Kant: Briefwechsel, Brief 901, Von Iurgulan.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Iurgulan.      
           
  HochEdler und Hochgelahrter!      
  Hochzuehrender Herr Professor.      
           
  Es ist mir von einer Hohen Standes=Persohn aufgetragen gegenwärtiges      
  an Sie abzuschicken, welche das Vertrauen hat eine aufrichtige      
  Beurtheilung ihrer Meinung von Ihnen zu erhalten; Sie bittet sich      
  solches in kurtzen Worten aus in den gelehrten Zeitungen, woraus Sie      
  den endlichen Entschluß Ihres suchens zu faßen Vorhabens ist, was      
  ihre Meinung sey werden Sie aus folgendem abnehmen:      
           
           
  Gespräch eines Heydnischen Printzen      
  von der Christlichen und seiner Heydnischen Religion.      
  Unlängst meldete sich bey mir ein ansehnlicher frembder Herr! als      
  ich ihn nun nöthigte einzutreten, sprach er: Mein Herr da ich von      
  Deßen Redlichkeit vieles gehöret habe, so habe mir die Freyheit genommen      
  Sie zu besuchen, hoffend Sie werden mir diese Kühnheit nicht übel      
  deuten etc. Nach gewechselten Complimenten bate ich ihn Nieder zu      
  sitzen, und zugleich mir zu erklären mit wem ich spreche. Er antwortete:      
  ich reise incognito und habe mir zwar vorgenommen weder meinen      
  Stand noch meinen Nahmen jemanden zu offenbahren, welches auch      
  bißhero gehalten habe, da ich aber von Dero Verschwiegenheit und      
  Redlichkeit versichert bin, so will ich ihnen aufrichtig so wohl meinen      
  Stand als meinen Nahmen entdecken. Ich bin ein eintziger Sohn eines      
  großen Fürsten in der Cathayschen Tartarey, und mein Nahme ist      
  Jurgulan. Ich fragte ihn hierauf was ihn denn zu so einer fernen      
  Reise bewogen hätte? Er antwortete: Ich war Zehn Iahr alt als mein      
  Vater einen Christlichen Sclaven überkam, welcher ein gelehrter Mann      
  war, und der Teutschen, Frantzösischen Italienischen, Portugesischen und      
  Lateinischen Sprache kundig. Mein Vater gewan ihn Lieb, und weil      
  er in seiner Iugend das Chinesische Japanische und andre Indianische      
  Reiche durchreiset hatte, und meine Zuneigung zu Wißenschafften kante,      
  so setzte er mir diesen Mann welcher sich Engelbert nannte zu meinem      
  Lehrer vor. Ich wurde ihm sehr gewogen, und bezeugte große Lust      
  am ersten die Lateinische Sprache zu lernen, mit welcher ich auch in      
  zwey Iahren nicht allein fertig war, sondren er hat mir dabey auch      
  in Nebenstunden zugleich die Italienische und Frantzösische Sprache beygebracht,      
  mit der Deutschen Sprache hielte es etwas schwärer, dennoch      
  hatte ich es in folgenden drey Iahren so weit gebracht daß ich fertig      
  mit ihm sprechen könte, bey dieser Sprach=lnformation erzählte mir      
  auch oft etwas von der Christlichen Religion auf welches ich sehr genau      
  aufmerckte, und große Lust empfande die Christenheit selbst zu sehen,      
  und diese Religion zu untersuchen, Indeßen unterwiese mich mein      
  Engelbert in der Geographie und andren Mathematischen und Philosophischen      
  Wißenschafften, vergaß auch nicht immer was Theologisches      
  zu untermischen, und meine Begierde die Christenheit zu sehen wurde      
  immer größer. Ich offenbarte dieses meinem Lehrer, und sagte ihm      
  zugleich, daß ich meinen Vater bitten wolte, damit er mich einige Iahre      
           
