Kant: Briefwechsel, Brief 789, An Iohann Gottlieb Fichte.

     
           
 

 

 

 

 

 
  An Iohann Gottlieb Fichte.      
           
  [December 1797?]      
           
  Hochgeschätzter Freund!      
           
  Wenn Sie meine drei Vierteljahr verzögerte Antwort auf Ihr an      
  mich abgelassenes Schreiben für Mangel an Freundschaft und Unhöflichkeit      
  halten sollten, so würde ich es Ihnen kaum verdenken können.      
  Kennten Sie aber meinen Gesundheitszustand und die Schwächen      
  meines Alters, die mich genöthigt haben, schon seit Einem und einem      
  halben Iahre alle meine Vorlesungen, gewiß nicht aus Gemächlichkeit,      
  aufzugeben, so würden Sie dieses mein Betragen verzeihlich finden;      
  ungeachtet ich noch dann und wann durch den Canal der Berl.      
  Monatsschrift und auch neuerlich durch den der Berliner Blätter      
  von meiner Existenz Nachricht gebe, welches ich als Erhaltungsmittel      
  durch Agitation meiner geringen Lebenskraft, ob zwar langsam und      
  nur mit Mühe, thue, wobei ich mich jedoch fast ganz ins praktische      
  Fach zu werfen mir gerathen finde, und die Subtilität der theoretischen      
  Speculation, vornehmlich wenn sie ihre neuern, äußerst zugespitzten      
  Apices betrifft, gern Andern überlasse.      
           
  Daß ich zu dem, was ich neuerlich ausgefertigt habe, kein anderes      
  Iournal als das der Berliner Blätter wählte, werden Sie und meine      
  übrigen philosophirenden Freunde mir als Invaliden zugute halten.      
  Die Ursache ist: weil ich auf diesem Wege am geschwindesten meine      
  Arbeit ausgefertigt und beurtheilt sehe, indem sie, gleich einer politischen      
  Zeitung, fast posttäglich die Erwartung befriedigt, ich aber nicht weiß,      
  wie lange es noch dauern möchte, daß ich überhaupt arbeiten kann.      
           
  Ihre mir 1795 und 1796 zugesandten Werke sind mir durch Herrn      
  Hartung wohl zu Handen gekommen.      
           
  Es gereicht mir zum besondern Vergnügen, daß meine Rechtslehre      
  Ihren Beifall erhalten hat.      
           
  Lassen Sie sich, wenn sonst Ihr Unwillen über meine Zögerung      
  im Antworten nicht zu groß ist, ferner nicht abhalten, mich mit Ihren      
  Briefen zu beehren und mir literärische Nachrichten zu ertheilen. Ich      
           
  werde mich ermannen, künftig hierin fleißiger zu sein, vornehmlich da      
  ich Ihr treffliches Talent einer lebendigen und mit Popularität verbundenen      
  Darstellung in Ihren neuern Stücken sich entwickeln sahe,      
  damit Sie die dornichten Pfade der Scholastik nun durchwandert haben,      
  und nicht nöthig finden werden, dahin wieder zurückzusehen.      
           
  Mit vollkommener Hochachtung und Freundschaft bin ich jederzeit      
           
  u.s.w. I. Kant      
           
           
           
     

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