diejenigen besonders unterschieden
werden, die zu seiner Kraft, und der Kraft eines Geistes gehören,
und aus seinen Werken näher können erkannt werden.
[76]
54
Beweise der Einheit Gottes.
Das erste Prädicat, das wir Gott beilegen müssen, wenn wir eine richtige
Erkenntniss von demselben haben, ist seine Einheit. Die Hauptbeweise der
Einheit Gottes beruhen 1) auf dem Begriffe der höchsten Vollkommenheit, welche
nicht mehrmal angenommen werden kann, 2) auf dem Zusammenhange im Reiche
der Wahrheiten, 3) auf der Einheit der Welt. Ausser dieser giebt es einige
schwächere, die höchstens als Nebenbeweise können gebraucht werden.
1. Das unendliche Wesen kann nicht mehr als einmal dasein. Denn wenn
deren zwei wären, so könnte das eine von dem andern durch nichts unterschieden
werden, — welches wider den Satz des Nichtzuunterscheidenden
sein würde, — oder das eine müsste eine Bestimmung enthalten, die dem
andern fehlte, welches dem Begriffe der Unendlichkeit entgegen wäre.
2. Wenn wir uns Gott als den vollkommensten Geist denken: so müssen wir
ihm die deutlichste Erkenntniss des Zusammenhangs der Wahrheiten beilegen.
Da nun alle Wahrheiten mit einander zusammenhangen: so muss
er, wofern er auch nur eine vollkommen deutlich erkennen soll, alle erkennen.
Folglich würde wiederum der unendliche Verstand nur einmal
können angenommen werden, weil ein
[77]
anderer durch keine Vorstellung
von dem ersten könnte unterschieden werden.
3. Schon nach dem Satze des zureichenden Grundes dürfen wir nicht mehr
als Ein unendliches Wesen annehmen, das die Ursach der Welt ist, weil
dasselbe hinreichend ist, von der Wirklichkeit der Welt Grund anzugeben. —
4. Aus der Beziehung Gottes auf die Welt kann der Beweis auch so geführt
werden: Wenn dem unendlichen Wesen die grösste innere und äussere
Möglichkeit zukommt, so muss es wegen der letztern der Grund der Wirklichkeit
aller zufälligen wirklichen Realitäten sein, also kann es nur Eines
sein.
Joh. Ernst Gunnerus (23. Anmerk. 2.).
Abhandlung von der Einigkeit des göttlichen Wesens mit einer Vorrede
vom H. Prof. Gottfr. Plouquet. Tübingen 1778. 8.
Versuch eines neuen strengen Beweises von der Einheit Gottes in Joh.
Gottl. Töllners kurzen vermischten Aufsätzen. 1767. 8. Erste Sammlung.
1766. N. III.
Arist, ein philosophisches Gespräch über die Einheit Gottes in Joh.
Andr. Cramers Beiträgen (9. Anmerk.). Zweiter Theil. N. I. S. 1.
Versuch eines metaphysischen Beweises von der Einheit Gottes.
Ebendaselbst. N. II. S. 68.
Die Einigkeit Gottes nach verschiedenen Gesichtspunkten geprüft und
sogar durch heidnische Zeugnisse erhärtet von Justus Christian
Hennings. Altenburg. 1779. 8.
[78]
55
Vielgötterei. Heidenthum.
Der Irrthum in der Erkenntniss Gottes, welcher seine Einheit betrifft, ist
die Vielgötterei. (Polytheismus.) Weil man diesen Irrthum ausser den Juden
in den öffentlichen Religionen der Völker der alten Welt, die man nach Luthers
Bibelübersetzung Heiden nennt, für allgemein hält: so wird er auch das Heidenthum
(Gentilismus) genannt. Da ausser den vielen Vorerkenntnissen, die zur
Erkenntniss der Wirklichkeit Gottes gehören, auch noch die Begriffe von Uebereinstimmung
und Verschiedenheit, und die Wahrheit des allgemeinen Zusammenhanges
in der Welt gehören, so ist dieser Irrthum schwerer zu vermeiden, als
der Atheismus.
1. Das Wort Heide ist, wie das Wort Barbar, und manche andere, ursprünglich
ein gleichgültiges Wort gewesen, und hat eben so viel als Volk bedeutet.
Es hat aber seit Luthers Bibelübersetzung, der damit die nichtEs hat aber seit Luthers Bibelübersetzung, der damit die nicht
jüdischen und nichtchristlichen Völker bezeichnet, eine böse Bedeutung bekommen,
weil nämlich alle den Juden und ersten Christen bekannten Völker
eine öffentliche polytheistische Religion hatten.
2. Wenn diese Bestimmung der Bedeutung des Worts dem biblischen und theologischen
Sprachgebrauche
[79]
gemäss ist, so ist die gegebene Erklärung
richtig. — Es ist befremdend, dass man in der Bestimmung des Wesens
des Heidenthums so viel Schwierigkeit gefunden, da man doch nur auf das
zu sehen brauchte, was die jüdische Religion von andern gleichzeitigen
den Juden bekannten öffentlichen Religionen unterschied. — Reusch erklärt
es Error in Cognitione de Deo. Am richtigsten ist Ribovs Erklärung
Error de Universitatis a pluribus Diis dependentia s. quoad exsistentiam,
s. quoad gubernationem.
56
Beschaffenheit des Heidenthums.