  möchte reisen laßen, mein Lehrer billigte es doch sagte er mir daß ich      
  meinem Vater nichts von der Religion gedencken solte, welches ich mir      
  auch schon selbst vorgenommen hatte. Ich hatte bereits das Zwantzigste      
  Iahr angetreten, als ich diese Bitte an meinen Vater wagte, es hielte      
  Anfangs zwar hart, und mein Vater machte unterschiedene Entschuldigungen,      
  dennoch auf mein inständiges Anhalten bekam ich Erlaubniß      
  China, Japan und die Reiche des großen Mogols zu durchreisen in      
  Geselschafft meines Engelberts, mit welchem ich endlich in Begleitung      
  zweyer Bedienten abreisete, denn ich wolte kein groß Aufsehen machen      
  in dem ich incognito zu reisen gesonnen war, hatte mich dennoch mit      
  Gold und Edelgesteinen versorget, daß ich auch zehn Iahr gemechlich      
  reisen konte. Ich funde in obgedachten Ländren nichts was meine Begierde      
  Befriedigen könte, ich ware bereits biß auf die Malabarische      
  Küste gelanget, als ich mich entschloße die rechte Christliche Länder in      
  Europa zu durchreisen. Ich schickte von da einen von meinen Bedienten      
  ab an Meinen Vater mit inständigster Bitte mir solches zu erlauben,      
  nach drey Monathen erhielte ich die Erlaubniß samt einer gutten Summe      
  Goldgeld und einigen köstlichen Kleynodien, die ich noch aufbehalte      
  demjenigen zu schencken der mir meine Zweifel von der Christlichen      
  Religion vollig heben wird. Ich reise schon acht Iahr und habe mehrentheils      
  alle Christliche Länder durchreiset aber allenthalben so viel anstößiges      
  gefunden, daß ich billig an der richtigkeit der Christlichen Religion      
  zweyflen muß. Ich fragte ihn, was ihm denn so anstößig wäre?      
  Das erste (antwortete er) ist dieses: daß ich in Keiner Religion so      
  viele Secten und Spaltungen angetroffen habe als eben in der Christlichen,      
  nicht allein gantze Länder hegen ihre besondere Meinungen, sondern      
  fast jeder Theologus jeder Prediger hat in einem und andren      
  punct seine besondere Meinung, und glauben selbst das nicht was sie      
  andre Lehren. Wie mir deren viele bekannt sind, die ich mit Nahmen      
  nennen könte, und dennoch beruffen sie sich alle auf ein Buch nehmlich      
  die Bibel. Dieses Buch habe ich mit allem Ernst und gröster attention      
  durchlesen, und darinnen die schönste SittenLehren gefunden, allein das      
  Historische Wesen ist mir immer verdächtig vorgekommen, und darin      
  bin ich bestärcket als ich Dams Schrifften vom Historischen Glauben      
  gelesen habe, und ob ich ihm zwar nicht in allem völligen Beyfall      
  gebe und ihm des Schwedenborgs Theologiam universalem entgegensetze,      
  so sehe ich daß diese Beyde als Himmel und Erde von einander      
           
  unterschieden sind, dennoch komt mir Schwedenborg viel vernünftiger      
  vor als Damm, indem er gründlich genug zeiget, daß die Christen in      
  vielen Dingen Glaubens=Geheimnüße machen, wo sie gantz unnöthig      
  sind, als zum Exempel von dreyen Persohnen in der Gottheit, welches      
  mir so ungereimt vorkomt als einige Dinge im Talmud und Coran,      
  solte ich hievon eine gründliche Wiederlegung zu sehen bekommen (da      
  ich noch gar keine gesehen habe :) so wolte mich gerne Befriedigen.      
  Das andre was mir anstößig ist, ist dieses : Daß die Lehrer und Prediger      
  das Christenthum selbst verderben, sie lehren anders und thun      
  selbst nicht nach ihrer Lehre, man findet kaum unter tausenden einen      
  redlichen Mann, die mehreste sind hochmüthig, aufgeblasene geitzig unmitleidig      
  mit Armen ruhmräthig großsprechend von gröbern Untugenden      
  will ich schweigen. Ihr Beruf zum Amt ist sehr sehr selten Göttlich,      
  ihre vornehmste Absicht ist die Ehrbegierde und Brodstelle, daß sie sich      
  herrlich speisen und tränken können, ihre Frauen und Töchter trotz Gräflichen      
  und adelichen Persohnen aufputzen, dieser Welt sich gleichstellen,      
  und also als wahre Nachfolger der Apostel bezeugen können. Woher      
  komt dieses? Weil selten auf das Subject welches in ein Amt soll eingesetzet      
  werden gesehen wird, wenn nun jemand gutte Gönner, Anverwandte      
  gutte Patronen auf seiner Seite hat, so ist er schon tüchtig genug      
  ein Prediger zu seyn, wenn er auch ein Dummerjan ist und die      
  Predigten aus den alten Postillen ausklauben soll, ein meritirtes Subjectum      
  welches dergleichen Promotores nicht haben kan muß im Schulen      
  Staub sein kümmerliches Leben durchbringen, und kan er dem Herren      
  Ertzpriester nicht fette Gänse auf die Küche liefren, so ist er dennoch      
  ein schlechter Schulman, und wenn sie ihn endlich aufs äuserste verfolgen      
  wollen, so muß er ein Säufer heißen, wenn er auch im gantzen      
  Iahr nicht so viel trincket als der Herr Ertzpriester oder der Herr Pfarr      
  in einem Monath. mehrentheils werden zu solchen Lehr=Ämtren, PfarrerSöhnchen      
  promovirt (: welche mehrentheils die ärgste sind :) da heist      
  es man muß das Geschlecht Levi conserviren. recht! aber wenn sie      
  tüchtig dazu sind. Drittens ist dieses mir anstößig daß die Christen      
  gar nicht nach ihrer Lehre Leben, ich habe noch Keinen gesehen der sich      
  aus den Predigten solte gebeßert haben, ein jeder bleibt wie ihn Gott nach      
  seiner Natur geschaffen hat. Zwar kenne ich viele Milz=süchtige und schwartzgalligte      
  die es scheinen zu thun, allein ihr Temperament bringt es so      
  mit, aber die Lehre der Prediger thut es nicht Was mir noch lächerlich      
           
