Kant: Briefwechsel, Brief 828, Von Georg Christoph Lichtenberg.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Georg Christoph Lichtenberg.      
           
  9. Dec. 1798.      
           
  Empfangen Sie, Verehrungswürdiger Mann, meinen herzlichsten      
  Danck für Ihr gütiges Andencken an mich, wovon Ihr leztes Schreiben      
  wieder so manchen unschätzbaren Beweis enthielt. Die Freude, die      
  mir jede Zeile, die ich von Ihnen erhalte, zu jeder Zeit macht, wurde      
  dießmal nicht wenig durch einen Umstand vermehrt, der meinem kleinen      
  häußlichen Aberglauben gerade recht kam: Ihr vortreflicher Brief war      
  am ersten Iulii datirt, und dieser Tag ist mein Geburtstag. Sie würden      
  gewiß lächeln, wenn ich Ihnen alle die Spiele darstellen könte, die      
  meine Phantasie mit diesem Ereignisse trieb. Daß ich Alles dabey zu      
  meinem Vortheil deutete, versteht sich von selbst. Ich lächele am Ende      
  darüber, ja zuweilen sogar mitten darunter, und fahre gleich darauf      
  wieder damit fort. Ehe die Vernunfft, dencke ich, das Feld bey dem      
  Menschen in Besitz nahm, worauf jezt noch zuweilen diese Keime sprossen,      
  wuchs Manches auf demselben zu Bäumen auf, die endlich ihr Alter      
  ehrwürdig machte und heiligte. Iezt kömmt es nicht leicht mehr dahin.      
  Es freute mich aber in Wahrheit nicht wenig mich gerade Ihnen,      
  Verehrungswürdiger Mann, gegenüber, auf diesem Aberglauben zu ertappen.      
  Er zeugt auch von Verehrung und zwar von einer Seite her,      
  von welcher wohl, ausser dem Kantischen Gott, alle übrige stammen      
  mögen.      
           
  Die Bekanntschafft des HE. von Farenheid und Herrn Lehmanns      
  macht mir sehr viel Freude. In Preussen giebts doch noch Patrioten.      
  Dort sind sie aber auch am nöthigsten. Nur Patrioten und Philosophen      
  dorthin, so soll Asien wohl nicht über die Grentzen von Curland      
  vorrücken. Hic murus aheneus esto . O wenn mir nur meine elenden      
  Gesundheits=Umstände verstatteten mehr in Gesellschaft mit diesen vortrefflichen      
  Leuten zu seyn. Wir wohnen wie in einem Hause, nämlich      
           
  in verschiedenen, die aber demselben Herrn gehören und in allen Etagen      
  Communication haben, so daß man zu allen Zeiten des Tages ohne      
  Hut und im Schlafrock zusammen kommen kan, wenn man will. Ich      
  hoffe die wiederkehrende Sonne soll mir neue Kräffte bringen, von jener      
  häußlichen Verbindung häufigern Gebrauch zu machen, als mir bisher      
  möglich gewesen ist.      
           
  Mit der innigsten Verehrung und unter den aufrichtigsten Wünschen      
  für Ihr Wohlergehen habe ich die Ehre zu verharren      
           
    ganz der Ihrige      
  Göttingen den 9ten Dec. GCLichtenberg.      
  1798.        
           
           
           
     

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