Bei dem Streite über die heidnische Religionen muss man 1) die öffentliche
Religion von den Meinungen einzelner Weltweisen unterscheiden, 2) die
erstere nicht zu vollkommen, aber auch nicht zu unvollkommen machen. Jenes
thun diejenigen, welche auch den öffentlichen Religionen der alten Völker eine
vollkommnere Erkenntniss eines Einzigen höchsten Gottes beilegen; dieses thun
die, welche sie ihnen, ja auch allen einzelnen aufgeklärtem Personen ganz absprechen.
Das Sicherste ist, wenn man 1) zugiebt, dass viele heidnische Völker
ausser meh-
[80]
reren Untergottheiten einen höchsten Gott erkannt, 2) dass sie
sich denselben materiell gedacht, 3) dass sie aber mit der Materialität seine
Einheit doch vereinigt haben. — So muss man auch die Wichtigkeit der Vielgötterei
richtig beurtheilen.
1. Selbst die ersten Kirchenväter stellen die öffentlichen Religionen der ältesten
heidnischen Völker in einem zu vortheilhaften Lichte vor, in der Absicht,
ihre Zeitgenossen desto leichter für die Lehren des Christenthums
zu gewinnen, — dahin gehören Justinus der Märt., Clemens von Alexandrien,
Athenagoras, — oder auch zu zeigen, dass der Begriff von einem
Einzigen Gott dem Menschen angeboren sei, zu welchen man den Tertullian,
Arnobius, Minutius Felix rechnen kann.
2. Unter den Neuern stellen sie zu günstig vor
Rad. Cudworth
Systema Intell. e vers. I. L. Moshemii, Lugd. Bat. 1776. 4.
H. Grotius
de Ver. Rel. Christ. L. I. c. I.
Herbert de Cherbury
de Rel. Gentilium cap. 13. 14.
zu unvollkommen
Sam. Parker
(1. Anmerk. 2.) und Bayle Cont. des
Pensées sur la Comète aus verschiedenen Bewegungsgründen.
[81]
IV.Abschnitt.
3. Abtheilung .
Von dem Aberglauben.
57
Erklärung und Arten des Aberglaubens.
Die Irrthümer, welche der richtigen Erkenntniss der göttlichen Eigenschaften
entgegen stehen, werden unter dem allgemeinen Namen des theoretischen Aberglaubens
begriffen. Mit unserer Erkenntniss der göttlichen Eigenschaften hängt
unser Dienst Gottes und unsere Beurtheilung der Wirkungsart Gottes in der
Welt zusammen; in Ansehung welcher daher verschiedene Irrthümer möglich
sind, die auf der irrigen Erkenntniss der göttlichen Eigenschaften beruhen. Die
Irrthümer, die den Dienst Gottes betreffen, sind der religiöse Aberglaube, welcher,
sofern er in unsere freien Handlungen einfliesst, den praktischen in sich begreift,
diejenigen aber, die seine Wirkungsart in der Welt betreffen, der physische
Aberglaube. — Da die Vielgötterei Irrthümer enthält, die der wahren
Erkenntniss von dem Wesen und den
[82]
Eigenschaften Gottes entgegen stehen,
so gehört sie zum Aberglauben.
1. Da es eine wahre Erkenntniss Gottes giebt (10. 11.): so kann nur derjenige,
der alle Erkenntniss Gottes für falsch hält, oder der Gottesleugner (43.)
alle Religion Aberglauben nennen, und also Religion und Aberglauben für
gleichbedeutend halten.
Lucret.
de Nat. rer. L. I. v. 64. zu welcher Verwirrung
der Begriffe die schlechte Beschaffenheit der öffentlichen Religion
viel beitragen kann, und, der Geschichte zu Folge, auch oft viel beigetragen
hat (51. Anmerk. 2.).
>
2. Der physische Aberglauben hängt mit dem Religionsaberglauben genau
zusammen: denn da der physische Aberglauben aus Unwissenheit der wahren
Wirkungsart Gottes in der Welt durch Zwischenursachen entsteht: so muss
er ausserweltliche Ursachen der Weltbegebenheiten annehmen, es seien
unmittelbare Einwirkungen Gottes selbst, oder endlicher aussernatürlicher
Wesen.
3. Der physische Aberglaube ist also sehr schädlich, indem er die wahren
Mittel der Glückseligkeit vernachlässigt, und zu falschen seine Zuflucht
nimmt, insonderheit zu solchen, die zum Religionsaberglauben gehören,
als zur Zauberei, Wahrsagen, Zeichendeuten.
Plutarchus περὶ
Δεισιδαιμονίας. Vol. VI. Opp. Ed. Reiskii. — deutsch: in den
Auserlesenen moralischen Werken von Plutarch im dritten Bande. Zürich.
1773. 8. — franz. in dem
[83]
Essai d'une Traduction nouvelle des Oeuvres morales de
Plutarque.
A
Berlin. 1767. 8.
Antonii van Dale
Dissertationes de Origine ac Progressu Idololatriae et
Superstitionum: de vera et falsa Prophetia uti et de Divinationibus
Idololatricis Judaeorum. Amstelodami. 1696. 4.
Joh. Franc. Buddeus (44. Anmerk, 2.).
58
Genauere Bestimmung des Begriffes.
Irrthum in Ansehung der sittlichen Vollkommenheiten Gottes.
