Kant: Briefwechsel, Brief 830, Von Iohann Ernst Lüdeke. |
|||||||
|
|
|
|
||||
Von Iohann Ernst Lüdeke. | |||||||
19. Dec. 1798. | |||||||
Hochgeschäztester Lehrer. | |||||||
Großer Männer Sekretaire seyn ist auch Ehren voll und jetzt bin | |||||||
ich des Patriarchen, im edelsten Sinne des Wortes unsers Spaldings | |||||||
Sekretaire. | |||||||
Er empfiehlt sich Ihnen in dem Gefühl der reinsten Hochachtung | |||||||
und bittet ihm zu verzeihen, daß er auf Ihr ihn erfreuendes Schreiben | |||||||
nicht eigenhändig geantwortet hat. Seine Hand will seinen Gedanken, | |||||||
die noch imer im Ströhmen sind, nicht mehr so folgen wie sonst. Er | |||||||
hat jetzt nichts mehr mit dem Consistorio zu thun. - Aber er hat die | |||||||
Ringkische Sache dem HE. Rath Teller übertragen und dieser schätzt | |||||||
den Ring vom edelsten Metal, nach seinem wahren Werthe und wird | |||||||
gewiß alles was thunlich ist, auch für diesen würdigen Mann thun. | |||||||
Nun lege ich mein Sekretariat nieder und schreibe als Ihr dankvollester | |||||||
Schüler. So haben Sie theuerster Greis, denn meine An= und | |||||||
Zudringlichkeit so gütig aufgenommen? Ich sollte gegen Sie drucken | |||||||
laßen? die Rabbinen sagen. Es ist weise unter Weisen schweigen. | |||||||
Mache ich auch just nicht auf Weisheit Ansprüche, so möchte ich mich | |||||||
doch nicht gern zum Antipoden der Weisheit selbst herabdrücken. Ein | |||||||
Brief ist doch nur ein leises Reden und gränzt am Schweigen. Aber | |||||||
Drucken laßen ist doch imer eine Art des lauten Redens: Ich begnüge | |||||||
mich (vor der Hand) mit Ihrer gütigen Äußerung und hoffe Sie werden | |||||||
nächstens Sich so erklären daß Sie uns beruhigen. | |||||||
Freilich, nimmt man das, auf einer, wie es mir unleugbar scheint, | |||||||
sehr unvollkomenen Exegese ruhende streng=Orthodoxe System, als die | |||||||
einzig wahre Theologie an, dann ist durchaus nichts conseqventer, als | |||||||
es von der Vernunft ganz unabhängig darzustellen. Das müßte also | |||||||
allerdings erst ausgemacht seyn | |||||||
Mein Glaubens Bekentniß ist dieses: Ohne Vernunft Gebrauch | |||||||
Theologe seyn sollen, kommt mir vor als unter der ausgepumpten | |||||||
Glocke der Luftpumpe athmen und singen sollen. Das können doch höchstens | |||||||
nur Frösche -. Nun will ich es gar nicht leugnen daß es von | |||||||
jeher viel theologische Frösche gegeben hat und auch noch giebt, die in | |||||||
finstern Sümpfen qvacken. Aber sind und sollen denn alle Theologen | |||||||
Frösche seyn? Gab es und giebt es nicht auch unter ihnen Schwäne, die | |||||||
den Genuß des Wassers und der Luft verbinden? und sollte nicht selbst | |||||||
Ihre Philosophie auch diesen Schwänen die Luft gereiniget haben? Ich | |||||||
will lieber gestehen daß ich mir überall von der orthodoxen Offenbahrung | |||||||
gar keinen Begrif machen kann, und wenn ich auch auf die höchste Fichte | |||||||
steige - als daß ich auf dem weiten Ocean moralischer Wahrheiten | |||||||
ohne den Pharus der Vernunft und ohne ihr Steuer mich einem Sturm | |||||||
überlaßen sollte, von dem ich nicht weiß, von wannen er komt und wohin | |||||||
er fähret. Ich denke die Höchste Güte wird ihr edelstes Geschenk | |||||||
einem so großen Theil seiner Geschöpfe, als die Theologen Race ist und | |||||||
zwar bey Besorgung der wichtigsten Angelegenheit des Menschen nicht | |||||||
zum verbothenen Baum gemacht haben. Wenigstens habe ich bis jetzt | |||||||
noch keinen Fluch dafür empfunden daß ich die Religion die ich lehre, | |||||||
wenigstens nach meiner Vernunft suche vernünftig zu lehren. Zu | |||||||
diesem vernünftigen Lehren rechne ich freilich nicht jedem alten Mütterchen | |||||||
ihren alten Trost weg zu syllogisiren -. Volk bleibt immer Kind | |||||||
und es ist ja die erste pädagogische Regel sich an die Ideen der Unmündigen | |||||||
anschmiegen und ihnen unmerklich sicherere Richtung geben -. | |||||||
Doch was ermüde ich Sie mit meinem Geschwätze. Ich denke | |||||||
aber so: Wäre ich in Königsberg, so könnte mich doch nichts abhalten | |||||||
oft zu Ihnen zu komen und das wäre für Sie doch noch ärger als solch | |||||||
klein Octav Briefchen. | |||||||
Nun empfehle ich mich Ihnen von ganzer Seele und wünsche Ihnen, | |||||||
nicht aus nichtiger Mode, in der vollesten Bedeutung, ein recht fröhliches, | |||||||
neues Iahr, und in diesen unveränderlichen, es sey dann in | |||||||
Rüksicht des Wachsens veränderlichen Gesinnungen bin ich so ganz | |||||||
Ihr | |||||||
Ihnen ergebenster | |||||||
Verehrer, Schüler | |||||||
Berlin | Berlin und Freund | ||||||
am 19ten Dec. | Lüdeke | ||||||
1798. | |||||||
[ abgedruckt in : AA XII, Seite 271 ] [ Brief 829a ] [ Brief 830a ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |