Kant: Briefwechsel, Brief 883, Von Andreas Richter.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Andreas Richter.      
           
  [1801?]      
           
  Mein Herr!      
           
  Seit 10 Iahren studiere ich immerwährend die kritische Philosophie      
  - Ich habe mich auch wirklich der Idee des Ganzen derselben      
  bemächtigt. Ueberzeügt dadurch, daß nur in ihr Wahrheit, Gründlichkeit      
  zu Hauße seye, daß nur durch sie die Wissenschaften ihren schon      
  lange verlorenen Werth wieder gefunden, daß nur durch sie der Menschheit      
  geholfen werden könne, wenn ihr geholfen werden soll; so ist seit      
  dieser Ueberzeügung kein sehnlicherer Wunsch in mir, als diese Philosophie      
  mehr und mehr zuverbreiten.      
           
  So viel ich konnte, that ich auch. Aber mit dem nicht zufrieden,      
  (: denn es ist sehr wenig :) wünsche ich diese Philosophie auch in diesen      
  Theilen zuverbreiten, wovon wir von Ihnen noch nichts haben, nemlich      
  von der Politik als ganzem System. Ich wünsche dies um so mehr,      
  da eine systematische Politik nach kritischen Grundsätzen das einzige      
           
  und wichtigste Bedürfniß gegenwärtiger Zeiten ist. Ich entschloß mich      
  daher, die Politik nach kritischen Grundsätzen ins System zubringen,      
  wovon ich Ihnen hier einen kleinen beyliegenden Abriß übermache.      
  Diesen Abriß wollte ich Ihnen nicht ganz übersenden, weil Sie      
  aus diesem schon beilaüfig sehen werden, ob ich der Idee des Ganzen      
  der Politik gemäß die Materien derselben behandelte, und ob ich nichts      
  Heterogenes in dieselbe aufnahm. Entspricht meine Arbeit dem kritischen      
  System, und im Falle Ihr hohes Alter es nicht mehr erlaubte, eine      
  Politik herauszugeben (: denn ausserdem wäre es von mir ein grosses      
  Waagestück neben Ihnen auftretten zu wollen :); so unterfange ich mich,      
  Sie zu bitten, so bald wie möglich mir davon Nachricht zugeben, damit      
  ich dieses Werk bis Michaelis noch drucken lassen könnte, denn ehe      
  unternehme ich nichts mit demselben. Sollte es aber Ihrem System      
  nicht entsprechen, so bitte ich von meinem Schreiben wie auch von      
  meinem Grundriß gar keinen Gebrauch zu machen. Auch will ich Sie      
  mit keiner Antwort belästigen wenn obiger Fall statt findet; denn eine      
  erste Arbeit in diesem Fache kann wohl leicht verunglücken. Ich bin      
           
    Ihr      
    Diener Andreas      
    Richter Magister Philosophiae .      
           
           
  Im Falle ich das Vergnügen haben sollte von Ihnen eine Antwort      
  zu erhalten, so belieben Sie Ihren Brief an Herrn Nikolovius      
  zuübergeben mit der Bitte von mir, er möchte denselben nach Leipzig      
  an den Herrn Liebeskind allda Buchhändler addressirn, welcher ihn      
  dann unter meiner Addresse an Herrn Anton Doll den jüngern      
  addressiren wird.      
           
  [Beilage.]      
           
  Grundriß      
  der      
  Politik      
           
  Einleitung in die Politik.      
           
  Hier setze ich den Begriff der Rechtslehre, dann den der Politik, der      
  Theorie, und Praxis auseinander. Dann lasse ich die Politik in die Weißheitslehre      
  (: Moralpolitik :) und in die Klugheitslehre (:Technopolitik:)      
  welche einen Theil der Naturlehre ausmacht, zerfallen. Von der erstern, wie      
  natürlich werde ich nur handeln. Für diese stelle ich die zwey Grundsätze, welche      
           
  Sie in dem ewigen Frieden S. 93 u. 103, auf. Ferner handle ich noch hier      
  von den Erlaubnißgesetzen. Nun      
           
  Von der      
  Politik in Ansehung des innern Staatsrechts      
  Von dem      
  Bürgerlichen Vertrage      
  Hier wird nach den 44 § des StR. S. 192 der 2ten Auflage von der      
  Verbindung der Menschen in eine bürgerliche Gesellschaft, und daß diese unbedingte      
  Pflicht sey, gehandelt. Dies haben Sie in den verm. Schr. nach der neusten      
  und vollständigen Ausgabe von Herrn Tieftrunk III. B. S. 205 ausgeführt,      
  und ich benutzte diese Ausführung ganz Dann nach dem 47 § des StR. S. 199      
  komme ich auf den Zweck dieser Verbindung, welchen Sie wieder in den verm.      
  Schr. S 206 ausführten, und ich benutzte wieder diese Ausführung. Nun      
           
  Von der      
  Bürgerlichen Verfassung      
  Nach den zweyten Abschnitt des 46 §s des StaatsR S. 196 muß die bürgerliche      
  Verfassung in jedem Staat republicanisch seyn. Diese ganze von      
  Ihnen in den verm. Schr S. 207-219 schon vorgenommene Ausfuhrung benutzte      
  ich wieder. Nun      
           
  Von der      
  Regierungsform      
  Dieses soll wieder nach den 45 § des StaatsR. S. 195 ausgeführt werden.      
  Hier benutzte ich wieder alles, was Sie im ewig. Fr. S. 25-29 in der Ausführung      
  sagten. Nun      
  Von den      
  verschiedenen empirisch gegebenen Verhältnissen in dem Staat      
           
  Von den      
  verschiedenen empirisch gegebenen Verhältnissen des Volks      
  zu dem Oberhaupt.      
           
  Hier ist der Innhalt die Frage: ist Aufruhr ein rechtmäßiges Mittel für ein      
  Volk, die drückende Gewalt eines sogenannten Tyrannen (: non titulo sed exercitio      
  talis :) abzuwerfen, und andere die in Ihren Staatsrecht von S. 205 bis 212      
  vorkommen. Alle diese Fragen entscheide ich nach der negativen transcendentalen      
  Formel der Politik, wie es nach Ihrer Anleitung im ewig.      
  Frieden S. 94-97 seyn muß      
           
  Nachher löse ich die zwey Fragen: können die Gebrechen, wenn sie in      
  einem Staat vorhanden, sofort und mit Ungestüm abgeändert      
  werden? - Kann, was das äussere Staatenverhältniß betrifft: von      
  einem Staat verlangt werden, daß er seine obgleich despotische Verfassung      
  (: die aber doch die stärkere Beziehung auf aüssere Feinde      
  ist :) ablegen solle, so lange er Gefahr laüft, von andern Staaten      
  sofort verschlungen zu werden. nach den Begriff des Erlaubnißgesetzes nach      
  Ihrer Anleitung d. ewig. Fr. S. 72 auf. Nun      
           
           
  Von den      
  Negativen Verhältnissen des Oberhaupts zu dem Volk      
  Hier ist der Innhalt die Frage: Ist die Freyheit der Feder das einzige      
  Palladium der Volksrechte, und kann das Oberhaupt dieselbe beschränken?      
  Von diesem Gegenstande handelten Sie in den verm. Schr. III. B.      
  S. 231. Ich benutzte Ihre Behauptungen und deducirte sie nach der negativen      
  transcendentalen Formel der Politik. Nun      
           
  Von den      
  Verhältnissen des Oberhaupts gegen den Staat.      
  Den ganzen hier vorkommenden Innhalt deducire ich aus der positiven      
  transcendentalen Formel der Politik nemlich      
           
  1). Stimmt die Maxime, die sich das Oberhaupt macht, von Domainen die      
  Staatsausgaben zu bestreitten mit Recht und Politik überein?      
           
  2) Stimmt die Maxime der Subsistens der Güter der Korporationen, Stände,      
  Orden in einem rechtlich bürgerlichen Zustande mit Recht und Politik überein?      
           
  3) Die Maxime des Oberbefehlshabers. die Privateigenthümer des Bodens zu      
  beschatzen, stimmt mit Recht und Politik überein.      
           
  4). Ebenso stimmt die Maxime der Staatswirthschaft, des Finanzwesens,      
  und der Polizey mit Recht und Politik überein.      
           
  5). Ferner nach dem Staats R. 9. 216 führe ich das in der Politik folgendermaßen      
  aus: stimmt die Maxime des Staatsoberhaupts, Gesetze zu geben, die      
  auf die Glückseeligkeit (: Wohlhabenheit der Bürger, die Bevölkerung u.d.g. :)      
  gerichtet sind mit Recht u. Politik überein.      
  6). Stimmt die MaxIme des Armenwesens, der Findelhaüßer und des Kirchenwesens      
           
  mit allen dahin gehörigen Fragen, die in Ihrem StaatsR. noch vorkommen,      
  mit Recht und Politik überein.      
           
  7). Stimmt die Maxime des Oberhaupts einen Adelstand, als einen erblichen      
  Mittelstand zwischen Ihm , und den übrigen Staatsbürgern zugründen mit      
  Recht und Politik überein? u.s.w. nach der Ordnung des Staatsrechts, nur      
  hänge ich noch zwei Maximen an, die nicht im Staatsrecht vorkommen,      
  nemlich      
           
  8). Stimmt die Maxime des Oberhaupts eine Universität in einem rechtlichen      
  Zustande zu errichten mit Recht u. Politik überein.      
           
  9). Stimmt die Maxime des Oberhaupts die Erziehung der Iugend dem Staat      
  zu Lasten kommen zu lassen mit Recht und Politik überein.      
           
           
           
     

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