Der allgemeine Grund des religiosen und physischen Aberglaubens sind
die Irrthümer, die der richtigen Erkenntniss der Eigenschaften Gottes entgegen
stehen. Da nun die Erkenntniss einiger Eigenschaften Gottes ein näherer Grund
unserer Handlungen und Urtheile über die Begebenheiten der Welt ist, die Erkenntniss
anderer aber ein entfernterer (53. Anmerk. L): so gehören Irrthümer, die
der richtigen Erkenntniss jener entgegen stehen, mehr zum Aberglauben, als die
der richtigen Erkenntniss dieser ent-
[84]
gegen stehen. Da ferner die moralischen
und thätigen Eigenschaften Gottes,nach unserer Erkenntnissart, die näheren
Gründe unserer Handlungen und der Wirkungen Gottes in der Welt sind (53.
Anmerk. 1.): so gehören auch die Irrthümer, die der richtigen Erkenntniss
der sittlichen Vollkommenheiten Gottes entgegen stehen, im eigentlichen
Verstande zum Aberglauben.
59
Der Weisheit, Güte und Gerechtigkeit Gottes.
Die Eigenschaften Gottes, die nach unserer Vorstellungsart die nähern
Gründe der Bestimmungen unsers Willens, und der Wirkungen Gottes in der
Welt sind, sind 1) die thätigen, also seine Allmacht, 2) die moralischen, also
diejenigen, die zu seinem vollkommensten Verstande, und zu seinem besten
Willen gehören, also seine höchste Weisheit, Güte, Gerechtigkeit und moralische
Unveränderlichkeit. Wer Gott keine Weisheit und Güte, oder nicht
die höchste beilegt, denkt sich in Gott bloss die Allmacht; denn er würde sich
sonst Gott gar nicht als eine Substanz gedenken, noch ihm
[85]
eine Kraft beilegen.
Er irret und sein Irrthum ist theoretischer Aberglauben.
1. Die Erkenntniss der Weisheit Gottes erfodert die Erkenntniss des Zu-
sammenhangs in der Welt, des Zusammenhanges der wirkenden Ursachen
und Wirkungen, der Mittel und Zwecke; also der Verknüpfung der Theile
der Welt durch beide Arten der Beziehungen auf einander, ihrer Wirkungen
aus ihrer Natur, also nach gewissen Regeln, also in einer gewissen
Ordnung.
2. Diese Erkenntniss setzt viele und mannigfaltige Einsichten voraus, und
darum ist es nicht zu verwundern, dass eine ungeübte Vernunft abergläubisch
ist. Indess kann einige Erkenntniss der Ordnung in der Welt auf
die natürliche Vermuthung einer allgemeinen Ordnung führen, indem wir
vor dem Trugschluss verwahrt werden, dass das, wovon wir die natürlichen
Gesetze nicht einsehen, nach keinen natürlichen Gesetzen erfolge, und uns
überzeugen, dass die Weisheit Gottes in den uns unbekannten und unbegreiflichen
Theilen der Welt nach eben den Regeln der Ordnung verfahren
werde, die wir in den bekannten und begreiflichen wahrnehmen,
so weit sie uns bekannt und begreiflich sind.
60
Der Aberglaube ist die unvollkommenste Erkenntniss Gottes.
Die Kraft, so fern sie hinreicht, etwas zu wirken, ist die Macht, und die,
welche hin-
[86]
reicht, alles mögliche zu wirken, ist die Allmacht. — Wer die Welt
und ihre Theile für Wirkungen hält, der muss glauben, dass sie durch eine Kraft
ausser der Welt hervorgebracht sei, dass es also eine ausserweltliche Substanz
gebe, die Macht besitzt. Um die Macht Gottes zu fühlen, ist es daher genug,
die Wirklichkeit der Wirkungen in der Welt zu erfahren, und ihre Zufälligkeit
verworren wahrzunehmen.
1. Da also derjenige, der nur die Macht Gottes erkennt, keine vollkommne
Erkenntniss von Gott hat, indem zu derselben die Erkenntniss auch seiner
ändern Vollkommenheiten gehört, so ist diese Erkenntniss Gottes eine unvollkommne,
und so fern es dem Begriff des vollkommensten Wesens widerspricht,
nicht alle Vollkommenheiten zu haben, eine falsche.
2. Die sehr fühlbaren Naturbegebenheiten, Donner, Sturmwind, überschwemmungen
werden leicht von der ungeübten Vernunft einem mächtigen Wesen
zugeschrieben werden. Da sie seltner sind, fühlt sie ihre Zufälligkeit
leicht, und erkennt also, dass sie müssen Wirkungen sein; da sie aber
ihre natürlichen Ursachen nicht kennt, wird sie dieselben für übernatürliche
Wirkungen, und zwar, wegen der Unwissenheit ihrer guten Abzweckung,
um derentwillen sie in den Zusammenhang der Dinge verflochten sind, für
die übernatürlichen Wirkungen eines entweder ganz oder zum Theil bösen
Wesens halten.
[87]
61
Widerlegung des physischen Aberglaubens.
