Kant: Briefwechsel, Brief 868, Von Carl Christoph Schoen. |
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Von Carl Christoph Schoen. | |||||||
13. Iuli 1800. | |||||||
Verehrungswürdiger Herr Professor! | |||||||
Mit einem Herzen, das ganz von Dankbarkeit und Achtung erfüllt | |||||||
ist, ergreife ich die Feder, Ihnen meinen doppelten Dank darzubringen | |||||||
und meine Freude ist um desto größer, da es bey einer Gelegenheit | |||||||
geschieht, die mich völlig davon überzeugt, daß der Mann, | |||||||
der dem Menschen die Würde seines Geistes kennen lehrte, auch selbst | |||||||
mit Freuden das Gesetz erfüllt, dessen Befolgung den Menschen allein | |||||||
zu seiner erhabenen Bestimmung leiten kann. Viel Gutes und Nützliches | |||||||
habe ich schon aus Ihren Schriften gelernt, so daß auch ich Sie | |||||||
als meinen Lehrer verehre und noch immerfort bemüht bin aus Ihren | |||||||
Lehren die Bildung meines Geistes und die Veredlung meines Herzens | |||||||
zu schöpfen, in der festen Ueberzeugung, daß wenn es gleich für meine | |||||||
Iugendkräfte bisher noch zu schwer war, ganz in den Geist Ihrer | |||||||
kritischen Schriften einzudringen, ich dennoch für mein reiferes Alter | |||||||
daraus die schönsten Früchte einzuärnten hoffe. Wie innig es mich | |||||||
rührte und mit einem gewissen edeln Stolz mich erfüllte, als ich die | |||||||
Freude hatte, aus Ihrem Briefe an Ihre Schwiegerin zu ersehen, da | |||||||
meine Bitten und Vorstellungen zum Besten einer Sie und auch mich | |||||||
nahe angehenden Familie gewirkt hatten; das würde ich vergebens mit | |||||||
Worten auszudrükken versuchen. Ich wagte es mich an Sie zu wenden | |||||||
und Ihnen die ganze Lage dieser Familie, wie sie wirklich ist, | |||||||
vorstellen zu lassen, weil dies für jetzt die einzige und letzte Zuflucht | |||||||
dieser guten Menschen war und Ihr Edelmuth hat meinen Erwartungen | |||||||
entsprochen und dafür sage ich Ihnen hiemit meinen herzlichen | |||||||
Dank. | |||||||
Nun noch eine nähere Darstellung der Lage dieser Familie, welches | |||||||
gewiß auch bey Ihnen zur Rechtfertigung wegen des ihr gemachten | |||||||
Vorwurfs der Unbesorgtheit hinlänglich seyn wird. Schon früher war | |||||||
es die Absicht Ihres seligen Herrn Bruders mich zu seinem Amtsgehülfen | |||||||
und zu seinem Schwiegersohne anzunehmen; allein unsern gemeinschaftlichen | |||||||
Wünschen war ein Candidat im Wege, der schon seit | |||||||
mehrern Iahren die Versicherung auf die erste Versorgung hatte, die | |||||||
sich sogar dahin erstreckte, daß er Adjuncturen behindern konnte. Aller | |||||||
Bemühung ungeachtet konnten wir nichts weiter erlangen, als da | |||||||
man uns dahin verwieß, daß wenn sich eine anderweitige Vacanz ereignete, | |||||||
dieser Candidat dahin und ich zu der Adjunctur befördert | |||||||
werden sollte. Dieser Aussicht aber machte der Tod Ihres würdigen | |||||||
Herrn Bruders ein Ende und nun ist jener Candidat vocirter Pastor | |||||||
zu Altrahden. So war es also nicht die Schuld Ihres Bruders, wenn | |||||||
er seine Familie auf diese Weise nicht vor nachheriger Verlegenheit | |||||||
sichern konnte. Dies durch Ersparnisse zu bewirken, war eben so wenig | |||||||
möglich, indem sein Pastorat keins von den größten ist und die Revenüen | |||||||
nur dazu ausreichten, den Kindern eine gute Erziehung zu geben. | |||||||
Also nur durch widerwärtige Schicksale ist diese Familie in eine | |||||||
solche Dürftigkeit versetzt worden, daß sie sich nothgedrungen sah, Sie | |||||||
um Ihre Unterstützung zu bitten. Mir sind anjetzt Versicherungen zu | |||||||
einer baldigen Versorgung ertheilt, und erfolgt diese, so finden die | |||||||
Ihrigen bey mir eine herzliche Aufnahme, indem mich die nähere Verbindung | |||||||
mit Ihres seligen Bruders zweiter Tochter Minna hiezu | |||||||
auf die angenehmste Weise verpflichten wird. | |||||||
Mein einziger Wunsch ist nun, daß auch Sie, mein Verehrungswürdigster! | |||||||
uns dazu Ihren Beyfall und Ihren Segen nicht versagen | |||||||
und mich gern in den Kreis der Ihrigen aufnehmen möchten. Aber | |||||||
nochmals bitte ich Sie auf das inständigste, daß Sie dieser armen | |||||||
Familie Ihre Hülfe und Unterstüzung nicht entziehen, sondern gewiß | |||||||
überzeugt seyn möchten, daß wenn Güte des Herzens und unverschuldete | |||||||
harte Schicksale Anspruch auf Wohlthaten machen können, sie gewiß | |||||||
mit Recht thätige Hülfsleistung verdient. Eine Mutter mit zwey Töchtern, | |||||||
die nach dem verflossenen Wittwenjahre nicht wissen, wo sie eine Verbleibsstelle | |||||||
und, wenn ihnen Ihre liebreiche Unterstützung entgeht, wo | |||||||
sie das zur Erhaltung ihres Lebens Erforderliche hernehmen sollen! | |||||||
Wollte Gott, daß ich Ihnen balde die Nachricht von meiner Anstellung | |||||||
mittheilen könnte, dann wäre uns allen geholfen; allein die Vacanzen | |||||||
ereignen sich nicht immer nach dem Bedürfnisse. Auf jeden Fall schmeichle | |||||||
ich mir, daß Sie die Liebe und Freundschaft, welche Sie für die Ihrigen | |||||||
beweisen, auch auf mich übertragen und an unsrer Freude Theil nehmen | |||||||
werden. In dieser Hoffnung schicke ich die heißesten Gebete zu dem | |||||||
Allvater hinauf, daß er uns den Lehrer reiner Tugend und unsern | |||||||
Wohlthäter noch lange in Ihrer würdigen Person erhalten möchte und | |||||||
indem ich noch im Namen Ihrer Schwiegerin und deren beider Töchter | |||||||
den aufrichtigsten Dank und die besten Empfehlungen an Sie hinzufüge, | |||||||
habe ich die Ehre mit der größten Hochachtung und Ehrerbietung | |||||||
zu seyn | |||||||
mein Verehrungswürdiger Herr Professor | |||||||
Baldonen | Ihr | ||||||
ganz eigner und ergebener | ganz eigner und ergebener | ||||||
den 1sten/13ten Iuly | Carl Christ. Schoen | ||||||
1800. | Candidat des Predigtamts und Hauslehrer | ||||||
beym Pastor Köhler in Baldonen. | |||||||
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