  und sehr ungereimt vorkomt ist dieses; daß in vielen Reichen die Christen      
  Buß und Bitt Lieder absingen. Wenn ich mir vorstelle, daß, wenn ein      
  Mensch einen irdischen König mit singen solte um Gnade bitten, so      
  könte ich nicht anders dencken, als daß ihn der Monarch ins Narren      
  Haus möchte führen laßen, Lob und Danck=Lieder die aus freudigem      
  Hertzen geschehen laß ich passiren, Ich hätte noch vieles auszusetzen,      
  besonders vom Zwang zum Gottes Dienst, und ich kan mir nicht vorstellen,      
  wie Gott einen Gefallen an einem Dienst haben kan, den ein      
  Mensch gezwungen verrichtet. Allein ich will es vor jetzo verschweigen.      
  Ich wiederlegte ihm dieses alles nach möglichkeit, allein er sprach: Mein      
  Herr alles was sie mir sagen, habe ich schon von vielen mündlich      
  gehöret und auch schrifftlich gelesen, allein dieses sind nicht die Gründe      
  die meinen Zweiffel heben können, und dahero halte ich meine Religion      
  noch vor die beste. Ich fragte ihn hierauf worinnen den seine Religion      
  bestehe? Er antwortete: Wir glauben ein ewiges allmächtiges Wesen      
  welches alle Dinge erschaffen hat, alles erhält, und auch alles nach      
  seinem absoluten Willen vernichten kan, Dieses Wesen ist an keinen      
  äußerlichen Gottesdienst gebunden, sondern läst sich wohlgefallen aus      
  was vor eine Weise ihm von den Menschen ein Dienst geleistet wird      
  wenn es nur aus gutter Meinung und von Hertzen geschiehet, Dahero      
  hat er einem jeden Menschen ins Hertze geschrieben was gutt und böses      
  ist, und nachdem der Mensch nach diesem Gesetze der Natur handelt      
  in so weit ist er auch diesem hohen Wesen angenehm, Dabey glauben      
  wir daß Gott einen allgemeinen WeltGeist erschaffen hat, welcher alles      
  durchdringet, und alle Geschöpfe vom Menschen an biß auf den kleinsten      
  Wurm, belebet, nachdem er in einem jeden die Materie organiziret      
  findet, daher sehen wir daß ein Mensch klüger als der andre, ein Thier      
  Lehrhaffter als das andre, ein Baum, Gewächs etc. in beßerem Stande      
  als ein andrer einer fruchtbarer als der andre ein andrer ehender vertrucknet,      
  verdorret, unfruchtbar wird als ein andrer und also nachdem      
  die organa bey den Geschöpfen disponirt sind, also belebt sie auch dieser      
  allgemeine Welt Geist, dieses ist eben der Ruah der nach der Bibel auf      
  dem Wasser schwebte, Wenn nun in einem Cörper die Organa so verdorben      
  werden, daß sie von diesem Geist nicht mehr in Bewegung gebracht, oder      
  belebt werden können, so muß der Mensch, das Thier, der Baum, das      
  Gewächs etc. sterben das ist es kan von diesem Geist nicht mehr belebet      
  werden; alsdenn muß sich das Materielle Wesen in Staub und Asche      
           
  verwandlen, das Substantzielle aber Bleibt immer von diesem Geist      
  doch auf eine Subtilere Art belebet, wird in die Geister Welt versetzet,      
  und behält seine Gestallt die es in der Cörper Welt gehabt hat, nehmlich      
  ein Mensch behält die Gestallt des Menschen, ein Thier die Gestalt      
  des Thieres, ein Baum des Baums, ein Stein des Steins etc. und      
  zeigen sich in der Geister Welt eben so wie sie in der Cörper Welt gewesen      
  nach ihrer Substantz doch auf eine gantz Subtilere Art, welches      
  mit Worten schwerlich auszudrücken ist, Schwedenborg hat ein guttes      
  Einsehen hierinnen gehabt, und sehr wohl nach unserem Begriff hievon      
  geschrieben, solte ich nun hievon überführet werden daß diese unsere      
  Religion falsch sey. so will ich so bald ich zur Regierung gelange die      
  Christliche Religion in meinen Landen allgemach einführen Doch nach      
  den Sätzen gemeldten Schwedenborgs. Ich bin gesonnen in Kurtzen      
  nach meiner Heymath abzureisen, solte ich von Herren Professor Kant,      
  eine geneigte gründliche Antwort in den gelehrten Zeitungen erhalten,      
  so werde mich mit meiner Regalisirung einfinden und beständig die      
  Ehre haben mich zu nennen      
           
    Seinen      
    ergebensten Freund, Jurgulan.      
           
           
           
     

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