Gott wirkt aber nach den Regeln der höchsten Weisheit. Da es nun
diesen Regeln gemäss ist, dass alles in der Welt so sehr verknüpft sei, als
möglich, so erfolgen die Begebenheiten in der Welt so sehr natürlich, als es
die Gesetze des Besten zulassen. Es lassen sich also die Begebenheiten in der
Welt natürlich erklären; die Begebenheiten in der Körperwelt aus dem Mechanismus
der Körper, die Begebenheiten in der Geisterwelt aus den Gesetzen der
Vorstellungskraft. Wer also die natürlichen Begebenheiten in der Welt aus der
unmittelbaren Einwirkung Gottes oder endlicher mächtiger insonderheit bösartiger
Geister erklärt, der ist abergläubisch, und irrt (57.).
1. Alle ungewöhnlichen und unerklärbaren Naturbegebenheiten werden daher
für unmittelbare Wirkungen Gottes gehalten. Daher sie an den grossen
Weltkörpern und den grössern Theilen der Erde zur Astrologie und Zeichendeuterei,
an den thierischen Körpern zu verschiedenen Arten der Wahrsagerei,
an dem menschlichen zu Vermuthungen von Hexerei Gelegenheit
gegeben haben.
[88]
2. Diese Erwartung unmittelbarer Einwirkung ist insonderheit schädlich bei
den Urtheilen des Verstandes und den Entschliessungen des Willens. Denn
es hat die Meinung von der unmittelbaren göttlichen Wirkung desjenigen,
was eine Ausschweifung der Einbildungskraft ist, eine nachtheilige Verderbung
des natürlichen Gewissens veranlassen und gar Bubenstücke hervorbringen
können.
62
Widerlegung des Religionsaberglaubens.
Vermöge seiner höchsten Güte ist Gott geneigt den Menschen in einem
hohem Grade vollkommner zu machen. Also ist die Furcht des Abergläubischen
eine Furcht ohne Liebe, und also eine knechtische. Er thut dieses 1) vermittelst
der Verpflichtung durch die Naturgesetze, 2) auch derjenigen, die zu der
Religion gehören. Er befiehlt uns also nichts, als wozu die Bewegungsgründe
in der Natur der Dinge sind; und keine Handlung ist ein Theil der Religion,
als sofern sie in einer richtigen Erkenntniss der göttlichen Vollkommenheiten,
also auch seiner Güte gegründet, und dem Naturgesetz gemäss ist. Folglich
gehört 3) eine jede Religionshandlung, die den Gesetzen der Natur nicht gemäss,
oder
[89]
gar zuwider ist, zu demreligiösen und praktischen Aberglauben.
1. Der hier bewiesene Satz ist für die nothwendige Bestimmung der Religion
zur Glückseligkeit des Menschen von der grössten Wichtigkeit.
2. Wenn der Satz unumstösslich gewiss ist: 1. das Naturgesetz macht den
Menschen glückselig, und 2. Gott ist höchstgütig, und kann ihn also
zu nichts verpflichten, was gegen seine Gluckseligkeit ist, so kann er ihn
auch durch keine übernatürlich geoffenbarte Religion zu etwas gegen das
Naturgesetz verpflichten, und so kann und muss jede übernatürlich geoffenbarte
Religion nach dem Naturgesetz geprüfet werden, und, was darin wahr
sein soll, muss mit demselben übereinstimmen.
63
Allgemeine Quellen des Aberglaubens.
Der physische Aberglauben entsteht aus der Unwissenheit der natürlichen
Ursachen der Weltbegebenheiten, und dem falschen Vordersatze: wovon ich die
natürlichen Ursachen nicht erkenne, das hat keine. — Da der Religionsaberglauben
auf irriger Erkenntniss von den göttlichen Eigenschaften beruhet, wovon
der Abergläubische also keine wahre Ueberzeugung haben
[90]
kann: so müssen
die Beweise, wodurch er sich von derselben überredet, fehlerhaft sein. Und
dieses sind sie, indem der Abergläubische dogmatische Wahrheiten wegen äusserer
Wahrheitsgründe für wahr hält. 1. Wenn er sie bloss auf das Ansehen anderer
annimmt. Dann kann Aberglauben aus fehlerhaftem Unterrichte entstehen.
2. Wenn er sie für innere Empfindungen hält, und als unmittelbare Erfahrungen
für wahr annimmt.
1. Der Religionsaberglaube entsteht, wie aller Irrthum, aus Unwissenheit der
richtigen Wahrheitsgründe. Den Aberglauben, der aus der ersten Quelle
entsteht, nennen einige Aberglauben in eigentlichster Bedeutung und
setzen ihn der Religionsschwärmerei entgegen.
2. Der Aberglaube entsteht aber bei denen aus der Schwärmerei, welche die
inneren Erfahrungen für Gründe dogmatischer Wahrheiten halten. Da
nun die innern Empfindungen sich, ausser ihrem Inhalt, nur durch den
Grad ihrer Lebhaftigkeit unterscheiden: so muss der Schwärmer den Vordersatz
voraussetzen: was ich mir sehr lebhaft als wahr vorstelle, das
ist wahr.
3. Die Religion kann daher nicht ohne den Gebrauch der Vernunft vollkommner
werden. Die Geschichte lehrt auch, dass in den Zeiten der Unwissenheit
Schwärmerei und Aberglauben in engster Bedeutung bald zugleich,
bald wechselsweise sind die
[91]
Quellen der falschen Religionen gewesen. Insonderheit
bestätigt sie, dass in diesen Zeiten alle Religionskriege entweder
ein Kampf des Aberglaubens (Anmerk. 1.) mit dem Aberglauben, oder der
Schwärmerei mit dem Aberglauben gewesen sind.
