Kant: Briefwechsel, Brief 793, Von Iohann Ernst Lüdeke. |
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Von Iohann Ernst Lüdeke. | |||||||
30. Dec. 1797. | |||||||
Wohlgebohrner Herr | |||||||
Hochzuehrender Herr Professor, | |||||||
Innigst verehrter Gönner! | |||||||
Freilich ist es verwegen oder vielmehr verwogen Ihnen, auch | |||||||
nur einige Minuten durch mein sehr entbehrliches Schreiben zu rauben. | |||||||
Allein ein unwiderstehlicher Drang der innigsten Hochachtung, der immer | |||||||
wachsenden Dankbegierde, und einer wahrhaft kindlichen Liebe trieb mich | |||||||
schon lange zu dem Wunsch, mein Herz ergießen zu können. Ich | |||||||
dämmte meine Empfindung. Doch da mir neulich mein Freund Borowsky | |||||||
schrieb, daß Sie meiner noch nicht vergeßen hätten, da half | |||||||
kein Dämmen mehr. | |||||||
O erlauben Sie es mir, daß ich Ihnen Verehrungswürdigster | |||||||
Greis sagen darf wie sehr ich Sie als den größesten Wohlthäter meiner | |||||||
Seele verehre. Es sind nun 32 Iahre daß ich das Glück mich Ihnen | |||||||
zu nähern hatte. Aber es ist mir jetzt dieses Glück noch viel beglückender, | |||||||
als damahls, da mich mein Oncle, der Comerzienrath Hoyer | |||||||
zu Ihnen führte. Könnte ich doch mein Dankgefühl ganz ausdrücken. | |||||||
Hätte mich die Vorsehung in die Schriftsteller Welt verschlagen ich stehe | |||||||
nicht dafür daß ich Sie mit einer Menge Zueignungs Schriften geqvälet | |||||||
hätte und mir dadurch ein gewißes Ansehen zu erdediciren gesucht. | |||||||
Dafür hat Sie der Höchste bewahret. | |||||||
Ich sehe so ruhig und schußfrey dem Gewirre der Gelehrten aus | |||||||
meinem stillen Winkel zu, und kann ungestöhrt lernen, bewundern, | |||||||
lachen und mich ärgern. Wenn ich mich nicht ganz in die Tiefen der | |||||||
spekulatifen Philosophie (aus sehr erklärlichen Gründen) senken kann | |||||||
so erhebe ich doch täglich Geist und Herz durch Ihre Belehrung. Trage | |||||||
ich doch meinen mich beglückenden goldnen Trauring ohne als Bergknappe | |||||||
in den Schacht gefahren zu seyn. | |||||||
Ich stehe noch immer auf meiner außerordentlichen Stufe: das | |||||||
heißt ich bin seit 21 Iahren der geringste unter den Aposteln der | |||||||
Petri Kirche. Es ist kein Avancement in diesem Regimente. Durch | |||||||
den Tod des Königes bin ich freilich in Etwas degradirt. So lange | |||||||
war ich in allen Preußischen Staaten der einzige königliche regierende | |||||||
Beichtvater, und jetzt bin ich verwittwet mütterlicher Beichtvater. | |||||||
Nehmen Sie mich aber ja nicht für so Etwas als die katholischen | |||||||
Beichtväter sind. Einmahl bin ich bloß auf den Imperatif der Heiligkeit | |||||||
der Pflicht berufen um ein rein moralischer Beichtvater zu seyn, | |||||||
und dann ist mein Geschäft bloß das königliche Herz bey der Feyer | |||||||
des Abendmahls durch zwey äußerst kleine Predigten in die gehöhrige | |||||||
Stellung zu rücken. Absolution überlasse ich dem der allein absolviren | |||||||
kann. Ich bemühe mich nur dem innern Menschen den Spiegel des | |||||||
Gewißens, der bisweilen wohl behaucht seyn mag, zu reinigen. Das | |||||||
geschiehet jedesmahl in einem Zimmer voll von 45 großen und kleinen | |||||||
Spiegeln. | |||||||
Unser lieber junger König erhebt unser Herz mit herrlichen Hoffnungen, | |||||||
die um so weniger werden unerfüllt bleiben können, da der | |||||||
Iüngling Genz ihn so väterlich belehret hat. Ich mögte zur Übung | |||||||
im Griechischen und aus Vaterlandes Liebe Isokratis Rede an den | |||||||
Nicocles übersetzen und sie dem Könige allerunterthänigst doch im | |||||||
strengsten incognito überreichen. Es würde doch dünkt mich schicklicher | |||||||
seyn daß ein alter Grieche den König belehrte: als ein junger sehr | |||||||
berlinischer Berliner. | |||||||
Fast aller Herzen singen "Auf Triumph bey dem krachenden Sturz | |||||||
der Eiche, unter welcher so Viele - sich gemästet hatten - Man lieset | |||||||
das F. W. R. nunmehr Friedrich - wahrer Regent. | |||||||
Unter dem 27ten Dec. hat das Ober Consistorium alle ihm geraubten | |||||||
Rechte der Examination, Censur etc. wieder bekommen und mithin wird | |||||||
wohl die Glaubens Comißion wie die Tabaksfirma aufgehoben seyn. | |||||||
Ach es wird einem so wohl wenn der Nebel gefallen ist und die Sonne | |||||||
sichtbar und wirksam wird. Nun wird auch wohl selbst die Religion | |||||||
innerhalb der Grenzen der Vernunft durch die Censur kommen können; | |||||||
und das Conrektormäßige corrigiren oder richtiger corrumpiren der | |||||||
besten Gedanken wird ein Ende haben. Die wieder eingesezten Censoren | |||||||
werden gewiß nach der Norm einhergehen, die Sie mit solcher Genauigkeit | |||||||
und Wahrheit den Censoren vorgeschrieben haben. | |||||||
Unser würdiger Greis Spalding, gewiß auch Ihr sehr großer Verehrer, | |||||||
ist ein Wunder geworden. Er der im 83ten Iahre die schreklichste | |||||||
Ruhr überstanden ist im 84ten Iahre so heiter, so Geistes stark | |||||||
und so angenehm wie gewiß mancher Iüngling nicht ist. Gott gebe | |||||||
doch auch Ihnen ein so hohes und so kraftvolles Alter. Das sey mein | |||||||
Neujahrswunsch! | |||||||
Daß ich kein Wiederschreiben, hoffe, erwarte, oder gar ertrotze, | |||||||
das versteht sich von selbst. Auch meine Freude will ich gern Ihrer | |||||||
Ruhe opfern. Wenn ich nur durch HE. K. R. Borowsky erfahre da | |||||||
Sie mein Anlaufen mir verziehen haben und mich Ihrer Gewogenheit | |||||||
nicht ganz unwerth halten. Und so empfehle ich mich dieser gewünschten | |||||||
Gewogenheit mit dem Hochachtungsvollesten Herzen und unterzeichne | |||||||
mich als | |||||||
Ihren | |||||||
dankvollesten Verehrer, Schüler | |||||||
Berlin | und Diener | ||||||
am 30ten Dec. | I. E. Lüdeke | ||||||
1797. | |||||||
[ abgedruckt in : AA XII, Seite 227 ] [ Brief 792 ] [ Brief 793a ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |