Kant: Briefwechsel, Brief 863, Von Anton Ioseph Gilgen.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Anton Ioseph Gilgen.      
           
    Köln am Rhein. den      
    7ten juny 1800      
           
  Wohlgebohrener hochgelehrter      
  Königliche hochzuverEhrender      
  Herr Professor!      
           
  Ew. Wohlgebohrn hab ich die Ehre von persohn nicht, wohl aber      
  aus Dero grundgelehrten Schriften zu kennen, Mir hat unter andern      
  "die Theorie der Rhein Moralischen Religion etc. und darin bey meiner      
  dermahliger Lage besonders wohlgefallen, daß sie zu Ende derselbe folgende      
  in der Erfahrnuß gegründete wahrheit anmerken.      
           
  Noch hat man nicht gesehen, daß jene ihrer meinung nach      
  auserwählte - Es dem Natürlich Ehrlichen Manne, auff den      
  man in Nöthen vertrauen kann im Mindesten zuvorthäten -,      
  woraus ich dann mit Vergnügen ersehen habe, daß Ew. Wohlgebohrn      
  ein berühmter, grosser, gelehrter, zugleich ein Mann von Menschengefühl      
  sein müssen.      
           
  Daher bitte mir zu Erlauben, Ew. Wohlgebohrn andurch vortragen      
  zu dörfen, wie daß bey den itzig betrübten langwierigen Kriegszeiten      
  - da ich von all meinen vorherigen bedienungen jahren lang      
  nichts mehr beziehe, dieselbe dahier aufgehoben und ohne allen Verdienst      
  leben müssen - so ist es bey meiner grosser Haushaltung, vielen      
  einquartirungen und immerwehrenden Contributionen Mit mir so      
  weith gekommen, daß wir unser weniges Vermögen vor und nach      
  bey der genauster und sparsambster Haushaltung zusetzen müssen, auch      
  anjetzo allschon unsere mehriste Hauß=Mobilien aus heimlich leydender      
  Haußnoth theils versetzen und verkauffen müssen      
           
           
  Nun bin ich, als ein in öffentlichem ansehen stehender, Respectabeler      
  Mann viel zu schamhaft - denken Ew. Wohlgebohrn sich, wenn Gott      
  sie in meine stelle versetzt hätte - Mich an hiesig Reiche Häuser um      
  eine Christliche Unterstützung zu wenden; diewelche ich ohnehin, bey      
  den hiesig häuffigen armen bey steten, absonderlich die Vermögende      
  am mehristen, drückende Contributionen nicht erhalten würde, wo man      
  das Ende hiesigen Krieges nicht weiß, noch vielweniger die Kunftige      
  Drancksahlen berechnen kann, auch die vermögende Klasse besorgt, der      
  armen annoch gleich werden zu können.      
           
  Derowegen Bitte Ew. Wohlgebohrn, als einen grossen Menschen.      
  freundt, Uns schamhaft dahier in Köln am Rhein heimlich die allergröste      
  Nothleydenden Nur ein Eintzigesmahl eine Gott gefällige      
  Hülfe - aus Menschengefühl - auch durch grossmütig zu Erwirkende      
  dortige Beyträge - hiehin gütigst zugehen zu lassen.      
           
  So bald wie nach erfolgten Frieden Ich, und wenn ich es nicht      
  Erleben sollte, mit der Zeit meine beede anjetzo schon in den höhern      
  wissenschaften studierende Söhne - diewelche über die Kantische Handbücher      
  ( in Jure et Philosophia ) dahier Collegia hören - diese dermahlen      
  hülflose Knaben von grossen Talenten in bessere Umstände      
  kommen, so werden wir als wohldenkende Leuthe das uns so gütigst      
  aus dem besten Herzen Zugeschickte mit dem wärmsten Dank, auch      
  grossmutiger Erkenntlichkeit obrück zu schicken unvergessen. Da wir      
  annoch eine alte auswerths im grösten Geiz lebende anverwantinne      
  zu Erben haben, wovon Zeitlebens nichts zu Erhalten ist.      
           
  Wenn Ew. Wohlgebohrn vielleicht mir, aus Menschengefühl eine      
  Gottgefällige Hülfe per anweisung an ein hiesiges KauffManns Haus      
  gütigst zuschicken sollten, so bitte gefälligst an mich vorhero einen      
  Avisobriefe abgehen zu lassen, aber dem hiesigen Kauffmann nichts      
  davon zu melden, warum mir dieses geld auszuzahlen Assigniret      
  worden seye.      
           
  Gnug daß dem Allwissenden Gott Meine Wohlthäter in Königsberg      
  bekannt wären, und der die werker der Bahrmherzigkeit besonders      
  belohnende gerechtiste Himmell würde sicher auf Ew. Wohlgebohrn      
  Und die Häuser dasieg beytragender wohlthäter häuffigen seegen      
  herabregnen lassen.      
           
  Sollte ich aber so Unglücklich sein, von Ew. Wohlgebohrn nicht      
  ein Eintziges mahl eine Unterstützung aus Menschengefühl zu Erhalten,      
           
           
  so bitte recht sehr, über mein aus der Ferne Ihnen zugegangenes      
  Schreiben nicht böse zu werden und solches gefälligst zu zernichten.      
  Mit ausnehmender Hochachtung Mich Nenne      
  Ew. Wohlgebohrn!      
  tieff=gebeugter alter an die 7O jahr gehen      
  der Diener Anton Joseph Gilgen      
  Kuhr=Köllnischer Hoffrath, fürstlich Stabloischer      
  GeheimRath und gewesener Assessor bey dem      
  dahier längst aufgehobenem Ertzstiftisch=Köllnischem      
  Geistlichem Hoff= und Provincial-gericht, genanndt      
  das Officialat etc.      
           
  Hier sind alle Titulaturen gebotten. fals ich also mit einer Antworth      
  beehrt werden sollte, so wäre in diesen Zeiten die addresse      
  an mich zu machen      
  "An den Bürger Gilgen auff      
  "Iohanns straß No. 2784      
  In Köln am Rhein. -.      
           
  Ich wohne dahier in Köln am Rhein auff Iohanns Stras      
  oben der waisen Kirchen N 2784.      
           
  Ich hab mein Schreiben in dem über Köln liegendem Deutz mit      
  dasieg Kaiserlicher post abgehen lassen./.      
           
  NS. wir gehen öfters mit unsern Kindern weinendt ohne brod      
  schlaffen und müssen eben also auffstehen. Unser Elendes Nachtslager      
  ist auf der Erden auff strohsäcken. Wir Erschröcken für den künftigen      
  Winter. - seit dreyen dreyen tägen haben wir nichts mehr wie in      
  Wasser abgekochte Erdäpfel mit saltz über unsere Matte Hertzen bekommen.      
       
           
  Erschröckliches Schicksal!      
  Geschrieben Unter häufig gefallenen tränen./.      
           
           
           
     

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