64
Gewalt des Aberglaubens und ihre Ursachen.
Der Aberglaube hat eine grosse Gewalt. Diese entsteht 1) daraus, dass
er überhaupt Irrthum ist, der nicht mit den entgegengesetzten wahren Sätzen
kann vertauscht werden, als bis der Verstand die Vordersätze dieser letztern einsieht;
2) daraus, dass er ein gewohnter Irrthum ist, wovon die Seele nicht auf
einmal kann befreiet werden; 3) dass er ein Religionsirrthum ist, der also
durch die starken Triebfedern unrichtiger Religionsempfindungen verstärkt wird.
1. Am Ende dieser Abtheilung kann noch die berühmte Streitigkeit über die
Schädlichkeit der Gottesleugnung und des Aberglaubens beurtheilt werden.
2. Plutarch (57. Anmerk. 3.) und Bayle haben aus Gründen, woraus die Frage
gar nicht entschieden
[92]
werden kann, den Aberglauben für schädlicher gehalten,
als die Gottesleugnung. Denn da Gott nicht selbst durch die Religionsirrthümer
der Menschen innerlich unvollkommner wird, sondern die
Menschen zu ihrer Vermeidung verbunden sind, weil sie selber dadurch
unvollkommner werden: so würden wir Gott zu menschlich beurtheilen,
wenn wir annehmen wollten, dass es ihm, wie Menschen, angenehmer sei,
gar nicht erkannt zu werden, als mit Unvollkommenheiten.
3. Wir müssen also annehmen,
a. dass beide schädlich sind, so fern sie Unwissenheit und Irrthum (44. 57.)
enthalten,
Τῆς περὶ θεῶ ἀμαθίας καὶ ἀγνοίας εὐθὺς ἐξ ἀρχῆς δίχα ῥυείσης, τὸ
μέν ὥσπερ ἐν χωρίοις τισὶ σκληροῖς καὶ ἀντιτύποις ἤθεσι τὴν ἀθεότητα
τὸ δέ, ὥσπερ ἐν ὑγροῖς καὶ ἁπαλοῖς τὴν δεισιδαιμονίαν ἐμπεποίηκεν. Plut.
de superst. init.
b. dass aber beide nicht schlechterdings nothwendig einen allgemeinen
gleichen Einfluss auf die Gesinnungen haben, und also ihre sittliche
Schädlichkeit zufällig kleiner oder grösser sein kann.
65
Wesen und Eigenschaften Gottes.
Das Wesen Gottes ist der Inbegriff aller zusammen möglichen Vollkommenheiten,
[93]
seine Eigenschaften (attributa) die Affectionen, die in dem Wesen
Gottes ihren hinreichenden Grund haben. Die Eigenschaften Gottes sind von
seinem Wesen nicht materialiter, sondern nur formaliter verschieden. Denn 1) sie
sind nicht davon verschieden als zufällige Beschaffenheiten von dem Wesen, oder
2) ein Wesen von dem ändern; sondern sie sind nur die Begriffe von den besondern
Bestimmungen, die zusammengenommen das Wesen Gottes ausmachen,
oder Vollkommenheiten, die aus demselben hergeleitet werden. Sie sind also
nur vom Wesen Gottes verschieden, sofern ihnen in dem menschlichen Verstande
verschiedene Begriffe zustimmen, die er wegen seiner Schranken besonders
betrachten muss.
1. Dieser Inbegriff kann durch jede höchste Vollkommenheit ausgedruckt
werden, die dann, sofern sie die höchste und unendlich ist, alle andere
in sich enthält. Diese, die als darin, wie Merkmale, enthalten gedacht
werden, werden als Eigenschaften Gottes betrachtet. Eine jede Eigenschaft
Gottes kann also auch als sein Wesen betrachtet werden (13. Anmerk. 2).
[94]
66
I. Art der Vollkommenheiten Gottes.
Zu den Eigenschaften, die Gott als dem nothwendigen und vollkommensten
Wesen zukommen (53. Anmerk. 2.), oder die aus dein Begriffe der
höchsten Vollkommenheit fliessen, gehören 1) die Einfachheit (simplicitas Dei),
2) die Unendlichkeit, 3) die Ewigkeit oder seine ganze Wirklichkeit ohne Anfang
und Ende, 4) die Unermesslichkeit, sofern seine Vollkommenheiten durch
keine endliche Vollkommenheiten können ausgemessen werden, 5) die Allgegenwart,
sofern er alles Wirkliche aufs genaueste kennt, und in alles reelle
Wirkliche wirkt.
1. Vermöge dieser Einfachheit müssen wir uns nicht nur in Gott eine solche
Unzertrennlichkeit der Bestimmungen denken, die alle eigentliche Zusammensetzung
ausschliesst, und die man die physische Einfachheit nennen
könnte, sondern auch diejenige, welche alle Bestimmungen verschiedener
Art ausschliesst, indem sie gar keine zufällige, sondern lauter schlechterdings
nothwendige annimmt, weil wegen der Unendlichkeit Gottes jede
seiner unendlichen Vollkommenheiten der hinreichende Grund aller übrigen
ist (13. Anmerk. 1), die metaphysische oder transscendentale.
