Kant: Briefwechsel, Brief 810, An Georg Christoph Lichtenberg.

     
           
 

 

 

 

 

 
  An Georg Christoph Lichtenberg.      
           
  1. Iuli 1798.      
           
  Der Ihnen, Verehrungswürdiger Mann! Gegenwärtiges zu überreichen      
  die Ehre hat, Herr v. Farenheid, Sohn eines noch lebenden      
           
  Vaters von großen Glücksumständen und für sich selbst von sehr guten      
  Anlagen, in Talent sowohl als Denkungsart, verlangt von mir zu      
  seiner Bildung auf Ihrer Universität, in Begleitung des Candidaten      
  Lehman, meines ehemaligen Auditors, an einen Lehrer empholen zu      
  werden, der theils in dem, was zu seinem Hauptstudium erforderlich      
  ist, nämlich dem Cameralfach, in Allem was dazu direct und indirect      
  gehort (z. B. Mathematik Naturwissenschaft, Mechanik, Chemie etc.)      
  Anleitung gebe, theils ihm auf die geschickte Männer anweise, durch      
  die er in dieser Wissenschaft und Kunst gründlichen Unterricht erlangen      
  könne.      
           
  Wer aber könnte dieses wohl sonst seyn, als der verdienstvolle,      
  mir besonders wohlwollende, öffentlich mich mit seinem Beyfall beehrende      
  und durch Beschenkung mit seinen belehrenden sowohl als ergötzenden      
  Schriften zur Dankbarkeit und Hochachtung verpflichtende      
  Herr Hofrat Lichtenberg in Göttingen? - Herr Lehman, der schon      
  seit einiger Zeit vom theologischen Fache zum juristischen übergegangen      
  ist, wird bey dieser Apostasie zugleich für sich gewinnen, öffentlich, in      
  den Collegien die er mit besuchen wird und häuslich, als Repetent,      
  indem er dazu auch alle nöthige Vorübungsmittel und allen Fleiß besitzt      
  sie in Wirkung zu setzen.      
           
  Für mich erwarte ich durch dieses Verhältnis von Zeit zu Zeit      
  erfreuliche und belehrende Nachrichten von Ihrem Wohlbefinden und      
  wissenschaftlichem Fortschreiten zu erhalten; als von welchen, vornehmlich      
  dem letztern, ich in meinem 75sten Lebensjahr, obgleich      
  bey noch nicht völlig eingetretener Hinfälligkeit, mir nur wenig versprechen      
  kann; weshalb ich auch geeilet habe mit dieser Michaelismesse      
  noch einige Reste hinzugeben; indessen das, was ich nun      
  unter der Feder habe, ob es völlig zu Stande kommen werde mich in      
  Zweifel läßt.      
           
  Mit der größten Hochachtung, Zuneigung und Ergebenheit bin ich      
  jederzeit      
           
    der Ihrige      
  Koenigsberg. I Kant.      
  den 1sten July        
  1798        
           
           
           
           
     

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