2. So wird die Ewigkeit Gottes hinreichend von der ewigen Zeit der endlichen
und zufälligen Dinge
[95]
unterschieden. Die Ewigkeit Gottes ist
demnach 1. die grösste Dauer, d. i. die Fortsetzung der grössten Wirklichkeit
ohne Anfang und Ende. Die grösste Wirklichkeit ist aber die Wirklichkeit
des unendlichen Wesens, welches folglich in jedem Augenblicke
der Zeit alles ist, was es sein kann, 2. sie ist ohne Zeitfolge und Veränderung.
3. Die Dauer des Endlichen ohne Anfang und Ende ist also noch immer von
der Ewigkeit des unendlichen Wesens unterschieden; sie ist mathematisch
unendlich und von ihr gilt nicht die Folge auf die eigentliche metaphysische
Unendlichkeit. übrigens findet man die genaue Bestimmung der
Ewigkeit Gottes zuerst beim Boethius de Cons. phil., wo er sie erklärt:
est interminabilis vitae
tota simul
et
perfecta
possessio.
4. Dieser Begriff der Allgegenwart, der mit dem Sprachgebrauch genau übereinstimmt,
ist so rein, dass darin keine groben Nebenbegriffe von Räumlichkeit
(17.) enthalten sind.
67
II. Eigenschaften des vollkommensten Geistes.
Die Eigenschaften Gottes, die in der Geistigkeit Gottes gegründet sind,
gehören entweder zu seinem Verstande oder zu seinem Willen. Der göttliche
Verstand, sofern er unendlich ist,
[96]
ist, ungeachtet der Aehnlichkeit mit demselben,
doch von einem erschaffenen Verstande unendlich unterschieden. 1. Der
geschaffene Verstand denkt nicht immer wirklich, 2. erkennt nicht alles Mögliche,
weder dem Vermögen nach, noch wirklich, 3. nicht mit der möglichsten Deutlichkeit
und Tiefe, 4. erkennt alles nach und nach.
1. Wenn das Dasein Gottes bewiesen ist: so lässt sich sein vollkommenster
Verstand sowohl aus dem Begriff des vollkommensten Wesens überhaupt,
als auch aus der Hervorbringung der Welt darthun.
2. Die angeführten Verschiedenheiten des unendlichen und endlichen Verstandes
sind sowohl zu bemerken, um sich die Grosse des göttlichen Verstandes
anschauend, und so zu sagen fühlbar zu machen, indem wir uns
der mathematisch unendlichen Ausdehnung, Dauer und Unterscheidbarkeit
des Weltalls und seiner Theile und des Wenigen, was wir davon kennen,
bewusst sind, als auch nicht übereilt von dem göttlichen Verstande nach
dem unsrigen zu urtheilen (18. Anmerk. 2. 3.).
3. Dieses Gefühl von der Unendlichkeit des göttlichen Verstandes wird noch
lebhafter durch die Betrachtung der mathematisch unendlichen Zufälligkeit
der Welt, und der eben so unendlichen Menge bloss möglicher Verknüpfungen
endlicher Dinge.
[97]
68
Weitere Vergleichung desselben mit dem endlichen Verstande.
Gott hat daher 1) keine Empfindungen, 2) keine Einbildungen, 3) keine abstracte,
4) keine symbolische Erkenntniss, 5) er macht keine Vernunftschlüsse,
6) er hat keine Leidenschaften; ob er gleich unsere Empfindungen, Einbildungen,
Vernunftschlüsse, Leidenschaft en kennt. Da auch der unendliche Verstand Gottes
durch nichts kann eingeschränkt werden, so kann Gott nicht die Weltseele sein.
Denn die Seele wird in ihren Vorstellungen durch den Körper eingeschränkt.
1. Wenn also die menschliche Sprache dergleichen grobe Ausdrücke gebraucht,
wodurch von dem göttlichen Verstande auf eine solche Art geredet wird,
so müssen sie (18. Anmerk. 3.) in reinerer Bedeutung genommen werden.
2. Die Meinung derer, die Gott für die Weltseele halten, ist alt, und mit allen
ihren Besonderheiten noch vor kurzen von David Hume (7. Anmerk. 2.)
wieder erneuert worden. Es ist zu vermuthen, dass nicht alle, die sich
Gott so vorgestellt, an alle Punkte der Vergleichung mit einer menschlichen
Seele gedacht haben. Denn
[98]
a. die Selbständigkeit Gottes bringt es mit, dass kein anderes Wesen
in ihn wirken könne, wie der Körper in die Seele wirkt,
b. seine Unendlichkeit, dass er nicht durch etwas eingeschränkt werde,
oder dass seine Vorstellungen auf einander folgen, wie die Zustände
der Welt, so wie die Vorstellungen in der menschlichen Seele zu Folge
der Veränderungen ihres Körpers entwickelt werden,
c. sein vollkommenster Verstand, dass er sich nicht, wie die menschliche
Seele ihren Körper, die Welt zum Theil sinnlich vorstelle.
69
Allwissenheit.
Wer alles mögliche aufs deutlichste erkennet, ist allwissend; Gott ist also
allwissend. Die Allwissenheit Gottes wird nach den verschiedenen Gegenständen
der Erkenntniss benennt. Sie ist die Wissenschaft des Möglichen (scientia simplicis
intelligentiae), sofern alles unbedingt Mögliche, die Wissenschaft des
Wirklichen (scientia libera), sofern alles Wirkliche, also auch alles Künftige,
die mittlere Wissenschaft (scientia media), sofern
[99]
das Künftige unter einer
gewissen Bedingung ihr Gegenstand ist.
1. Ueber die mittlere Erkenntniss ist von der Zeit an, da sie ist vorgetragen
worden, in den theologischen Schulen aller drei christlichen Hauptpartheien
gestritten, insonderheit wegen ihres Einflusses auf die Lehre von den Rathschlüssen
Gottes. In öffentlichen Schriften hat sie zuerst Ludewig Molina
von der G. J. gelehrt.
Liberi Arbitrii Concordia cum gratiae donis, divina praescientia, providentia,
praedestinatione et reprobatione. Ed. III. auctior et emend.
Antwerpiae. 1609. 4.
2. Wenn man sie als eine Art der Erkenntniss des Möglichen ansieht, nämlich
des bedingt Möglichen, und zwar desjenigen, das in einem ändern Zusammenhange,
als in dem wirklichen, möglich ist: so treffen sie die Schwierigkeiten,
die mehr gegen die Benennung, als die Sache selbst gemacht werden,
im geringsten nicht.
3. Sofern das Gegentheil der Gegenstände der mittlern Erkenntniss bedingt
unmöglich ist, sind die Gegenstände derselben dann bedingt nothwendig.
Dergleichen Erkenntnissart findet auch in dem menschlichen Verstande
statt, z. B. bei den apagogischen Beweisen, bei der binarischen, quaternarischen
Rechenkunst, usw.
[100]
70
Weisheit.
Zu der Allwissenheit Gottes gehört auch seine deutlichste Vorstellung des
Zusammenhanges aller Dinge, also auch des Zusammenhanges der Mittel und
Zwecke. Die Einsicht in diesen Zusammenhang ist die Weisheit. In der besten
Welt findet der vollkommenste Zusammenhang der Mittel und Zwecke statt.
Wenn also diese Welt die beste ist: so wird sie ein Spiegel der Weisheit Gottes
sein. Zu der Vollkommenheit der Mittel gehört, dass 1) die Mittel die wenigsten,
die zu einem Zwecke hinreichen können, und 2) die Zwecke die grössten seien,
die durch diese Mittel erreicht werden können. Das ist das Gesetz der Sparsamkeit,
dessen Beobachtung also der höchsten Weisheit gemäss ist.
1. Die Weisheit erfodert sowohl die besten Mittel als die besten Zwecke.
In Ansehung der erstem alle die, ohne welche die besten Zwecke nicht
könnten erreicht werden, aber auch nicht mehr, oder die den Zweck vollkommen
erreichen und zwar auf dem kürzesten Wege. Sie handelt also
nach dem Gesetze der Sparsamkeit.
[101]
2. Man hat auch dieses Gesetz in der Körperwelt und ihren allgemeinsten
Gesetzen der Mittheilung der Bewegung und der Fortpflanzung des Lichtes
beobachtet gefunden.
>
Leibniz in den Act. Erud. 1682.
Essai de Cosrnologie par M. de
Maupertuis
(40. Anmerk.).
71
Güte, Heiligkeit, Gerechtigkeit.
Zu dem Willen Gottes gehört 1) seine Güte, oder die Bestimmung seines
Willens, den Geschöpfen alles Gute zu thun, dessen sie empfänglich sind, 2) seine
Gerechtigkeit, oder seine verhältnissmässige Güte, 3) seine Heiligkeit, oder
seine sittliche Vollkommenheit, wodurch alle sittliche Unvollkommenheit in ihm
aufgehoben wird. Die Heiligkeit Gottes in weiterer Bedeutung erstreckt sich
über alle seine Eigenschaften, und wir müssen seinen Verstand, seinen Willen,
seine Macht heilig nennen.
1. Man hat den Begriff der Gerechtigkeit so erhöhen müssen, um den Missdeutungen
deutungen zuvorzukommen, denen der gewöhnliche Begriff ausgesetzt scheint.
Die Güte Gottes aber ist vollkommen
[102]
verhältnissmässig, indem sie in
der Ertheilung der Wohlthaten genau dem Grade der Vollkommenheit folgt,
den ein vernünftiges Geschöpf als
Mittel
zu dem allgemeinen Zwecke Gottes
hat.
Seine Güte wird also durch seine Weisheit bestimmt. In diesem
höhern Sinne kann man sagen, dass Gott einem jeden das Seinige ertheile,
d. i. so viel Gutes, als mit dem letzten Zwecke der Schöpfung bestehen,
und was er also vermöge seiner Güte und Weisheit geben kann.
2. Von der äussern Vollkommenheit, oder der Würde einer Person, wodurch
alle Unvollkommenheit, insonderheit Beleidigungen im höhern Grade ausgeschlossen
werden, ist dieser Begriff auf innere sittliche Vollkommenheit,
und endlich auf alle Vollkommenheit überhaupt, so ferne dadurch alle Unvollkommenheiten
aufgehoben werden, übertragen worden.
[103]
V.
Abschnitt
.
Natürliche Geschichte der Religion.
72
Wirklichkeit und Beschaffenheit der natürlichen Theologie.
Es giebt eine natürliche Theologie, d. i. es ist eine wissenschaftliche Erkenntniss
des Daseins und der Eigenschaften Gottes aus der Vernunft möglich. —
Denn das Dasein Gottes und seine Eigenschaften können durch die menschliche
Vernunft aus dem Begriffe Gottes und der Zufälligkeit und Einrichtung der Welt
hergeleitet werden. — Da aber zu dieser Erkenntniss viele allgemeine Vernunftsätze
und deutliche Begriffe gehören, so ist sie nur in denen wirklich, die zu
dem Grade des Gebrauches ihres Verstandes und ihrer Vernunft gelangt sind,
der dazu gehört, und die wirkliche Religionserkenntniss eines jeden wird mit
dem Grade des Gebrauchs seines Verstandes und seiner Vernunft im Verhältniss
stehen.
[104]
1. Die Wirklichkeit der natürlichen Theologie ist von einigen, bald aus unrichtigen
Vorstellungen von dem Zwecke der heil. Schrift, bald aus einer
übelverstandenen Achtung derselben und Verachtung der Vernunft behauptet
worden.
Faust. Socini
Prael. theol. cap. 2.
Doch haben einige scharfsinnige Schriftsteller dieser Parthei, Joh. Crell,
Ruarus, Jonath. Schlichting über Röm. I, 20. sie sehr gut behauptet
und dargethan.
2. Aus diesen Ursachen ist es nicht zu verwundern, dass die Religion erst
hat sinnlich sein müssen, und dass sie mit dem Fortgange und der Verbesserung
immer reiner wird.
[105]
Zweites Hauptstück
.
Von der
Mittheilung der Religionserkenntniss.
Erster Abschnitt
.
Von der sinnlichen Mittheilungsart.
73
Beschaffenheit und Schicklichkeit derselben.
Da viele Erwachsene nicht einen so hohen Grad des Gebrauches ihrer Vernunft
besitzen, dass sie durch dieselbe die Wirklichkeit, die Eigenschaften Gottes,
und die Pflichten der Religion hinreichend deutlich, richtig und praktisch genug
erkennen können: so ist es eine gnädige Veranstaltung desselben, dass er
sie durch den Weg des Ansehens und des Glaubens hat unterrichten wollen. —
1. Aus dieser Beschaffenheit des menschlichen Verstandes, dass ihm auch bei
einem höhern Grade seiner Ausbildung doch immer, um seine Erkenntniss
zu vermehren, zu berichtigen, evidenter und
[106]
praktischer zu machen,
Unterricht nützlich ist,
erhellet das allgemeine Bedürfniss höherer Belehrung
am besten.
2. Diejenigen, die gar keines besondern Grades von allgemeiner vernünftiger
Erkenntniss, und also von Religionserkenntniss fähig sind, können wenig
mehr als eine historische Erkenntniss der Religion erhalten, also die sie
auf das Zeugniss und Ansehen mit einem vernunftmässigen Glauben annehmen.
Doch wird die vernünftige Erkenntniss, so viel es die Schranken
ihres Verstandes erlauben, immer damit zu verbinden sein, und wird auch
in der heil. Schrift wirklich damit verbunden.
3. Da von der Religion sowohl an sich selbst, als auch in Verbindung mit
der Sittenlehre die menschliche Glückseligkeit abhängt, so ist eine jede
Veranstaltung Gottes, wodurch ihre vollkommnere Erkenntniss hervorgebracht
und vermehrt wird, höchstgnädig und liebevoll.
[107]
Zweiter Abschnitt
.
Von der vernünftigen Mittheilungsart.
74
Gewissheit und Beschaffenheit derselben.
Da die Wirklichkeit und die Vollkommenheiten Gottes sowohl aus dem
Wesen und Begriffe desselben (21. 22.), als auch aus der Wirklichkeit der Welt
(23.) können erkannt werden: so wird die Erkenntniss desselben durch alles dasjenige
hervorgebracht und vollkomnmer gemacht, wodurch die Erkenntniss wahrer
und reiner Vollkommenheiten (14. 15. 16. 18.), der Zufälligkeit der Welt und ihrer
Theile (23.) und der Verknüpfung derselben unter einander als wirkende Ursachen
und Wirkungen, Zwecke und Mittel (26-39.), der Ordnung und Uebereinstimmung
sowohl der grössern als kleinern Theile der Welt hervorgebracht und befördert
wird.
1. Alles was der Mensch erlernt, sind entweder Erfahrungen oder allgemeine
Erkenntniss, und diese letztere betrifft entweder Grössen oder Beschaffenheiten.
Da durch die allgemeine Erkenntniss sowohl der Grossen
als der Beschaffenheiten,
[108]
und umgekehrt durch die Erfahrung die allgemeine
Erkenntniss verbessert wird, beide aber die Erkenntniss Gottes hervorbringen
können: die eine, indem sie uns die Welt, als das göttliche
Werk besser kennen lehrt, die andere, indem sie ausserdem die Begriffe
von dem Wesen Gottes und seinen Eigenschaften hervorbringt und erhöhet:
so kann und muss alle menschliche Erkenntniss auf die Religion abzielen.
2. Indess ist es nöthig, dass zumal im Anfange der Verstand auf diesen Zusammenhang
aller menschlichen Kenntnisse mit der Religion aufmerksam
gemacht werde, sowohl um in den Theilen der Welt ihre Zufälligkeit und
weise Verbindung, als auch in den unsinnlichen Begriffen dasjenige wahrzunehmen,
was sie zu Merkmalen des vollkommensten Wesens macht.
ENDE.
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